REUTLINGEN-OFERDINGEN. Als die Kriminalpolizei vor seiner Türe stand, war Markus Schröder erst mal einfach nur schockiert, erzählt er. Der Fußball-Vorstand des TSV Oferdingen wurde darüber informiert, dass ein Mann, der jahrelang im TSV als Jugendleiter und Jugendtrainer tätig gewesen war, Kinder sexuell missbraucht und Kinderpornos hergestellt und verbreitet haben soll. Ein schlimmer Missbrauchsfall im Heimatdorf, im eigenen Verein. Das löst Fassungslosigkeit aus. Die Beamten baten Schröder um Mithilfe bei der Suche nach alten Vereinskollegen und Fußballkindern. Schließlich waren seit den Vorfällen schon mehr als zehn Jahre vergangen.
Schröder wurde an diesem Tag gleich doppelt geschockt. Denn auch sein ältester Sohn hatte ein Jahr lang das Bambini-Fußballtraining beim Täter besucht. Er hatte Glück gehabt, war nicht zum Opfer geworden. Andere Kinder aus der Reutlinger Bezirksgemeinde dagegen schon. Jahrelang hatte sich der aus Nordrhein-Westfalen zugezogene, heute 55-jährige Mann das Vertrauen der Kinder erschlichen und sie missbraucht. Irgendwann waren erste Gerüchte im Dorf aufgekommen.
Doch der TSV hat darauf nach Aussage eines Kriminalbeamten vor dem Landgericht nicht reagiert. Zwei Familien hatten ihre Kinder daraufhin sogar aus dem Training genommen. Aufgeflogen ist der Täter erst Jahre später durch die Arbeit amerikanischer Web-Ermittler.
Wie konnte es so weit kommen? Warum hat niemand reagiert? »Dazu kann ich nichts sagen«, sagt Markus Schröder. 2020 wurde die komplette Vorstandsriege des TSV ausgetauscht. Von den Personen, die damals im Amt waren, hat laut Schröder heute niemand mehr eine Funktion inne.
»Er war ein Mensch, zu dem man ganz schnell Vertrauen fassen konnte«
Klar wird beim Gespräch mit ihm aber auch: Als er 2020 den TSV mit übernahm, war dieser in Sachen Jugendschutz noch nicht so weit wie andere Vereine. Übungsleiter mussten beispielsweise kein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Bei anderen Vereinen damals schon gang und gäbe. Ein Zustand, den Schröder und seine neuen Vorstandskollegen änderten. Es gibt nun auch einen Verhaltenskodex zum Thema Jugendschutz. Bemerkenswert ist: Der TSV Oferdingen war nicht der einzige Verein, in dem der nun zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilte Sexualstraftäter in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv war.
Er war auch im Liederkranz Oferdingen tätig. Negativ aufgefallen ist er dort aber nicht. Das schildern zumindest vier Mitglieder dem GEA. Er hat im Jungen Chor und im Gemischten Chor gesungen, zeitweise auch die Betreuung im Kinderchor unterstützt. »Der Betroffene hat kein offizielles Amt innegehabt. Er war unauffällig und hat sich engagiert, wenn es etwas im Verein zu tun gab«, sagt Helmut Walz, Vorsitzender des Liederkranzes.
Der Täter war zudem vor einigen Jahren in der örtlichen Grundschule als Nachhilfelehrer aktiv. Nach GEA-Informationen sei es dort jedoch zu Schwierigkeiten gekommen. Eltern hätten nicht gewollt, dass ihre Kinder von ihm in der Kleingruppe unterrichtet werden. Daraufhin hätte er sich nicht mehr engagiert.
Die Schule ist durch sehr begrenzte Öffnungszeiten des Sekretariats nur schwer zu erreichen. Auf GEA-Anfrage kam folgende Antwort per Mail von Schulleiterin Anna Istler: »Leider kann ich zu den schrecklichen Vorfällen in Oferdingen nichts sagen. Die Ereignisse waren vor meiner Zeit. Hier arbeitet ein neues und junges Kollegium. Ich selbst bin erst seit fünf Jahren an der Schule tätig. Uns allen ist der Täter völlig unbekannt.« Weitere Fragen, die der GEA zur Präventionsarbeit gestellt hat, hat die Schule bisher nicht beantwortet.
Bei Gesprächen im Ort erfährt man, dass der Mann während der Zeit in Oferdingen seinen Nachnamen geändert hat. Zudem war er nicht nur in Vereinen aktiv, er hat sich das Vertrauen der Dorfgemeinschaft auch auf weiteren Wegen erschlichen. Beispielsweise war er mit seinem Hund regelmäßig bei einer »Hunde-Runde« im Ort unterwegs. Eines der Opfer hatte sich bei der Befragung durch die Polizei noch nach dem Wohlergehen des Hundes erkundigt. Am ersten Verhandlungstag wurde zudem deutlich: Trotz der schlimmen Vorfälle haben zwei der Opfer den Täter als Freund angesehen.
Die Oferdinger Bezirksbürgermeisterin Ute Stähle zeigt sich über den Kindesmissbrauch in ihrem Ort »total entsetzt«. Sie habe von den Vorfällen erst aus der Zeitung erfahren. »Mir gegenüber hat er einen freundlichen Eindruck gemacht, war immer hilfsbereit. Er war ein Mensch, zu dem man ganz schnell Vertrauen fassen konnte«, sagt sie über den nun verurteilten Mann. (GEA)