REUTLINGEN-BETZINGEN. Ein Dorffest gibt’s in Betzingen wegen der Großbaustelle in der Hoffmannstraße in diesem Jahr nicht, aber Langeweile kommt im Ort deshalb noch lange nicht auf. Dafür sorgt der Bezirksgemeinderat, der nicht nur viele pfiffige Ideen hat, sondern sie auch ratzfatz umsetzt. Deshalb geht’s Schlag auf Schlag im größten Reutlinger Ortsteil. Ein Bücherschrank für die Steinachstraße, das große Graffiti-Event am Bahndamm, das Revival des Freiluft-Schachbretts - und am kommenden Samstag der erste Garagen-Flohmarkt, der jetzt schon alle Erwartungen übertrifft. Aber es kommt noch besser: Demnächst startet Betzingen eine eigene Imagekampagne. Die Reutlinger dürfen gespannt sein.
Im März der neue Bücherschrank, im Mai die Wiederherstellung des Open-Air-Schachbretts hinter der Kirche, im Juni das Streetart-Wochenende, bei dem Graffiti-Künstler die Bahnmauer beim Friedhof in ein kunterbuntes Kunstwerk verwandelten - alles Projekte, die auf Initiative des Betzinger Bezirksgemeinderates zustande kamen. Und am Samstag, 5. Juli, von 10 bis 16 Uhr folgt schon das nächste Event: der erste Betzinger Garagen-Flohmarkt. »Das könnte man für Betzingen auch mal machen«, war die Idee, die in einer Ortschaftsratssitzung aufkam, und, so Jenny Winter Stojanovic, »hoppladihopp« in die Tat umgesetzt wurde. Die einen nahmen zwecks Erfahrungsaustausch Kontakt zu Leuten auf, die schon mal einen Garagen-Flohmarkt organisiert haben. Andere kümmerten sich um Plakate und Flyer, wieder andere um die Instagram-Werbung. Bezirksamtsleiter Dominic Campanale organisierte die digitale Karte, in der er die Mails der Anbieter mit Verkaufsadresse samt Angebot einpflegte und die auf Reutlingens städtischer Website zu finden ist. Wer noch mitmachen möchte, sollte sich schnell entscheiden, denn am Donnerstag, 3. Juli, ist Anmeldeschluss.
Nur vier Wochen Vorlaufzeit
»Wir sind wirklich schnell«, sagt Karin Lenz. Stimmt, denn es brauchte nur vier Wochen Vorlaufzeit, um den Garagen-Flohmarkt zu organisieren. Im Ortschaftsrat, so die Betzingerin, heißt das Motto »wollen wir, machen wir« – und zwar alle gemeinsam, unkompliziert und, so die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Dagmar Krause, »möglichst bürokratiefrei«. Dass in der relativ kurzen Zeit mit zwei Wochen Pfingstferien dazwischen schon 95 Anmeldungen eingingen, hat die Erwartungen der Ortschaftsräte übertroffen. »Das ist schon eine Hausnummer«, sagt Michel Ehinger, ebenfalls stellvertretender Bezirksbürgermeister. Und Jenny Winter-Stojanovic ist sich sicher: »Das ist der erste Garagenflohmarkt, der zweite wird folgen. Wir haben den Zahn der Zeit getroffen.«
Von Betonmischer bis Rosenthal-Service
Garagen-Basare sind, so die Ortschaftsrätin, »mega-nachhaltig«. Schließlich wird Überflüssiges oder Aussortiertes, das sonst beim Sperrmüll landen würde, für wenig Geld an andere weitergegeben. Basare in der eigenen Garage sind außerdem bequem, ergänzt Michel Ehinger. »Ich muss meine Sachen nicht irgendwohin auf einen Flohmarkt fahren, kann mir zwischendurch einen Kaffee kochen und wenn ich keinen Bock mehr habe, kann ich den Laden zumachen.« Ein über den ganzen Ort verteilter Flohmarkt sorgt zudem für ordentlich Belebung. Was auch die Absicht ist. »Wir wollen«, so Jenny Winter-Stojanovic, »dass etwas passiert in Betzingen, dass wir miteinander draußen was machen und dass wir positive Stimmung erzeugen.« Die dürfte auch bei den Schnäppchenjägern aufkommen. Denn das Angebot ist bemerkenswert, neben eher Üblichem wie Kinderkleidung können sie beispielsweise »100 lustige Taschenbücher« ergattern, Vinylschallplatten, Schildkrötenpuppen und andere Schätze mehr. Auch Mitglieder des Ortschaftsrats sind dabei. Mit sehr gegensätzlichem Sortiment: Bei Dagmar Krause werden Liebhaber von filigranem Rosenthal-Service fündig, bei Karin Lenz wartet ein Betonmischer auf Abnehmer.
Wenn der Garagen-Flohmarkt vorbei ist, nehmen die Ortschaftsräte schon das nächste Projekt in Angriff: die offizielle Eröffnung des wieder bespielbaren Freiluft-Schachfelds, das sie im Schweiße ihres Angesichts frei gebuddelt haben. Angedacht ist eine Art Picknick, bei dem jeder Decken und Essen mitbringen kann. Der Schachverein soll die erste Partie eröffnen, danach darf jede und jeder ran.
Betzinger Marke in die Welt hinaustragen
Und dann ist da noch die Betzinger Imagekampagne, die der Ortschaftsrat auf seiner jüngsten Klausurtagung ausgeheckt hat. Eine ganz eigene, nicht an die schlagzeilenträchtige Reutlinger Kampagne angelehnte Aktion wird es werden. Die Botschaft ist einfach. »Wir sind stolz auf Betzingen, wir finden, dass es der schönste Vorort ist, wir müssen nicht weg, weil wir alles haben - und das wollen wir in die Welt hinaustragen«, erklärt Karin Lenz. Schließlich könnte es ja sein, ergänzt sie augenzwinkernd, »dass das noch nicht jeder Reutlinger weiß«. Für das spezielle Betzinger Lebensgefühl hat sie ein Logo entworfen. »100 Prozent Betzingen. Hier bin ich zuhause«, heißt es in Stempelform. »Das fanden alle gut, wir haben nur noch das Betzinger Wappen reingemalt«, berichtet Dr. Martin Schöfthaler von der Resonanz im Rat.
Auf T-Shirts udn Einkaufstaschen
Der Button soll zunächst auf T-Shirts – natürlich regional hergestellt von Trigema – und Einkaufstaschen Werbung für Betzingen machen. Bislang gibt’s nur Prototypen, aber bald werden sie im ganzen Ort zu kaufen sein. Und wer weiß, was den Ortschaftsräten als nächstes einfällt. »Wir sind ein unheimlich tolles Team«, schwärmt Karin Lenz. Und ergänzt: »Wir stehen persönlich für Betzingen und setzen uns dafür ein.« Im Bezirksgemeinderat spiele das Parteibuch keinerlei Rolle. »Und wenn es jemand auspackt, gibt es einen Rüffel«, sagt Dagmar Krause, eine der »Dienstältesten« im Rat. Sie habe vor den Kommunalwahlen lange überlegt, ob sie noch einmal antreten soll. Jetzt ist sie froh, dass sie es getan hat. »So gut und lebendig war’s noch nie.« (GEA)