Logo
Aktuell Bestattung

Trotz vielfachen Wunsches: Keine Namens-Stele auf Reichenecks Friedhof

Die Stadt Reutlingen ist knapp bei Kasse und kann oder will sich deshalb keine Namens-Stele für Reichenecks Rasengräber leisten. Eine solche würde mit 15.000 bis 20.000 Euro zu Buche schlagen

Hinter dem schmiedeeisernen Tor erstreckt sich ein weitläufige Bestattungs-Areal.
Hinter dem schmiedeeisernen Tor erstreckt sich ein weitläufiges Bestattungs-Areal. Foto: Steffen Schanz
Hinter dem schmiedeeisernen Tor erstreckt sich ein weitläufiges Bestattungs-Areal.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN-REICHENECK.. Auf den ersten Blick wirkt Reichenecks Friedhof mit seinen 0,41 Hektar Nutzfläche, von denen aktuell gerade mal 800 Quadratmeter belegt sind, ziemlich überdimensioniert. Auf den zweiten Blick übrigens auch. Was wenig wundert. Zählt das Dorf doch gerade mal 895 Einwohner und ist damit die kleinste aller zwölf Reutlinger Bezirksgemeinden: klein, aber mit reichlich Raum für letzte Ruhestätten.

Warum das so ist? Bezirksbürgermeister Ulrich Altmann antwortet mit einem Schulterzucken. »Ganz ehrlich«, sagt er. »Ich habe keine Ahnung.« Und auf Mutmaßungen will sich der Schultes lieber nicht einlassen – nicht bei einem derart sensiblen Thema wie der Bestattungskultur. Deshalb nur so viel und zur Vergewisserung all jener, die die Nordraumgemeinde nicht wirklich kennen: Hier sind lebenslustige Leut’ beheimatet, und zwar ohne signifikant erhöhtes Sterblichkeitsrisiko oder kollektiven Hang zur Morbidität. Und ihr Friedhof? »Der ist eine Schenkung von Johannes Kurz« – halt eine in mancherlei Hinsicht großzügige.

Auch in Reicheneck gibt es ein Feld für Wiesengräber. Dieses um eine Namens-Stele zu bereichern, fände man im Flecken gut.
Auch in Reicheneck gibt es ein Feld für Wiesengräber. Dieses um eine Namens-Stele zu bereichern, fände man im Flecken gut. Foto: Steffen Schanz
Auch in Reicheneck gibt es ein Feld für Wiesengräber. Dieses um eine Namens-Stele zu bereichern, fände man im Flecken gut.
Foto: Steffen Schanz

Seines Zeichens Hofmeier, also eine Art Verwaltungsbeamter, hatte der gute Mann gegen Ende des 19. Jahrhunderts das üppige Grundstück an die Reichenecker verschenkt. Zumal der Weiler zu diesem Zeitpunkt noch über keinen eigenen Gottesacker verfügte. Anstatt seine Verstorbenen am Platze zu bestatten, wurden die Toten dereinst in Mittelstadt zu Grabe getragen: nach einem, wie der Ortschronik zu entnehmen, mühsamen 40-minütigen Trauermarsch querfeldein.

Leichentransporte in bedenklicher Schräglage

An der Spitze der Prozession: acht Träger, die die Bahre mit dem Leichnam von A nach B schleppten. Was insbesondere in schneereichen Wintern einer Kugelfuhr’ gleichkam und dazu führte, dass manch’ Leichentransport in bedenkliche Schräglage geriet …

Dass der Wiesenanteile auf dem Reichenecker Friedhof wadenhoch gewachsen sind, stört Bezirksbürgermeister Ulrich Altmann nicht –
Dass der Wiesenanteile auf dem Reichenecker Friedhof wadenhoch gewachsen sind, stört Bezirksbürgermeister Ulrich Altmann nicht – ujnd die Insekten freut’s. Foto: Steffen Schanz
Dass der Wiesenanteile auf dem Reichenecker Friedhof wadenhoch gewachsen sind, stört Bezirksbürgermeister Ulrich Altmann nicht – ujnd die Insekten freut’s.
Foto: Steffen Schanz

Diese unkommode Situation änderte sich erst 1895, als Reichenecks Friedhof in Betrieb genommen werden konnte. Wobei einer der ersten Verblichenen, die dortselbst beigesetzt wurden, Hofmeier Kurz war, dessen Grabmal bis heute auf dem Areal steht und die Nachwelt an seine Schenkung erinnert.

