REUTLINGEN. In ihrer Strick- und Häkelgruppe und auch bei Freunden ist Dagmar Mattes gemeinhin als »Bärenmama« bekannt. Denn seit neun Jahren häkelt sie in jeder freien Minute kleine Bärchen. »Schuld« daran sind ihre Patenkinder Fabian und Pascal, bei denen im Kleinkindalter die unheilbare Krankheit Muskeldystrophie Duchenne diagnostiziert wurde. Hautnah erleben Dagmar und ihr Mann Peter Mattes daraufhin, wie die Krankheit fortschreitet und welche Hindernisse es zu überwinden gilt. »Über die Jahre ist in mir der Wunsch gewachsen, etwas zu unternehmen«, so die Reutlingerin.
Die zündende Idee kam der heute 55-Jährigen im April 2014 durch eine Freundin, die Bären als Seelentröster strickte. Mattes schwang jedoch lieber die Häkelnadel: »Mein erster Bär entstand. Schnell wurde mir klar, dass ich weitere Bärchen für den guten Zweck häkeln möchte.« Als sie fünf Tiere fertig hatte, besuchte Mattes zum ersten Mal einen Strickclub in ihrer Nähe. Dort wurde ihr der erste Bär förmlich entrissen: »Es war mein Lieblingsbär, den ich eigentlich nicht hergeben wollte. Aber er wurde mir kurzerhand für zehn Euro abgekauft, für den guten Zweck. Als ich nach Hause fuhr, hatte ich zehn Euro in der Tasche, mit denen ich noch nicht mal wusste wohin – und keinen Lieblingsbären mehr.«
Schnell eine Spenden-Idee gehabt
Am nächsten Tag suchte Mattes im Internet nach einer Organisation, die Duchenne-Kinder und deren Familien unterstützt. Sie fand die Deutsche Duchenne Stiftung, wo seither jeder Cent hingeht, den die Industriekauffrau mit ihren Häkeltierchen einnimmt. Damals hieß die Stiftung noch »Aktion Benni & Co« – benannt nach dem an Duchenne erkrankten Benni, dessen Eltern die Selbsthilfegruppe 1996 ins Leben gerufen hatten.
Die Duchenne Muskeldystrophie ist eine seltene Muskelerkrankung, die von Müttern auf Söhne vererbt wird. Die Krankheit beginnt im Kindesalter. Durch einen Gendefekt fehlt den Betroffenen ein wichtiges Protein in den Muskelzellen. Ähnlich wie bei Mukoviszidose schreitet der Muskelschwund immer weiter voran. »Die meisten sterben nicht an Duchenne selbst, sondern an den Begleiterscheinungen. Wenn zum Beispiel die Lunge betroffen ist und sie nicht mehr abhusten können«, weiß Mattes. In Deutschland sind etwa 2.500 Kinder betroffen. Ihre Lebenserwartung liegt zwischen 15 und 25 Jahren, nur die wenigsten erleben ihren 30. Geburtstag.
Ihr Patensohn Fabian war Anfang des Jahres mit 23 Jahren überraschend verstorben. Erst kurz vor seinem Tod war die Familie beim jährlichen Gesundheitscheck gewesen. »Da war alles in Ordnung. Die Werte waren dem Krankheitsbild angemessen. Es war überhaupt nicht davon auszugehen, dass bei einem von beiden etwas passieren könnte«, berichtet Vater Wolfgang Schneider.
Reanimation nötig
Letztendlich war ein Stück verschlucktes Rührei schuld. Fabian musste reanimiert werden. »Die Ärzte hatten gefragt, ob sie das überhaupt machen sollen. Aber diese Chance wollten wir ihm geben«, erzählt Mutter Brigitte Schneider. Fabian kam auf die Intensivstation, doch statt sich zu erholen, ging es ihm stetig schlechter. Der Familie wurde klar, dass sie Fabian gehen lassen muss. Ein bestimmter Tag wurde anvisiert. »Aber Fabian kam uns zuvor. Er hat bewusst entschieden, dass er nicht mehr will. Es war sein letztes Geschenk an uns, dass er uns diese schwere Entscheidung abgenommen hat.«
Pascal hat durch Fabians Tod nicht nur seinen älteren Bruder, sondern auch seinen besten Freund verloren. Wie Fabian bis zu seinem Tod, sitzt auch der 22-Jährige seit langem im Rollstuhl und kann eigentlich nichts mehr selbstständig machen. Doch er versucht, das Beste aus seiner Situation zu machen. Er arbeitet gerne am Computer und gestaltet regelmäßig den wöchentlichen Essensplan von Familie Mattes: »Er steht dem Leben positiv gegenüber. Er freut sich über jeden Tag, an dem er raus in die Sonne kann«, erzählt Peter Mattes. Im Frühjahr möchte Pascal mit seinen Eltern ein paar Tage nach London reisen. Hierfür hat er einen Spendenaufruf gestartet, damit die Familie den Urlaub in einer rollstuhlgeeigneten Unterkunft stemmen kann.
Ein ganzer Bären-Zoo
Patentante Dagmar Mattes ist längst nicht mehr nur Bärenmama. Zu den Bären haben sich über die Jahre hinweg andere Tierchen gesellt, und jedes hat seinen Namen: Der erste im Bunde war – logisch – der Benni-Bär. Ihm folgten Benno Hase, Ellyfant, Fridolin Frosch und viele weitere Tiere. »Inzwischen ist das ein ganzer Zoo«, schmunzelt Dagmars Mann Peter. Zwei bis drei Stunden sitzt die fleißige Häklerin meist an einem Tier. Doch sie produziert längst nicht mehr alleine: »Zu meinem Stammpersonal gehören vier Leute«, witzelt sie – Freundinnen und Familienmitglieder, die ihr Engagement unterstützen. Der Erlös geht zu 100 Prozent an Duchenne Deutschland. »Wolle, Füllmaterial und Zeit – das ist alles meine eigene Leistung.«
Wer das Projekt unterstützen und ein oder mehrere Häkeltiere erwerben will, kann Dagmar Mattes über ihre Facebook-Seite »Bären & Co«, per E-Mail baerenundco@t-online.de sowie unter 07121/279220 oder 0152 03016234 kontaktieren. (GEA)