REUTLINGEN-BRONNWEILER. Baiereck heißt derzeit das Mekka der ideologischen Windkraftgegner – und auch all derjenigen, die eine der Bürden der Energiewende tatsächlich tragen müssen, weil ein Windrad in ihre nächste Nähe gesetzt wird. In dem 600-Seelen-Dorf im Landkreis Göppingen fühlen sich Bewohner insbesondere durch Lärm massiv gestört und des Nächtens um den Schlaf gebracht. Die Beeinträchtigung ist auch bei geschlossenen Fenstern so groß, dass laut einer Umfrage gut die Hälfte der Bürger einem Wegzug erwägt. Derzeit sind die Räder abgestellt.
Auch in Bronnweiler geht die Angst um, seit sich nach den aktuellen Plänen des Regionalverbandes abzeichnet, dass sich die ersten Rotoren auf Reutlinger Gemarkung im Norden des Dorfes beim Käpfle drehen könnten. Und so sind auch die Bronnweiler Räte gen Baiereck gepilgert.
Der Ausflug hat Sorgen verstärkt. In der jüngsten Sitzung des Ortschaftsrates berichtete Gremiumsmitglied Markus Jetter unter anderem, dass Baiereck eine ähnliche Topografie wie Bronnweiler habe. Auch die Entfernung zwischen den Rädern und der ersten Wohnbebauung sei ähnlich, könne in Bronnweiler sogar noch geringer ausfallen.
»Lasst uns nicht allein. Wir brauchen Unterstützung«
Bezirksbürgermeisterin Friedel Kehrer-Schreiber sieht einen entscheidenden Unterschied: In Baiereck stünden Oberbürgermeister und Landrat hinter den Bürgern. »Bei uns hat man sich auf den Standort eingeschossen.« Sie appellierte an hiesige Amts- und Würdenträger: »Lasst uns nicht allein. Wir brauchen Unterstützung.«
»Geht auf die Straße, Bronnweiler Bürger«, empfahl Willi Neu den Seinen dann in der Bürgerfragestunde, auch wenn man »im Dunkeln tappt, wann’s kommt und wie schnell.« Dem Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck unterstellte er, ihn interessiere nur die Wirtschaft. Die Stadt als Haupteigentümerin der vom Regional-Verband ausgemachten Potenzialflächen schiele nur auf die Pachteinnahmen. »Das ist eine Schweinerei«, wetterte er.
Politischer Grund
Markus Jetter erinnerte daran, dass der Beweggrund, die Windräder im Bereich des Regional-Verbandes zu verteilen und nicht zu konzentrieren, ein politischer sei: »Nicht nur die Alb soll die Kröte schlucken.«
Und wie geht es derweil im Schurwald weiter? Der GEA hat bei Vincent Krapf nachgefragt. Der Ortsvorsteher des Uhinger Stadtteils Nassachtal-Diegelsberg, zu dem Baiereck gehört, ist ein gefragter Gesprächspartner und gibt gern Auskunft zum Thema.
Mit knapp 240 Metern Höhe seien die beiden Windkraftanlagen höher als der Stuttgarter Fernsehturm: »Denn wir sind ein sehr windschwaches Gebiet.« Zu hoch, zu nah, die Relationen stimmen nicht, so der Vorwurf der Bürgerschaft. Der Ortschaftsrat legte dem Landrat über 1.000 Unterschriften gegen das Projekt vor. Seit Bekanntwerden des Standorts 2016 habe sich Widerstand im Dorf geregt. Bürgerinitiative, Schallgutachten – zunächst fruchtete der auch von der Kommune unterstützte Protest.
Erst mit Lockerung der Vorgaben durch den Bund im Jahr 2022 wurde der Standort im Schurwald möglich. Uhingen habe sogar noch hoch bis zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim geklagt. Erfolglos. Ende Dezember 2024 gingen die beiden Räder in Betrieb. 780 Meter von den ersten Häusern entfernt. Auch Vincent Krapf selbst wohnt dort und kann aus eigener Erfahrung berichten. Je nach Windtempo werden unterschiedliche Töne erzeugt. Mal klängen sie wie ein Flugzeug, das über dem Ort steht, mal erzeugten die Rotorblätter ein Wusch-Wusch-Geräusch, mal ertöne ein tieffrequenter Dauer-Brummton, der selbst durch geschlossene Fenster und Rollläden dringe. Der Lärmgrenzwert werde dabei teilweise überschritten.