Besagte Nachwelt hat im Laufe der Dekaden eine Vielzahl unterschiedlichster Bestattungsformen und -rituale hervorgebracht, über die Johannes Kurz vermutlich Bauklötze staunen würde. Zu seinen Lebzeiten ging's nämlich streng uniform zu, blieb für individualisierte Trauerkultur keinerlei Spielraum. Zumal auf dem Lande, wo ausschließlich klassisch-kirchliche Erdbestattungen zelebriert wurden - und zwar ohne Särge. Statt ihrer griff man zu Laken, in die die Leichname eingenäht wurden. Und Urnen? Die hatten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Deutschen Kaiserreich Exotenstatus – obwohl zum Beispiel der Verband »Freidenker für Feuerbestattung« Kremationen offensiv bewarb und sogar Privatfriedhöfe betrieb, um Bestattungen jenseits des »christlichen Kults« zu ermöglichen.

Der Trend geht heute definitiv zur Urne

Heute indes geht der Trend definitiv zur Urne, zu individualisierten Ritualen und zur Pflegeleichtigkeit. Weshalb anonyme Bestattungen, solche in Friedwäldern oder auf Rasenflächen stark im Kommen sind: oft testamentarisch verfügt oder weil die Hinterbliebenen weit entfernt wohnen und sich deshalb nicht selbst um die Grabpflege kümmern können.

Auch in Reicheneck gibt es seit geraumer Zeit ein Rasenfeld – mit einer Handvoll kleiner Gedenksteine und Kreuze, die allerdings einer Aufstellungssystematik folgen, die sich dem Betrachter nicht erschließen will. Stehen die einen doch dem Gehweg zu-, die anderen diesem abgewandt. Und manchmal werden hier außerdem Blumentöpfe, Keramikfigürchen oder Pflanzschalen abgelegt, die weder im Sinne des Erfinders noch im Sinne der Technischen Betriebsdienste (TBR) sind.

Deren fürs Rasenmähen zuständige Mitarbeiter finden es jedenfalls hinderlich, erst einmal Kerzen, Blumen und anderen Zierrat beiseite schaffen zu müssen, ehe sie ihre eigentliche Arbeit aufnehmen können. Mal ganz davon abgesehen, dass für Wiesengräber schmückende Dreingaben überhaupt nicht vorgesehen, ja sogar amtlich untersagt sind. Weshalb es auf den größeren Reutlinger Friedhöfen wie beispielsweise der historischen Anlage Unter den Linden immer mal wieder zu Konflikten zwischen Verwaltung und uneinsichtigen Hinterbliebenen gekommen ist und kommt.

Zentrale Namens-Stele für mehr Ordnung erwünscht

Derlei Scharmützel, so Bezirksbürgermeister Ulrich Altmann, sind in Reicheneck bislang ausgeblieben. Gleichwohl ist er der Meinung, dass man sich an die Spielregeln halten sollte. Und: Er würde der Ordnung halber eine zentrale Namens-Stele (nebst legaler Blumenablagemöglichkeit) - etwa einen Obelisken mit Erinnerungstäfelchen für die in nächster Nachbarschaft liegenden Verstorbenen - begrüßen. Womit er übrigens nicht alleine dasteht. Wurde dieser Wunsch doch schon mehrfach aus den Reihen der Dorfgemeinschaft an ihn herangetragen.

Allein: Namens-Stelen kosten Geld. »Zwischen 15.000 und 20.000 Euro müssten dafür aufgebracht werden«, weiß Altmann. Zu viel für die Stadt Reutlingen, deren auf Kante genähter Haushalt solche Extras nicht hergibt. Was Reichenecks Schultes jedoch nur bedingt nachvollziehen kann. Er denkt in diesem Zusammenhang an eine für Namenstäfelchen zu entrichtende Gebühr, die mit die Anschaffung irgendwann amortisieren würde.

Irgendwann - so die Idee - soll Reichenecks Friedhof außerdem behutsam umstrukturiert werden. Da die Anlage tatsächlich überdimensioniert ist, plant die Friedhofsverwaltung Grabfelder künftig zusammenrücken und im westlichen Bereich des Areals zu konzentrieren. Damit würde im östlichen, dem der Heidenwasenstraße zugeneigten Teil, Freifläche geschaffen, die einer Neunutzung zugeführt werden könnte. Wiewohl heute noch niemand zu sagen weiß, was an Ort und Stelle künftig machbar ist. (GEA)