REUTLINGEN-OFERDINGEN. Wem steigen beim Gedanken an eine Kläranlage nicht sofort wenig schmeichelhafte Gerüche in die Nase? Na klar gibt es die auch im Klärwerk Reutlingen-Nord. Aber: Was da an Technik, Mechanik, an biologischen und chemischen Reinigungsstufen eingebaut ist – daran denken wohl die wenigsten beim Anblick einer Kläranlage. Die am Ortsrand von Oferdingen ist für die Reinigung und Klärung der Haushalts-, Industrie- und auch Straßenabwässer der Gemeinden im Reutlinger Nordraum zuständig, wie Oliver Ruf, Abteilungsleiter Abwasserreinigung bei der Stadtentwässerung Reutlingen (SER), bei einer Führung durch das Klärwerk Nord erläutert.
Beim Gang durch einen Abwasserlehrpfad verdeutlicht Ruf, wie all das Schmutzwasser von bis zu 79.000 Einwohnern gereinigt wird. Die Schmutzwassermenge, die vorne in das Klärwerk einläuft, betrage durchschnittlich etwa 12.000 Kubikmeter pro Tag.
Gereinigt wird zunächst mechanisch in einem "Geröllfang". Was da so alles in den Abwässern sein kann, zeigt Ruf anhand eines Containers: Viel Sand, Kiesel, Steine, Geröll und sogar tote Ratten finden sich darin. Es folgt ein "Rechenge-bäude, in dem ebenfalls gröbere Schmutzstoffe herausgefiltert werden. "Hier riecht es am extremsten", sagt Ruf. Der Hinweis wäre nicht notwendig gewesen. "Alle wichtigen Anlagenteile sind doppelt vorhanden", so Ruf. Denn: Sollte eine Reinigungsstufe ausfallen, muss sofort die zweite einspringen. Weil sonst eine Vergiftung im Klärwerk und nachfolgend auch im Neckar erfolgen würde. Die nächste Stufe ist der Sand- und Fettfang. "Hier wird Luft reingeblasen", so Ruf. Aber: Der Sand, der zu Boden sinkt, "ist kein Spielkastensand."
»Es gibt 365 Tage im Jahr eine 24-Stunden- Rufbereitschaft«
Zehn Beschäftigte arbeiten im Klärwerk Reutlingen-Nord, darunter sind Mechaniker, Schlosser, Elektriker, Meister und auch Florim Kqiku, der Leiter der ganzen Anlage. »Alles wird hier elektronisch überwacht«, betont er. Sollte ein Fehler gemeldet werden, müsse sofort reagiert werden. Egal, ob morgens um 10 Uhr oder nachts um 3. »Es gibt 365 Tage im Jahr eine 24-Stunden-Rufbereitschaft«, so Kqiku.
Und egal, welche Fehlermeldung dann kommt – ob etwa der pH-Wert des einströmenden Abwassers viel zu hoch ist, ob ein Rechen in einem Becken ausgefallen ist oder eine elektronische Fehlermeldung – der Rufbereitschaft muss immer klar sein, was zu tun ist, betont Oliver Ruf. Da gehöre viel Wissen und viel Erfahrung dazu, um die richtigen Entscheidungen zu tref-fen.
Ist der Fachkräftemangel ein Thema? »Ja«, kommt die Antwort sofort. Ausgebildetes Personal zu finden sei schwierig, noch viel schwieriger, Azubis zu gewinnen. »Dabei ist die Ausbildung zum Umwelttechnologen ein sehr interessanter und abwechslungsreicher«, so Ruf. Zumal Wasser das Thema der Zukunft sei.
Es geht weiter zu den Vorklärbecken, wo der »Primärschlamm« sich absetzt, dann in den Faulturm gepumpt wird, dort »ausfault« und Methangas entsteht. »Damit wird in den beiden Blockheizkraftwerken auf dem Gelände Strom und Wärme erzeugt«, so Oliver Ruf. Bis zu 40 Prozent des benötigten Stroms in der Anlage werden selbst produziert.
Nach der mechanischen Reinigung des Wassers seien rund 40 Prozent der Verschmutzung beseitigt, »bis in die 1960er- Jahre wurde das Wasser so in den Fluss geleitet«. Schon lange folgt aber in den Kläranlagen nach der mechanischen die biologische »Belebung« – um Phosphor zu entfernen.
In der Denitrifikation und Nitrifika-tion wird in den Becken Sauerstoff in die braune Brühe eingeblasen, Ammoniumverbindungen werden aufgespalten. Nitrat werde in Stickstoff umgewandelt. Der dann in die Atmosphäre entweiche. »Hier wird immer gerührt, damit keine Totzone entsteht«, betont Ruf. Mit Sonden wird der Sauerstoffgehalt in allen Becken gemessen, entsprechend funktioniere die Steuerung der Reinigung in der Anlage.
Dann folgt die chemische Reinigung, »hier wird ein Fällmittel zugegeben, um die letzten Reste von Phosphor rauszuholen«. Im Nachklärbecken setzt sich durch die Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit erneut der Schlamm ab. »Hier ist eine Reinigungsleistung von 98 Prozent erreicht, das Wasser geht so in den Neckar.« Die restlichen zwei Prozent werden durch die dort vorhandenen Bakterien erledigt.
Oliver Ruf führt in den Untergrund hinein, durch lange Gänge mit sehr dicken Rohren. Ein Blick in den Maschinenraum zeigt riesige Gebläse, die für das Ansaugen der Außenluft zuständig sind. »Hier wird die Luft verdichtet.« Und dann in die Belebungsbecken weitergeleitet.
Wieder oben angelangt, zeigt Oliver Ruf die »maschinelle Überschussschlammentwässerung«. Von dort aus »geht« der Schlamm ebenfalls in den Faulturm – es erfolgt die Stromgewinnung durch Gas und BHKW. Was übrig bleibt, ist Schlamm, in dem immer noch 98 Prozent Wasser enthalten sind.
Durch eine Zentrifuge wird der Wasseranteil auf 30 Prozent reduziert, der Schlamm dann per Lkw zur Verbrennung in Zementwerke oder in Müllverbrennungsanlagen gebracht. 9.000 Tonnen Klärschlamm fallen im Klärwerk Nord und West (bei Betzingen) pro Jahr an. Rund eine Million Euro koste die Entsorgung jährlich. Eine Menge Geld, die über die Abwassergebühren von allen Bewohnern und Industriebetrieben getragen werden. Und sonst? Der Blick von den beiden Faultürmen herunter aufs Neckartal ist wirklich berauschend. (GEA)