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Aktuell Jubiläum

Wie die Sondelfinger Stephanuskirche zum Kleinod wurde

Die in Teilen gotische und mit Wandmalereien aus der Renaissance verzierte Sondelfinger Stephanuskirche hat 750 Jahre auf dem Eichengebälk. Sie ist heute Aussegnungsraum, Konzertort und Hochzeitslocation. Was man über das geschichtsträchtige Gemäuer weiß.

Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert machen die Stephanuskirche zum historischen Kleinord.
Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert machen die Stephanuskirche zum historischen Kleinod. Foto: Steffen Schanz
Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert machen die Stephanuskirche zum historischen Kleinod.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN-SONDELFINGEN. Es kommt einem kleinen Wunder gleich, dass es sie noch gibt: Sondelfingens historische Stephanuskirche, die einst Dreh- und Angelpunkt des geistlich-spirituellen Lebens in Reutlingens heutiger Bezirksgemeinde war. Anno 1275 im Zehntbuch der Diözese Konstanz erstmals urkundlich erwähnt, war das Gotteshäusle seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhundert dem Verfall preisgegeben - nach wahrlich bewegter Vergangenheit.

Im späten Mittelalter erbaut, ist die Stephanuskirche 1538 unter Pfarrer Cyriacus Heimlich in protestantischen Besitz übergegangen. Sie wurde immer mal wieder erweitert und repariert, 1960 schließlich entwidmet. Dies allerdings nicht, weil sich ihre Bausubstanz in irreparabel-marodem Zustand befunden hätte, sondern weil Sondelfingens evangelische Gemeinde zu diesem Zeitpunkt stark gewachsen war und weiter wuchs. Längst schon konnte das beim Friedhof verortete Kirchlein an manchen Sonn- und Feiertagen kaum mehr alle Gottesdienstbesucher fassen, herrschte in seinem Innern drangvolle Enge. Weshalb sich der Oberkirchenrat anschickte, in einen Neubau zu investieren: zum Nachteil der geschichtsträchtigen Stephanuskirche.

Gänzlich in Vergessenheit geraten

Für sie gab es nach Inbetriebnahme der modernen, großzügigeren Johanneskirche nämlich keine klerikale Verwendung mehr. Zwar zogen Sondelfingens Protestanten zunächst eine Gebäude-Sanierung in Erwägung, beauftragten sogar Handwerker mit ersten Instandsetzungsarbeiten. Dann jedoch geriet das Vorhaben - warum auch immer - ins Stocken und schließlich gänzlich in Vergessenheit. Niemand scherte sich mehr um den Erhalt des historischen Gemäuers, das fortan als Rumpelkammer für allerlei Gerätschaften genutzt wurde. Derweil der Zahn der Zeit ungehindert weiter am Kirchle nagte.

So nachzulesen in einem informativen Bändchen, das der inzwischen verstorbene Stephanuskirchen-Mentor, Heinz Ziegler, in enger Kooperation mit dem Reutlinger Stadtarchiv und dem Kunsthistoriker Thomas Braun 2001 herausgebracht hat. Darin steht zu lesen, dass dem Sakralbau Mitte der Siebziger um Haaresbreite das letzte Stündlein geschlagen hätte.

Einst Rumpelkammer, heute Kleinod: die historische Sondelfinger Stephanuskirche.
Einst Rumpelkammer, heute Kleinod: die historische Sondelfinger Stephanuskirche. Foto: Steffen Schanz
Einst Rumpelkammer, heute Kleinod: die historische Sondelfinger Stephanuskirche.
Foto: Steffen Schanz

Eine von der Stadt Reutlingen projektierte kommunale Friedhofs-Reform war’s, die den Abriss der Stephanuskirche wahrscheinlich werden ließ. Denn die Verwaltung plante damals eine Zentralisierung des Bestattungswesens: Nurmehr die Römerschanze sollte als Begräbnisstätte weitergeführt werden. Alle übrigen Friedhöfe - sowohl die Grabfelder Unter den Linden als auch die in den Bezirksgemeinden - erschienen der Rathausriege als zu kosten- und pflegeintensiv. Sie sollten deshalb stillgelegt werden.

Doch daraus wurde nichts. Zumal sich in der Kernstadt und den Teilorten ebenso empörter wie erfolgreicher Widerstand regte. Auch in Sondelfingen zeigte die Bürgerschaft keinerlei Neigung, sich von ihrem Friedhof zu trennen. Was für den Erhalt der Stephanuskirche - zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Überlegungen, sie für Trauerfeiern zu nutzen - insofern segensreich war, als die Abrissbirne zwar wie ein Damoklesschwert über dem Gotteshäusle schwebte, aber eben nur schwebte. Zum Einsatz gelangte sie nie. Denn da war noch etwas anderes Segensreiches vor: der Auftritt von Kommissar Zufall.