Topografie nicht einkalkuliert
Verstärkt die Lage in einem engen Tal die Schalleffekte? Wirkt sie wie ein Trichter? Bei offiziellen Berechnungen der zu erwartenden Schallemissionen werde die Topografie nicht mit einkalkuliert, klagt der Ortsvorsteher, der auch Uhinger CDU-Stadtrat ist. Andere Orte in ähnlichem Abstand hörten deutlich weniger, sagt Krapf, der auf baldige Klärung der Lage hofft: "Die Zusammenarbeit mit der Genehmigungsbehörde, dem Landratsamt, und dem Betreiber ist konstruktiv und lösungsorientiert." Letzterer gehe aktuell von einem technischen Defekt aus. Das bestätigt Dr. Matthias Pavel von Uhl Windkraft in Ellwangen auf GEA-Nachfrage. Zusammen mit Hersteller Nordex habe man die Ursache der laut wahrnehmbaren Brummgeräusche gesucht, dabei mittlerweile auch drei Schallvermessungen durchführen lassen. Der Gutachter habe eine sogenannte "Tonhaltigkeit" festgestellt, eine bestimmte Tonfrequenz, "die als sehr laut wahrzunehmen ist. Das ist "unzulässig".
Hersteller Nordex gehe von einem Defekt an den Getrieben aus. Sollte sich keine Reparaturlösung finden, werde man sie durch neue, mangelfreie ersetzt. Bis zur Lösung des Problems würden die Räder nicht betrieben, verspricht Pavel.
»Baiereck taugt nicht als Beispiel für generelle Probleme mit Windkraftanlagen«
"An anderen Windkraftanlagen hatten wir ein solches Problem noch nicht", berichtet er weiter. Auch dem Hersteller seien derartige Probleme an diesem Anlagentyp nicht bekannt."
Deshalb tauge das Beispiel Baiereck nicht als Beispiel, dass Windkraftanlagen generell Probleme machten und Bürger in anderen Ortschaften befürchten müssten, nachts nicht mehr schlafen zu können.
System funktioniert
Im Gegenteil zeige das Beispiel, dass das System funktioniert: Die Genehmigung gibt bestimmte Schallwerte vor, die einzuhalten sind. Wäre dies der Fall, entstünden auch keine Brummgeräusche oder sonstigen unzumutbaren Beeinträchtigungen. »Werden sie aber nicht eingehalten werden, ist der Betrieb der Anlagen unzulässig und wird unterbunden.«
In Baiereck ist die Lust auf Energiewende mutmaßlich jedenfalls nachhaltig miniert. Auch wenn die Getriebe getauscht sind, wird es im Dorf nicht mehr ganz leise werden. Bis zu 41 Dezibel in der Nacht sind genehmigt am Standort, berichtet Vincent Krapf. »Da stellen wir uns drauf ein im Dorf«, in dem es keine nennenswerte Infrastruktur gebe: »Die Leute sind wegen der Ruhe hierher in den Schurwald gezogen.«
Seit sieben Jahren beschäftige das Thema die Bürger. Dass nun schlimme Befürchtungen eingetreten sind, führe zu »Resignation«. Er selbst sei kein Windkraftgegner – im Gegenteil. Den Standort gegen den Willen von Bürgern und Kommunen durchzusetzen, hält Vincent Kraft jedoch im Interesse der Energiewende für falsch. Seiner Meinung nach eine Folge ist der Zulauf für die AfD in Baiereck. 38 Prozent bei der letzten Bundestagswahl bekam die Partei, die im Wahlkampf beim Würstchengrillen im Dorf eine Forderung verkündete, die sehr gut ankam: »Windräder abreißen.« (GEA)