REUTLINGEN-SICKENHAUSEN. 1994 - in dem Jahr, in dem Klaus Nagel und Dieter Mayer in den Sickenhäuser Bezirksgemeinderat gewählt wurden - starb Nirvana-Sänger Kurt Cobain, der Film »Schindlers Liste« gewann sieben Oscars und der Eurotunnel zwischen Großbritannien und Frankreich wurde eröffnet. Ja, es ist wahrlich eine ganze Weile her ... Mayer war damals 33, Nagel 31 Jahre alt, Freunde seit der Schulzeit. Mayer war zweiter Vorstand des Sportvereins, Nagel stellvertretender Feuerwehr-Kommandant. Engagierte junge Männer, die von Bezirksgemeinderat Karl Grauer (»die gute Seele«) angesprochen wurden, ob sie bei der »Unabhängigen Bürgerliste« kandidieren wollen. Überrascht sei er gewesen, erinnert sich Nagel. »Aber irgendwie auch ziemlich geschmeichelt.« Der erste Versuch wurde direkt ein voller Erfolg: Mayer bekam bei dieser Kommunalwahl am zweitmeisten Stimmen, Nagel landete auf Platz drei.
Heute, 30 Jahre später, haben die beiden Männer viel Erfahrung in der Kommunalpolitik gesammelt, sich viel Geduld angeeignet (Nagel: »Du brauchst einen richtig langen Atem!«) - und offenbar nichts von ihrem Engagement eingebüßt. Nagel hat sogar noch eine Schippe draufgelegt: Seit dieser Kommunalwahl ist der selbstständige Schreiner Bezirksbürgermeister. Als man jung und motiviert ins Gremium kam, »dachten wir, jetzt machst du halt g'schwind«, erinnert sich der 61-Jährige lachend an den ersten Tatendrang. Schnell wurden die Newcomer eines Besseren belehrt.
»Das Baugebiet Im Hau war mit Abstand das langwierigste Projekt, das wir je hatten«
Paradebeispiel für die oftmals zermürbend langsam mahlenden Mühlen in der Kommunalpolitik: das Baugebiet »Im Hau«, das »mit Abstand langwierigste Projekt, das wir je hatten«, so Nagel. Mayer erinnert sich noch gut an eine Begehung vor Ort Anfang der 1990er-Jahre. Damals habe es von Stadt-Seite aus geheißen, man werde »Gas geben«. Bis zur Erschließung des Baugebietes dauerte es dann noch ein gutes Vierteljahrhundert.
Ähnlich zäh läuft es beim Hochwasserschutz am Ortsausgang Richtung Degerschlacht. Und hier scheint auch in absehbarer Zukunft keine Lösung in Sicht zu sein. Die Situation ist ziemlich verzwickt: Die Stadt pocht auf das Anfang der 2000er-Jahre entworfene Grabensystem, zwei Grundstückseigentümer wollen aber vehement nicht verkaufen, zudem hält die Reutlinger Stadtentwässerung (SER) die Alternative des Bezirksgemeinderates für nicht durchführbar. Wenn sich Nagel ein Ziel für seine Amtszeit setzen könnte, wäre es, »dass wir diese 'Never Ending Story' vollenden - und den Hochwasserschutz hinkriegen«.
»Na, wir haben ja auch viele gute Sachen bewegt!«
Klingt irgendwie ziemlich frustrierend ... oder? Mayer schüttelt energisch den Kopf: »Na, wir haben ja auch viele gute Sachen bewegt!« Stolz sind die beiden beispielsweise auf die sanierte Schule. Die kleine Grundschule, die sie einst besucht haben, ist wurde aufgehübscht und erweitert. In der Wartburgstraße entstand 2014 ein Kinderhaus. Die Festhalle bekam 2005 einen Anbau, ihr fehlt jetzt nur noch ein zweiter Notausgang, damit man sie auch mit mehr Leuten belegen kann. Diese Maßnahme, die nicht viel Geld kosten würde, setzen die Bezirksgemeinderäte seit Jahren beharrlich auf ihre Wunschliste an die Stadt, »damit es nicht in Vergessenheit gerät«.
Auch noch in bester Erinnerung: 2006 reiste der gesamte Bezirksgemeinderat auf Initiative von Walter Zeeb, dem Vater des ehemaligen Bezirksbürgermeisters Frank Zeeb, nach Karlsruhe zum Glockengießen. Senior Zeeb hatte im Zweiten Weltkrieg noch miterlebt, wie die alte Glocke auf dem Rathaus abgehängt und eingeschmolzen worden war - nun bekam das kleine Dorf endlich eine neue. Die 2016 errichtete Flüchtlingsunterkunft »läuft gut«, sagt Nagel, das Dorf hat ein funktionierendes Vereinsleben, mit viel Engagement wird auch einiges erreicht.
»Hier haben wir rund 1.200 Stunden Arbeitsstunden reingesteckt«
Paradebeispiel dafür: der Neubau des Feuerwehrhauses 2009. »Hier haben wir rund 1.200 Stunden Arbeitsstunden Eigenleistung reingesteckt«, sagt Mayer. Nagel, viele Jahre lang Feuerwehrkommandant, ist noch heute hörbar stolz auf dieses Projekt: »Wir haben es damals geschafft, es trotz miserabler Haushaltslage und Haushaltssperre durch zu bekommen.« Seine Frau habe damals zu sagen gepflegt, »wenn mein Mann nicht im Geschäft ist, ist er im Feuerwehrhaus«. Ebenso tatkräftig starteten die Sickenhäuser dann in den Umbau des Alten Feuerwehrhauses zur »Kulturwache« - doch dieses Engagement erhielt durch einen tragischen tödlichen Unfall einen Dämpfer.
Gut gemeint war 2008 dann die Sanierung des Fußballfeldes. Doch der Schuss ging nach hinten los. Da der neue Rasen nicht von Grund auf herangewachsen ist, wird es bei Nässe - also vor allem in den Herbst- und Wintermonaten - unglaublich schlammig auf dem Feld. »Wir hätten auf einen Kunstrasen pochen sollen«, blickt Nagel zurück. Doch diese Spielfeld-Form war damals halt noch nicht gang und gäbe. »Jetzt bekommt Degerschlacht das Kunstrasenfeld«, sagt Mayer. Was die Beziehungen zur Nachbargemeinde aber keinesfalls belaste, wie beide betonen - man pflege ein gutes Miteinander.
»Da will man ja auch was tun für seine Gemeinde«
So soll nun auch ein Pflegeheim für beide Gemeinden nach Degerschlacht kommen. Einen Bauplatz gibt es dort jedenfalls schon - nur die Suche nach einem Investor scheint extrem schwierig zu sein. Nochmal ein kleiner Moment der Nostalgie: Bei der Entwicklung des Sickenhäuser Ortskerns habe die Stadt eine große Chance vergeben, sagen Mayer und Nagel. »Sie hätte die Grundstücke gegenüber vom Rathaus kaufen sollen.« Tat sie aber nicht, stattdessen schlugen private Investoren zu. Und die Pläne für ein Pflegeheim an diesem Platz waren dahin.
Wie auch immer: Es überwiegen die guten Momente in den vergangenen 30 Jahren, sagen sie, die kleinen aber feinen Errungenschaften für das Dorf. "Man ist halt Ur-Sickenhäuser", sagt Nagel und zuckt mit den Schultern. »Da will man ja auch was tun für seine Gemeinde«. (GEA)