REUTLINGEN-BETZINGEN. Erst war die Presse dran, danach bot der Landkreis dem Betzinger Ortschaftsrat, dem Arbeitskreis (AK) Flucht und Asyl sowie Nachbarn an, sich kurz vor Belegungsbeginn ein Bild von der neuen Flüchtlingsunterkunft in der Carl-Zeiss-Straße zu machen (vergleiche Artikel oben). Die Verantwortlichen standen im Anschluss in einer fast zweistündigen Gesprächsrunde Rede und Antwort. Fazit von Ortschaftsrat und Arbeitskreis: Den Standort fernab im Gewerbegebiet halten beide nach wie vor für ungeeignet, aber der Landkreis versucht, das Beste aus der suboptimalen Ausgangssituation zu machen. »Es ist beachtenswert, dass sie relativ viele Leute in die Betreuung schicken«, findet Bezirksbürgermeister Friedemann Rupp. Und Hans-Peter Häußermann vom Sprecherteam des Arbeitskreises zur Unterkunft: »Toll ist sie nicht, aber wir sehen, dass sich der Landkreis bemüht hat.«
Ortschaftsrat und Arbeitskreis sehen vor allem auch die Not des Landkreises bei der Unterbringung. »Er kommt ja nicht an zehn Grundstücke, auf denen er jeweils 30 Personen unterbringen kann«, zeigt Rupp Verständnis. Dass die Kreisverwaltung trotz aller Bemühungen keine Alternativen gefunden hat, liegt nach Meinung von Hans-Peter Häußermann allerdings auch an der geringen Bereitschaft der Bevölkerung, Immobilien für Geflüchtete abzugeben.
Wie geht es nach der Übergabe weiter?
In der Gesprächsrunde, berichtet Friedemann Rupp, habe Ordnungsdezernent Hirrle Befürchtungen, was den Betrieb in der Unterkunft angeht, ausräumen können. Was außerhalb passiere, entziehe sich dem Landkreis. Angenehm überrascht war Betzingens Bezirksbürgermeister von der »relativ positiven« Einstellung der unmittelbaren Nachbarn im Gewerbegebiet. »Die Stimmung war eher: Warum baut ihr nicht wie mal geplant eine feste Unterkunft, statt die Leute in einem Zelt unterzubringen.« Die Stimmung im Ortschaftsrat fasst Friedemann Rupp so zusammen: Bedenken haben die Räte weniger, was den laufenden Betrieb betrifft, sondern eher, wie es nach den sechs Monaten weitergeht. »Die große Frage ist: Was macht das Land? Ist es ähnlich kooperativ wie der Landkreis? Wird es nach der Übergabe auch Ansprechpartner und Betreuer geben?«
Keinerlei Privatsphäre
Der AK Flucht und Asyl verspricht eine »kritische und konstruktive Begleitung«. Und er bleibt bei der Kritik Standort im »Niemandsland«, so Hans-Peter Häußermann. Eine so große Unterkunft in Leichtbauweise biete außerdem keinerlei Privatsphäre und deshalb Konfliktpotenzial. Deshalb habe der Arbeitskreis angeregt, einen Rückzugsraum außerhalb des Zeltes zu schaffen. Die Idee sei wie etliche andere Vorschläge aufgenommen worden. Etwa, in der Anfangszeit ein Bürgertelefon einzurichten, im Außenbereich Fußballtore, Basketballkörbe und im Zelt Fitnessgeräte aufzustellen oder sich um eine Bushaltestelle in der Nähe zu kümmern. »Positiv ist die hohe Dialogbereitschaft der Mitarbeiter«, lobt Häußermann das Landkreis-Team. Positiv findet er auch, dass ein Gruppenraum für ehrenamtliche Aktivitäten und ein Gebetsraum für die Bewohner aus voraussichtlich elf Nationen zur Verfügung gestellt wird. »Das zeigt: Da ist Respekt vorhanden.«
Das größte Problem ist aus Sicht von Häußermann und seinen Mitstreitern, dass die Bewohner »einfach unterbeschäftigt« sind. Aktivitäten seien wichtig, wobei die Angebote nicht allein vom Personal kommen könnten. »Wir glauben, dass da an ehrenamtlicher Arbeit einiges möglich ist, alle Ideen sind willkommen.« Die formale Zuständigkeit liege zwar beim Betzinger Asylcafé, das aber jetzt schon ausgelastet sei. »Wir sind über jeden froh, der sich hier ehrenamtlich engagiert. Vorkenntnisse braucht es nicht, aber ein bisschen Zeit, Herz und die Bereitschaft, sich auf die Geflüchteten einzulassen.« (GEA)
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