Jubiläumsprogramm

750 Jahre Stephanuskirche: Für Sondelfingen ist dieses Jubiläum Grund zur Freude und Anlass eine kleine Veranstaltungsreihe zu organisieren. Statt staatstragender Reden setzt der Flecken dabei auf ein kurzweiliges Programm, das im Oktober steigen wird. Eröffnet wird der Veranstaltungsreigen voraussichtlich am Samstag, 18. Oktober, 15 Uhr, mit dem Figurentheater Martinshof und einer Dornröschen-Inszenierung für ein junges Publikum. Außerdem hat an diesem Tag Liedermacher Markus Vatter um 19 Uhr seinen Auftritt in der Stephanuskirche. Weiter geht’s dann am Samstag, 25. Oktober, 19 Uhr mit der Band Weenies, und am Sonntag, 26. Oktober, sorgt das Somu Ensemble für Unterhaltung. (ekü)

Sensationelle Entdeckung unterm Innenputz

Dieser kam eines schicksalsträchtigen Tages in Person von Restaurator Lothar Bohring um die Ecke gebogen und sorgte für eine Sensation. Unterm Innenputz der Stephanuskirche stieß Bohring nämlich auf Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert. Und die ließen nicht nur aufhorchen, sondern vor allem Stimmen laut werden, die das Freilegen der Fresken und den Erhalt des Sakralbaus forderten.

Also alles paletti? Jein. Denn gut Ding wollte auch in diesem Fall Weile haben. Viele Gespräche zwischen Vertretern von Kommune und Kirchengemeinde waren in der Folge nötig, um die Zukunft des Gotteshäusles zu sichern. Aber 1977 war es dann schließlich so weit und eine einvernehmliche Lösung gefunden: die Stephanuskirche ging in kommunalen Besitz über. Reutlingen kaufte das Grundstück und bekam das historische Gemäuer geschenkt. Zumal der Oberkirchenrat nach wie vor jedwede Investition in die steinerne Zeitzeugin des 13. Jahrhunderts ablehnte.

Anders die Stadt Reutlingen, die sich den Erhalt des Kulturdenkmals durchaus etwas kosten lassen wollte und dafür Sorge trug, dass Restaurator Bohring 1980 loslegen konnte. Ein ganzes Jahr lang arbeitete der Experte am Erhalt der kostbaren Renaissance-Malereien. Was mit nahezu 850.000 D-Mark zu Buche schlug - inklusive neuer Glocke fürs Türmchen.

Die Schönheit liegt auch bei der Stephanuskirche im Detail.
Die Schönheit liegt auch bei der Stephanuskirche im Detail. Foto: Steffen Schanz
Die Schönheit liegt auch bei der Stephanuskirche im Detail.
Foto: Steffen Schanz

Offenbar war es eine Rettung in letzter Sekunde. Denn das Mauerwerk zog bereits Wasser und die »Stephanus« stand nach gefühlt endlosen Diskussionen und Verhandlungen jetzt tatsächlich im Begriff, zur Ruine zu verkommen. Und das, obschon vorherige Generationen nachweislich immense (finanzielle) Anstrengungen auf sich genommen hatten, um ihr Kirchle zu hegen, zu pflegen und - ja, auch das - zu erweitern.

Historische Grundrisse aus dem 16. Jahrhundert

Von Letzterem künden historische Grundrisse, nach denen der Innenraum der Stephanuskirche im 16. Jahrhundert nicht einmal halb so groß war, wie heute. Diese Dokumente legen außerdem nahe, dass die Sondelfinger in zurückliegenden Jahrhunderten weder Kosten noch Mühen gescheut haben, ihr Gotteshäusle in Schuss zu halten und den Bedürfnissen der größer werdenden Gemeinde architektonisch anzupassen. Was umso bemerkenswerter ist, als das Dorf finanziell nicht eben auf Rosen gebettet war: weder beim ersten Ausbau anno 1686 noch bei Erweiterungs- und Reparaturmaßnahmen anno 1769.

Die in ihren Proportionen etwas eigenwillig anmutende Gestalt der Sondelfinger Stephanuskirche ist diversen Erweiterungen und Um
Die in ihren Proportionen etwas eigenwillig anmutende Gestalt der Sondelfinger Stephanuskirche ist diversen Erweiterungen und Umbauten geschuldet. Foto: Steffen Schanz
Die in ihren Proportionen etwas eigenwillig anmutende Gestalt der Sondelfinger Stephanuskirche ist diversen Erweiterungen und Umbauten geschuldet.
Foto: Steffen Schanz

Doch zurück zu den 1980er-Jahren, da der Reutlinger Gemeinderat Sanierungsmittel freigegeben und einem Umbau zugestimmt hatte. Zumal die Stadtväter und -mütter Gefallen an der Idee fanden, das historische Kleinod nach Aufhübschung und Umgestaltung einer multifunktionalen Nutzung zuzuführen. Und so geschah es denn auch.

Heute ist die Stephanuskirche Bühne für vielerlei Veranstaltungsformate. Trauerfeiern werden hier ebenso abgehalten wie Konzerte und Lesungen. Außerdem bildet sie die stilvoll-schöne Kulisse für (standesamtliche) Hochzeiten. Als Location fürs Ja-Wort ist die Stephanuskirche nämlich längst weit über die Grenzen Reutlingens hinaus bekannt und beliebt. Laut Statistik sind es pro Jahr 70 bis 80 Brautpaare, die hier den Bund fürs Leben schließen. (GEA)