REUTLINGEN. »Der Reutlinger Stadtwald ist ein Stück weit ein Wald der Superlative: Er hat den höchsten Totholzvorrat, den höchsten Eichenanteil und 18 Habitatbäume pro Quadratmeter - das ist ein herausragendes Ergebnis«: Mit derartigen Vorschusslorbeeren begrüßte Forsteinrichter Tobias Traber vom Forst BW den Gemeinderat zum Waldumgang. Ziel dieser Exkursion war es, die Planungen für die kommenden zehn Jahre an konkreten Standorten anzuschauen, bevor das Gremium Anfang Juli der neuen Forsteinrichtung zustimmt. Vorab fütterten die Fachleute vom Forst die Kommunalpolitiker mit den wichtigsten Infos und Zahlen rund um den Reutlinger Stadtwald.
Der unterscheidet sich wegen der urbanen Prägung von den meisten anderen Wälder im Kreis. Liegt doch ein großer Schwerpunkt auf der Naherholung, ganze 100 Prozent sind als »Erholungswald« kartiert. Gleichzeitig übernimmt er auf einer Fläche von 922 Hektar wichtige Bodenschutzfunktionen oder dient als Klimaschutzwald, der Temperaturextreme ausgleichen kann. Diese Erfolge seien das Ergebnis der Bewirtschaftung und der Kulturtätigkeit des Menschen, betonte Franz-Josef Risse, Leiter des Kreisforstamtes. In Reutlingen wirke man seit jeher »wohltuend für den Wald«.
Defizitär, aber mit hohem Wert
Auch in der kommenden Forsteinrichtung, die bis 2034 gültig ist, steht nicht der monetäre Gewinn im Vordergrund. Ganz im Gegenteil. Der Forsteinrichter und auch die Revierleiter rechnen mit einem Defizit. Dieses wolle man möglichst gering halten, betonte Traber, gleichzeitig müsse man sich den »hohen Wert des Waldes« vor Augen führen, auch wenn dieser nicht beziffert werden könne.

Für die neue Forsteinrichtung hat Traber eine Betriebsinventur gemacht, mit der gemessen wurde, wie fit die Bäume sind. An 590 Stellen wurden Pflanzen, Bäume und die Böden untersucht: das könne man sich vorstellen wie 590 Puzzleteile, die dann ein Gesamtbild ergeben. Die Bäume gedeihen nicht mehr so wie früher, »die Zuwächse gehen seit 30 Jahren zurück,« erklärt Risse - und zwar überall. Vermutlich ist der Klimawandel die Ursache, sorgt er doch für Hitze und weniger Wasser und damit für mehr Stress bei den Bäumen. Sechs Puzzleteile wurden beim Waldumgang näher betrachtet, um zu zeigen, was sich im Reutlinger Stadtwald in den kommenden zehn Jahren tun wird und was man bisher erreicht hat.
In den Eichenbeständen
Station 1 war ein Eichenbestand: Auf einer Fläche von 3,5 Hektar stehen 70 Prozent Eichen, die etwa 200 Jahre alt sind. »Hier steht ein Stück forstwirtschaftliche Geschichte«, machte Traber deutlich. Es zeigt, dass auch frühere Generationen von Forstwirten auf eine bunte Laubwaldmischung mit hohem Eichenanteil geachtet haben. Dieser ist übrigens auf der ganzen Fläche höher als im Landesschnitt: 19 Prozent Eichen stehen im Gesamtwald, nach der Buche mit 36 Prozent. Auch im neuen Plan wollen die Forstwirte die Eiche fördern. Sie setzen ihre Hoffnung darauf, dass sie klimaresistenter als andere Baumarten ist und damit zukunftsfähig.
Am nächsten Haltepunkt wurde gezeigt, wie solch eine Aufforstung mit Eichen abläuft: Eine Fläche wurde gerodet, nur seitlich wurden Bäume stehen gelassen. So sollen sich Eichen selbst aussähen. »Die Eiche braucht Licht«, erläutert Revierleiter Georg Buschbaum, »sie soll der Buche davonziehen«. Um die Jungpflanzen vor dem Wild zu schützen, muss man dieses bejagen oder einen Zaun aufbauen. Zudem müssen Buchen, die die Eiche bedrängen, entfernt werden. Eine aufwändige und teure Arbeit, wie die Forstwirte einräumen, aber man müsse etwas tun, um die Buche zurückzudrängen. »Das ist eine generationenübergreifende Investition«, machte Traber deutlich, denn man tue heute etwas für Eichen, die erst in 200 Jahren Ertrag bringen.
