REUTLINGEN-GÖNNINGEN. Am Ende von Gönningen, kurz vor der Steige Richtung Genkingen, fallen die Bäume, wie sie wollen. Hier befindet sich am Stöffelberg ein Bannwald. Diese Wälder haben für die Tier- und Pflanzenwelt große Bedeutung. Und im Zuge des Klimawandels werden sie immer wichtiger.
Wenn haufenweise Holz zwischen den Bäumen liegt, heißt es nicht, dass hier nicht aufgeräumt wird. Dann blickt man höchstwahrscheinlich in einen Bannwald. »Das sind Wälder, die nicht bewirtschaftet werden und keinerlei menschlichem Einfluss ausgesetzt sind, soweit es geht«, erklärt Katrin Reichenecker vom Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt Reutlingen. »Wenn hier was umfällt, bleibt es liegen.« Ihr Kollege Marcus Haas erläutert: »Hier dürfen die Bäume ihren natürlichen Prozess durchleben.« Nichts wird gefällt, und nichts wird weggeräumt, wenn es mal gefallen ist. Die Natur nimmt ihren Lauf.
Im Totholz steckt viel Leben
Das birgt für den Wanderer und den Spaziergänger zwar eine erhöhte Gefahr durch herabfallende Äste, aber so ist es möglich, den Tieren und Pflanzen eine möglichst natürliche Umgebung für ihre Entwicklung zu bieten. In einem so unberührten Gebiet floriert das Leben intensiver. »Der Bannwald mit seinem Totholz ist wichtiger Lebensraum für viele Lebewesen. Hier finden wir den Alpenbock-Käfer, den Schwarzspecht, aber auch viele Schmetterlinge und Spechte«, erklärt Haas. Fledermäuse, Eulen und Käuze nutzen die Spalten alter Bäume. Besonders stolz sei man auf das Bergkronenwicke-Widderchen. Ein Schmetterling, der inzwischen sehr selten geworden ist. Seit 1999 ist das Gebiet am Stöffelberg bei Gönningen schon Bannwald.
Aber nicht nur für die Schaffung von Lebensraum hat der Bannwald Bedeutung. »In den vergangenen 25 Jahren ist ein anderer Aspekt sehr wichtig geworden«, erläutert Georg Baumbusch, Revierleiter im Forstrevier Gönningen. »Der Klimawandel schreitet schneller voran als gedacht. Hier in den Bannwäldern können wir sehen, wie die Tiere und Pflanzen darauf reagieren.« Wo die Buche für viele Jahre der Vorzeigebaum der Region war, wird ihr nun langsam der Rang von der Eiche abgelaufen. »Die Eiche kommt mit trockenem und heißerem Klima besser klar als die Buche. Und wir sehen, dass sie sich immer mehr ausbreitet«, so Baumbusch.
Noch mehr naturnahe Urwälder sollen im Kreis entstehen
Das zeigt einen weiteren Vorteil der unberührten Waldgebiete. »In den Bannwäldern können wir im Monitoring wissenschaftlich und langfristig die Entwicklung von Lebensräumen und Artenvielfalt untersuchen«, so Reichenecker. Monitoring trägt zum Verständnis der Entwicklung von Biodiversität bei und stellt ein wesentliches Handlungsfeld für Biosphärengebiete dar, wie es die Schwäbische Alb seit 2009 ist. Solche Gebiete zeichnen eine großräumige und reiche Naturausstattung aus. Reutlingen ist eine der wenigen Großstädte in einem Biosphärengebiet.
Auch deshalb sei eine Ausweitung des Bannwalds geplant. Direkt im Anschluss an den Stöffelberg soll ein weiteres 69 Hektar großes Gebiet sich selbst überlassen werden. Zusammen mit der benachbarten Kommune Sonnenbühl sogar ein 105 Hektar großer Bereich. Und so sollen noch mehr naturnahe Urwälder in Reutlingen und Umgebung entstehen. (GEA)