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Wieso dieser Reutlinger ein Cockpit im Keller hat

Bernhard Weber hat sich im Keller das Cockpit einer Boeing 737 nachgebaut. Die Illusion ist nahezu perfekt

»Before Takeoff Checklist completed«: Bernhard Weber macht sich in Reicheneck startklar für den Flug von Stuttgart nach Innsbruc
»Before Takeoff Checklist completed«: Bernhard Weber macht sich in Reicheneck startklar für den Flug von Stuttgart nach Innsbruck. FOTOS: ZENKE
»Before Takeoff Checklist completed«: Bernhard Weber macht sich in Reicheneck startklar für den Flug von Stuttgart nach Innsbruck. FOTOS: ZENKE

REUTLINGEN-REICHENECK. Die Alpen und der Pilot strahlen beim Blick aus dem Cockpit im Landeanflug auf Innsbruck. »One Thousand«, sagt eine Computerstimme, »approaching Minimums«. Mit 260 Kilometern pro Stunde nähert sich die Boeing 737 der Landebahn. »Five Hundred, one Hundred, Fifty, Fourty, Twenty, Ten«, dann setzt Bernhard Weber den Jet mit beiden Händen am Steuerhorn auf der Runway 26 auf. Das alles ist eine nahezu perfekte Illusion. Denn gestartet ist dieser Flug im Keller eines Mehrfamilienhauses in Reicheneck. Wie bitte?

Wo andere Marmeladengläser in Regalen stapeln oder ihr Fahrrad abstellen, hat sich der Reichenecker einen Flugsimulator gebaut, der einen umhaut. Hinter der Kellertüre blickt der Passagier in das echt aussehende Cockpit einer Boeing 737 in Originalgröße. Wirklich alles da, was dazugehört.

»Irgendwann kam der Wunsch nach einem richtigen Flugzeug«

Anzeigen, Schalter, Schubhebel, Monitore des Electronic Flight Instrument Systems, Kontrollleuchten, Pilotensitze und so weiter entsprechen dem großen Vorbild aus Seattle. Verbaut sind lauter Originalteile aus der richtigen Luftfahrt, kein Spielzeug. Wer jemals ein echtes Cockpit oder einen professionellen Flugsimulator zum Pilotentraining betreten durfte, für den ist dieser Kellerraum wie ein Wiedersehen. Auch die Tonkulisse ist täuschend realistisch. Während Weber erzählt, rauschen die Turbinen und eine Frauenstimme spricht in perfekten Englisch mit anderen Flugzeugen in der Luft und am Boden. Okay, es riecht nicht nach Kerosin, das fehlt. Ebenso jegliche Bewegungen dieses Cockpits. Man reibt sich dennoch die Augen – und fragt, warum der 72-Jährige das gemacht und wie er es geschafft hat. Weber meint bescheiden, auch dieses große Gesamtkunstwerk habe mal ganz klein begonnen.

Kaum zu glauben, aber wahr: Auch die Mittelkonsole des Flugsimulators entspricht dem echten Cockpit einer Boeing 737.
Kaum zu glauben, aber wahr: Auch die Mittelkonsole des Flugsimulators entspricht dem echten Cockpit einer Boeing 737. Foto: Stephan Zenke
Kaum zu glauben, aber wahr: Auch die Mittelkonsole des Flugsimulators entspricht dem echten Cockpit einer Boeing 737.
Foto: Stephan Zenke

»Ich hatte schon immer Interesse am Fliegen«, sagt der Fachmann für Elektronik und Elektrotechnik. Pilot wollte er aber niemals werden. Sein Arbeitsleben beginnt bei Wandel & Goltermann, wo er später Ausbilder ist. Ab 1993 engagiert er sich als Berufsschullehrer an der Ferdinand-von-Steinbeis-Schule in Reutlingen. Anfang der 2000er-Jahre kauft der Techniker sich ein damals wegen seiner Grafik und Funktionen sensationelles Programm namens Microsoft Flugsimulator – »bin zum Spaß mit Joystick und Tastatur geflogen«. Das sehr realitätsferne Abheben mit einer virtuellen kleinen Cessna – eines der meistgebauten einmotorigen Sportflugzeuge – vor dem Computer reicht dem Vater von drei erwachsenen Kindern bald nicht mehr.

Weber beginnt sich selbst wie ein gigantisches Puzzle etwas zu basteln, das der Wirklichkeit näherkommt. Die Baugeschichte wäre ein Buch für sich. Im Januar 2011 hat er sich schon ein richtiges Steuerhorn organisiert, steht dahinter im Buchregal eine Reihe echter Schalter. Es folgt ein Gearlever, das ist dieser Hebel zum Ausfahren und Einziehen des Fahrwerks. Dazu gesellen sich primitive Pedale für die Bedienung von Seiten- und Höhenruder; und so geht das Stück für Stück weiter. Faszinierend daran ist, welche Kraftanstrengung alles in Bezug auf die Technik darstellt.