Das Ende der Esche
»Warum greift der Mensch überhaupt so in die Natur ein?«, kam die Frage aus der Runde. »Hier wäre eine Buchenfläche, wenn wir nichts unternehmen«, erläutert Traber. »Wir gehen davon aus, dass die Eiche länger aushält als die Buche«, ergänzt Risse. Zudem sei es klug, sich nicht auf eine Baumart festzulegen. Denn wie schnell es mit einer Art bergab gehen kann, sehe man am traurigen Beispiel der Esche, die ebenfalls lange als Zukunftsbaum gehandelt wurde. Ein Pilz sorgt jedoch für ein rasantes Eschentriebsterben. Im Reutlinger Wald hat die Krankheit den Bestand innerhalb von zehn Jahren um mehr als die Hälfte dezimiert - von 13 auf 6 Prozent sank ihr Anteil. In wenigen Jahren wird es fast keine Eschen mehr geben.
Im Buchenbestand und in der Kernzone
Aber nicht nur Eichen durften die Ratsmitglieder auf ihrer Tour durch die Gönninger Wälder besuchen, sondern auch die Hauptbaumart Buche wurde angeschaut ebenso wie abgestorbene Bäume und ein Stück der Kernzone im Biosphärengebiet. »Wir dürfen die Hebel natürlich nicht komplett umlegen«, verdeutlichte Traber, vieles solle durchaus bleiben, wie es ist. Das heißt, die Buche wird weiterhin Baumart Nummer 1 im Stadtwald sei - sie ist schließlich die führende Baumart in Zentraleuropa. Und trotz allem Augenmerk auf der Eiche vergessen die Forstwirte auch die anderen Baumarten nicht. Sie markieren Zukunftsbäume, denen man besondere Freiräume schafft, damit sie gedeihen können, aber sie kümmern sich auch um seltene Arten wie die Kirsche oder den Bergahorn. Die Fichte, ein Baum, der schnell wächst und wenig Arbeit macht, liegt nicht mehr im Trend - als Flachwurzler ist sie sturmanfällig. Auch in Reutlingen ist ihr Anteil geringer als früher.
Mit zum erfolgreichen Arbeiten in Reutlingen gehöre, dass die Stadt eigenes, gut ausgebildetes Personal habe, lobte Risse. Dieses könne flexibler agieren wie Firmen, die lediglich für diverse Einsätze beauftragt werden. »Auf der großen Fläche gibt es immer ein Geschäft«, ergänzt Buschbaum.
Enthalten in der neuen Planung ist, neben den Pflegeeinsätzen, natürlich auch der Hiebsatz - der Anteil zu fällender Bäume. Der wird sich auf fast gleichem Niveau bewegen, rund 100.000 Erntefestmeter sind vorgesehen. Man könne die Nachfrage gut abdecken, sagt Buschbaum. Rund zehn Prozent der Fläche sind stillgelegt, auch Totholz gibt es mehr als im Landesschnitt- beides ist positiv für die Biodiversität.
Für die nachhaltige Arbeit, die von Ökologie und nicht Ökonomie geprägt ist, könnte der Reutlinger Stadtwald demnächst noch eine seltene Auszeichnung erhalten: Der Naturschutzbund Nabu verleiht das Zertifikat Naturwald und war vom Reutlinger Stadtwald sehr angetan, wie Risse berichtete. »Das ist eine Auszeichnung, die bisher nur zwölf Gemeinden in Bande-Württemberg haben«. (GEA)
Forsteinrichtung: Ziel und Ablauf
Die Forsteinrichtung stellt eine zehnjährige Planungsgrundlage für die Bewirtschaftung der Wälder dar. Sie umfasst dabei nicht nur die ökonomischen Ziele, sondern berücksichtigt auch naturschutzfachliche, kulturelle und soziale Belange. Sie stellt damit ein umfassendes Planungsinstrument für die Forstbezirke und die Revierleiter dar.
Im Vorfeld der Forsteinrichtung wird in allen Beständen eine Betriebsinventur durchgeführt. Diese stellt für alle folgenden Planungsprozesse eine genaue Datengrundlage dar. Basierend auf diesen Informationen werden langfristige Ziele gesetzt und Maßnahmen geplant, um diese Ziele zu erreichen.
Für den Reutlinger Stadtwald liegen nun die Planungen für Jahre 2025 bis 2034 vor, diese werden noch bis Anfang Juni in den Bezirksgemeinden zur Anhörung eingebracht, am 24. Juni berät der Finanz- und Wirtschaftsausschuss vorab und am 1. Juli entscheidet der Gemeinderat darüber. (GEA)