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Bauarbeiten statt Gottesdienste: Warum Reichenecks Dorfkirche geschlossen ist

Reichenecks denkmalgeschützte Dorfkirche ist in Mitleidenschaft gezogen. Feuchtigkeit ist in den Altarbereich und die Sakristei eingedrungen und hat bodennahe Holzbalken zersetzt. Statisch ist das Gotteshäusle zwar nicht gefährdet, teilrestauriert muss es aber dennoch werden. Deshalb bleibt die Tür des von Star-Architekt Martin Elsässer entworfenen Sakralbaus bis auf Weiteres geschlossen.

Ausnahmezustand: Der Altarbereich in Reichenecks Dorfkirche ist derzeit eine Baustelle.
Ausnahmezustand: Der Altarbereich in Reichenecks Dorfkirche ist derzeit eine Baustelle. Foto: Frank Pieth
Ausnahmezustand: Der Altarbereich in Reichenecks Dorfkirche ist derzeit eine Baustelle.
Foto: Frank Pieth

REICHENECK.. Die gute Nachricht gleich vorab: Reichenecks denkmalgeschützte Dorfkirche wird nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. »Wir können allen Besorgten Entwarnung geben«, sagt Pfarrerin Irmela Burkowitz und räumt damit Gerüchte aus, wonach der schmucke Sakralbau im Herzen von Reutlingens kleinster Bezirksgemeinde einsturzgefährdet sei. »Davon kann überhaupt keine Rede sein«, betonen auch Kirchengemeinderatsvorsitzender Roland Föll und Kirchengemeinderat Christian Fink: »Die Statik ist absolut sicher«. Wiewohl der unlängst entdeckte, Stand heute noch nicht bezifferbare Schaden trotzdem dazu geführt hat, dass das 114 Jahre alte Gotteshäusle baustellenbedingt bis auf Weiteres für Besucher gesperrt bleibt.

Feuchtigkeit ist in die Eichenschwellen eingedrungen und hat sie zersetzt

Feuchtigkeit heißt die Übeltäterin, die den wuchtigen Eichenschwellen im Altarraum über die zurückliegenden Dekaden zugesetzt hat. Und zwar solchermaßen heftig, dass von den einst 18 Zentimeter starken Balken nurmehr Reste übriggeblieben sind. Was der Tatsache geschuldet ist, dass das Holz direkt auf wasserdurchlässigem Sandstein aufliegt - ungeschützt und ohne jedwede Nässe-Bremse. Mit dem Resultat, dass in diesem Fall steter Tropfen zwar nicht den Stein, wohl aber das Holz »gehöhlt« hat.

Entdeckt wurde der Schlamassel bereits Mitte September. Weil sich Bodenfliesen im Altarraum stolpergefährlich verschoben hatten, war ein Fachmann damit beauftragt worden, das Malheur zu beheben. Zu diesem Zeitpunkt rechnete man in Reicheneck noch mit einem überschaubaren Reparaturaufwand: Fliesen weg, Untergrund ebnen, Fliesen drauf, fertig! Doch dann die Hiobsbotschaft: Der Schaden ist deutlich schlimmer, als gedacht, wiewohl weit weniger schlimm, als während der ersten Schrecksekunden befürchtet. Denn immerhin: Die maroden Balken können - ohne die Kirche ins Wanken zu bringen - von Zimmerern ausgetauscht werden. Und weil das hinzugezogene Denkmalamt den Einbau einer Betonplatte zwischen Erdreich und Fliesenbelag genehmigt, dürfte Reichenecks Dorfkirche bald wieder tipptopp in Schuss sein.

Normalzustand:  Wenn alles gut läuft, wird Reichenecks Dorfkirche bald wieder ihren heimeligen Charakter zurückbekommen.
Normalzustand: Wenn alles gut läuft, wird Reichenecks Dorfkirche bald wieder ihren heimeligen Charakter zurückbekommen. Foto: Gerlinde Trinkhaus
Normalzustand: Wenn alles gut läuft, wird Reichenecks Dorfkirche bald wieder ihren heimeligen Charakter zurückbekommen.
Foto: Gerlinde Trinkhaus

Bis dahin ist jedoch Geduld gefragt. Burkowitz, Föll und Fink schätzen nämlich, dass die Teilsanierung mindestens sechs Monate in Anspruch nehmen wird - ohne dass Kirchgänger auf Gottesdienste vor Ort verzichten müssen. Denn erstens hat Pfarrerin Irmela Burkowitz für Andachten in kleinerem Rahmen einen heimeligen Sakralbereich nebst Behelfsaltar, E-Piano und Bestuhlung geschaffen und zweitens steht die kommunale Herzog-Ulrich-Halle (HUH) überbrückungsweise für geistliche Großveranstaltungen zur Verfügung.

Profaner Ausweichort für Großgottesdienste: Die Herzog-Ulrich-Halle

Jüngst wurde hier, also in der HUH, bereits Erntedank gefeiert; und auch an Heiligabend wird die ansonsten dem Sport-, Vereins- und weltlichen Gemeindeleben vorbehaltene Zweckimmobilie allen Reicheneckern offenstehen, die sich mit Krippenspiel und Schriftlesung auf Weihnachten einstimmen lassen möchten. Was im Flecken - die nüchterne Halle ist nun mal kein adäquater Ersatz für die anheimelnde Atmosphäre in der Dorfkirche - zwar mit Bedauern quittiert wird, aber dennoch nicht zu ändern ist.

Mal ganz davon abgesehen, dass Kirchengemeinden in den benachbarten Teilorten ja ebenfalls Festgottesdienste abhalten und die Reichenecker gerne willkommen heißen. Was insbesondere für Mittelstadts Martinskirche gilt, die neuerdings qua Fusion mit Reicheneck eine sogenannte Verbundgemeinde bildet: gemeinsame Pfarrstelle und gemeinsamer Kirchengemeinderat inklusive.

Feuchtigkeit hat dem bodennahen Gebälk massiv zugesetzt. Das zerfressene Holz muss ausgetauscht werden.
Feuchtigkeit hat dem bodennahen Gebälk massiv zugesetzt. Das zerfressene Holz muss ausgetauscht werden. Foto: Wolfgang Geisel
Feuchtigkeit hat dem bodennahen Gebälk massiv zugesetzt. Das zerfressene Holz muss ausgetauscht werden.
Foto: Wolfgang Geisel

Das evangelische Reicheneck und sein Mittelstädter Pendant ziehen damit mehr denn je an einem Strang und nutzen Synergieeffekte. Denn besondere Umstände - Pfarrermangel, Kirchenaustritte und Sparzwänge - erfordern zuweilen besondere Maßnahmen.

Manchmal führen sie sogar zurück zu den Wurzeln. Wie das Beispiel Reicheneck zeigt, das einst - bis kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert - strukturell-spirituell aufs Engste mit Mittelstadt verbandelt war. Wobei Mittelstadt damals die »Mutterrolle« zukam und Reicheneck als deren Filiale firmierte - als »Tochter«, die allerdings irgendwann flügge wurde, sich emanzipierte und …

... tja, dieser Teil der Dorfhistorie ist eine Geschichte für sich (siehe unten stehenden Artikel). Sie erklärt, weshalb Reicheneck seinem vom in späteren Jahren berühmten Architekten Martin Elsaesser entworfenen Gotteshaus besonders verbunden war und dies bis heute ist. (GEA)