MÜNSINGEN/REUTLINGEN. Älter werden, schwer krank werden, früher oder später sterben – den Gedanken daran verdrängen viele Menschen so lange wie möglich. Und verpassen deshalb vielleicht die Chance, selbst mitzubestimmen und festzulegen, wie sie sich ihre letzte Lebensphase wünschen. Die Einrichtungen und Gruppen im Landkreis, die Schwerkranke und Sterbende und ihre Angehörigen unterstützen, betonen deshalb übereinstimmend immer wieder, wie wichtig das Vorsorgen ist. Eine Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht, ein Notfallplan, vielleicht genauere Angaben zu persönlichen Werten und Vorlieben: Das gehört eigentlich in jede Wohnung – und die Info darüber am besten in jede Kühlschranktür.
Denn was nützen die detailreichsten Vorsorge-Unterlagen, wenn sie im Ernstfall keiner findet? Dieser Gedanke steckt hinter der Notfall- oder Rotkreuzdose, die von verschiedenen Anbietern auf den Markt gebracht und auch im Landkreis Reutlingen verteilt wird. Zum Beispiel von der Palliativ-Stiftung, die das grüne Modell möglichst breit unters Volk zu bringen versucht. »Ich find’s genial«, lobt Dr. Barbara Dürr von der Stiftung das Konzept, das immer dasselbe ist – egal, ob die Notfalldose in Grün oder in Rot daherkommt.
Immer am gleichen Platz
Denn die Notfalldose steht immer am gleichen Platz: im Kühlschrank. Dass sie überhaupt da ist, verrät ein Aufkleber am Briefkasten. So wissen Sanitäter oder Notärztin im Fall des Falles gleich, wo sie suchen müssen, um wichtige Informationen über den Menschen zu finden, der da womöglich bewusstlos vor ihnen liegt und sich selbst nicht äußern kann. In die Notfalldose gehören deshalb medizinisch wichtige Dinge wie ein aktueller Medikamentenplan oder Infos zur Krankheitsgeschichte, aber auch die Telefonnummern von Angehörigen. Außerdem ist die Notfalldose ein guter Platz für Informationen darüber, ob eine Patientenverfügung vorliegt und wo sie – weil sie nicht direkt in dem Kunststoffdöschen Platz hat – zu finden ist. Um auch im Fall von Krankheit und Pflegebedürftigkeit möglichst selbstbestimmt leben zu können, ist eine Patientenverfügung unerlässlich, darauf weisen die Beratungsstellen immer wieder hin.
LEBEN BIS ZULETZT
»Nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben«: Dieses Zitat der englischen Begründerin der Hospizbewegung und Palliativmedizin Cicely Saunders steht als Motto über vielen der Angebote, die Schwerkranke und Sterbende sowie ihre Angehörige unterstützen. In einer in loser Folge erscheinenden Artikel-Reihe im Reutlinger General-Anzeiger stellen wir einzelne Bausteine dieses Netzwerkes vor, von den ehrenamtlichen Hospizgruppen über die Palliativangebote der Kreiskliniken bis zur Begleitung von Trauernden. Auch das Thema Vorsorge, um das es in dieser Folge geht, spielt eine wichtige Rolle. (dew)
Überaus sinnvoll ist außerdem eine Vorsorgevollmacht, die einer Vertrauensperson ermöglicht, im Namen des Betroffenen zu handeln, wenn dieser selbst sich nicht äußern kann. Informationen zu diesen wichtigen Themen der Vorsorge gibt es bei verschiedenen Organisationen im Landkreis, etwa beim Diakonischen Betreuungsverein.
Auch der Ambulante Hospizdienst Reutlingen, der Schwerkranke und Sterbende in der Stadt Reutlingen, in Pfullingen, Eningen, Pliezhausen, Walddorfhäslach und Wannweil begleitet, bietet in Vorträgen und Einzelberatungen Informationen zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht an. Für Ulrich Mack, den Vorsitzenden des Ambulanten Hospizdiensts Reutlingen, gehören diese Themen zu einer übergreifenden gesundheitlichen Versorgungsplanung, die ältere Menschen dabei unterstützen soll, sich rechtzeitig und ausführlich mit ihrer letzten Lebensphase auseinanderzusetzen.
NOTFALLDOSE
Die Idee zur Notfall- oder Rotkreuzdose stammt aus Großbritannien und ist so einfach wie gut: Weil der Kühlschrank ein Ort ist, der in jeder Wohnung schnell zu finden ist, werden wichtige Informationen dort aufbewahrt. Ein Aufkleber am Briefkasten weist die Rettungskräfte darauf hin. Notfalldosen gibt es in der Region beispielsweise beim DRK-Kreisverband und in vielen der Ortsvereine, außerdem auch bei der Stiftung Palliativpflege. (GEA) www.stiftung-palliativ.de
Sehr wichtig ist aber, die Notfalldose nicht nur einmal zu bestücken und dann zu vergessen. Sie kann nur dann wirklich helfen, wenn ihr Inhalt immer auf dem aktuellen Stand ist. Das betont auch Frank Silberbauer vom DRK-Kreisverband Reutlingen. Und sie ist nur dann schnell zu finden, wenn sie tatsächlich am vorgesehenen Platz im Kühlschrank ist. »Manchmal ist sie auch in der Gefriere.« Weil sich – um eine Krankengeschichte umfassend zu dokumentieren – manchmal dicke Ordner ansammeln, empfiehlt Silberbauer, immer den aktuellsten Bericht ganz vorne einzuheften.
Raum für Veränderung
Immer auf dem neuen Stand: Das betrifft nicht nur die eingenommenen Medikamente, sondern auch die Patientenverfügung. Denn auch sie kann und soll sich verändern, wenn sich mit steigendem Alter und fortschreitender Krankheit womöglich die Prioritäten verschoben haben.
Barbara Dürr kennt etliche solcher Fälle: Als gesunder Mensch wünscht sich der Betroffene möglichst wenig Eingriffe am Lebensende, später ist ihm vielleicht die Verlängerung seines Daseins wichtiger. Eine gute und wichtige Ergänzung zur Patientenverfügung ist für Barbara Dürr ein Notfallplan, in dem beispielsweise beschrieben wird, ob der Patient im akuten Fall ins Krankenhaus gebracht werden oder ob er eine Klinikeinweisung möglichst vermeiden möchte. »Es ist wichtig, dass der Notarzt weiß, wie die Wünsche des Betroffenen sind«, betont Barbara Dürr. (GEA)