Im Vorraum stehen Handbücher, hängt eine Uhr mit der in der Luftfahrt gebräuchlichen koordinierten Weltzeit (UTC). Dazu gibt es
Im Vorraum stehen Handbücher, hängt eine Uhr mit der in der Luftfahrt gebräuchlichen koordinierten Weltzeit (UTC). Dazu gibt es Bilder aus dem Leben des Luftfahrtfans. Foto: Stephan Zenke
Im Vorraum stehen Handbücher, hängt eine Uhr mit der in der Luftfahrt gebräuchlichen koordinierten Weltzeit (UTC). Dazu gibt es Bilder aus dem Leben des Luftfahrtfans.
Foto: Stephan Zenke

Hier baut ein Mann mit wenig Geld, aber viel Fachwissen, die eigentlich für ganz andere Anschlüsse vorgesehenen Flugzeugbauteile zur Nutzung an einem Computerprogramm um. Die Steuersäule der richtigen Boeing 737 – gemeint sind jetzt die älteren Modelle – ist im Jet etwa über Drahtseile mit den Rudern verbunden. Also musste Weber einen Mikrocontroller programmieren, der die eigentlich analogen Signale wie Ziehen und Drücken in digitale Impulse übersetzt. Wer jetzt ins Grübeln kommt, was damit gemeint ist, hat die Leistung des Elektrotechnikers bereits begriffen. Im Bezug auf den Flugsimulator ist der Reichenecker nimmersatt und niemals fertig.

»Ich hole mir die richtigen Flugpläne und fliege gerne händisch«

»Irgendwann kam der Wunsch, das mal nicht mit einer Cessna, sondern einem richtigen Verkehrsflugzeug zu probieren«, beschreibt er die Evolution. Für erhebliche Beschleunigung auf der Startbahn sorgt ausgerechnet der Abschied in die passive Phase der Altersteilzeit. »Meine Kollegen haben mir zum Abschied ein Ticket für den Flugsimulator von SimINN geschenkt«, erinnert er sich. Diese Simulatoren sind verdammt nah dran am richtigen Fliegen. Jetzt wird Weber umso aktiver, zieht mit seinem Bauprojekt in den Keller um. Die äußere Hülle des Boeing 737 Cockpits baut er mit Fenstern und oberer Abdeckung aus Holz und Kunststoff. Einen Teil der Instrumente kann er bei einem Fachhändler in Spanien erwerben. Im sonnigen Süden bekommt er auch sichtbare Elemente des Overhead Panels über den Köpfen der beiden Piloten. »Ich habe nur die Deckplatten bei Open Cockpit gekauft, die Schalter beim Elektrohändler. Die Intelligenz dahinter habe ich entwickelt«, beschreibt er den Baufortschritt. Wiederum macht das klar, wie sparsam und effizient das Kunststück im Keller entstanden ist. 2020 lässt Weber die Schüler der Ferdinand-von-Steinbeis-Schule an seinem Projekt sowie den dabei gesammelten Erfahrungen teilhaben, stellt jede Menge Dateien auf die digitale Lernplattform Moodle – sehr passend während der Monate der Corona-Pandemie. Er selbst nähert sich immer mehr einem richtigen Piloten an. Wenn der Reichenecker fliegt, dann vorschriftsmäßig. Wie die echte Crew beginnt er mit der Flugvorbereitung, checkt das Wetter, ordert die passende Menge Treibstoff, beachtet die Routenfreigaben und so weiter. »Ich hole mir die realen Flugpläne und fliege gerne händisch«, sagt er. Neben ihm sitzend entsteht so der Eindruck wirklich in die Luft zu gehen. Eine seiner Lieblingsstrecken ist die nach Innsbruck – weil der Überflug der Alpen beeindruckt sowie der Landeanflug schwierig ist. (GEA)

DER WEG INS COCKPIT

Wer im Cockpit des selbst gebauten Flugsimulators von Bernhard Weber sitzen möchte, darf sich gerne via Mail bei ihm melden und fragen. Gewiss ist das die günstigste Möglichkeit virtuell in die Luft zu gehen. Inklusive persönlicher Betreuung und Erklärungen. bweber@kabelbw.de Völlig unabhängig davon vermietet die Firma SimINN in Böblingen ihre professionellen Simulatoren gerne stundenweise auch an Laien. "Tauchen Sie selbst als Pilot für einen Tag in die faszinierende Cockpit- & Flieger-Welt ein", lautet das Versprechen, "echte Piloten unterstützen Sie bei Ihren Starts und Landungen". (zen) siminn.de