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»Mundart in der Schule«: In Gammertingen ist die Dialekt-Welt in Ordnung

Finn, Lukas, Johannes und Alex versuchen sich an einem schwäbischen Haiku. Johannes Kretschmann erklärt die Regeln für das Kurzg
Finn, Lukas, Johannes und Alex versuchen sich an einem schwäbischen Haiku. Johannes Kretschmann erklärt die Regeln für das Kurzgedicht. FOTOS: WURSTER
Finn, Lukas, Johannes und Alex versuchen sich an einem schwäbischen Haiku. Johannes Kretschmann erklärt die Regeln für das Kurzgedicht. FOTOS: WURSTER

GAMMERTINGEN. Nein, Schwaben sind nicht zu doof oder zu faul für Grammatik. Auch im Schwäbischen gibt es Regeln, nur eben andere als im Schriftdeutschen. Den Begriff »Hochdeutsch« mag Johannes Friedrich Kretschmann – kurz JFK – nicht, er bevorzugt »Standarddeutsch«. Die hochdeutschen Dialekte sind ja die, die in den höher gelegenen Teilen Deutschlands gesprochen werden, also auch in Württemberg. Auch wenn’s die Nordlichter nicht glauben wollen: Wir Schwaben sprechen hochdeutsch.

Veganer Ochsenmaulsalat

Kretschmann tingelt für den Arbeitskreis »Mundart in der Schule« durch die Bildungsstätten. Der Arbeitskreis sorgt dafür, dass der Sprachschatz Mundart nicht verloren geht, und schickt Mundartkünstler in die Klassenzimmer. Kretschmann ist einer davon, mit dem Schwäbischen kennt er sich aus. Gerade erschienen ist »Neigschmeggd – älles außer Floisch«, ein veganes Kochbuch auf Schwäbisch, an dem Kretschmann neben Johannes Berreth und Dennis Dreher mitgearbeitet hat. Spoiler-Warnung: Der vegane Ochsenmaulsalat setzt auf Rettich statt Rinderbäckchen.

In der 8b der Gammertinger Laucherttalschule ist die Dialekt-Welt noch in Ordnung. Fast alle zwanzig Schüler geben an, Schwäbisch zu sprechen, mal mehr, mal weniger stark. Und sogar die Hälfte gibt an, dass sie »broit« Schwäbisch schwätzt. Das überrascht sogar den Profi-Schwaben Kretschmann. Dass die Nutzung der Heimatsprache vom Umfeld abhängt, weiß auch JFK, zu Hause, im Dorf kann man ungenierter vom Lederle ziehen als beim Bewerbungsgespräch.

In den achten Klassen des Gammertinger Schulzentrums steht Schwäbisch auf dem Lehrplan. Das Gedicht vom »Bäbbiga Babbadeckl«, flüssig auch von den wenigen Nichtschwaben aufgesagt, werden die Laucherttalschüler im Gegensatz zu Schillers Glocke wahrscheinlich nie vergessen. Da lag es für Lehrerin Kerstin Eisele nahe, Kretschmann einzuladen. Der wohnt zum einen in Laiz nicht weit weg, zum anderen ist er studierter Sprachwissenschaftler. So einer geht natürlich ganz anders ans Schwätzen heran, als ein Hobby-Heimatdichter.

Butzele und Kreizbieradackel

Dass wir Schwaben das Präteritum, die erste Vergangenheitsform, nicht nutzen und uns aufs Perfekt beschränken, liegt nicht an Unkenntnis. Nein, für die schriftdeutsche Vergangenheitsform braucht es die Endungen und die verschluckt der Schwabe meist. Wenn aus »sagte« »said« oder »gsaid« wird, braucht es halt ein »han«, wenn’s gestern war. Und das ist kein Fehler, sagt der Linguist, das sind eben andere Regeln, an die man sich auch halten muss. Wir reden also gar nicht, wie uns der Schnabel gewachsen ist, sondern schwäbisch-grammatikalisch korrekt. Also eine durchdachte Grammatik und dazu eine Eleganz, die dem nüchternen Standarddeutsch fehlt. »Ge Gammerdenga« kommt von »gen Gammertingen«, »z’Gammerdenga« von »zu Gammertingen«. Das klingt doch gleich ganz anders, höfisch, fürnehm.

Zu großer Form laufen die Achter auf, wenn’s um Kraftausdrücke geht: Der Bachel und der Seggel oder der »Kreizbiera-Dackel« bereichern den Wortschatz, Kretschmann setzt mit dem »nadabbada Briazkretta«, dem hinuntergetretenen Spreukorb, noch eins drauf. Ob die Jungs mit Schätzle und Butzele beim anderen Geschlecht landen können, sei mal dahingestellt. Der »Dackel« kommt übrigens von Dagobert und nicht vom Hund, erklärte JFK, Dachshundefreunde können endlich aufatmen.

Die Eleganz des Schwäbischen wurde endgültig beim Haiku-Wettbewerb der Klasse bestätigt. Die japanischen Gedichte sollen aus drei Wortgruppen von fünf, sieben und wieder fünf Silben bestehen: »Dr Sommr kommt fiere. Jetzt fliegat die Polla rom. Des Bier k’ehrt scho mir«, kann’s klingen. Klassenlehrerin Regine Eisele war mit den Ergebnissen auf jeden Fall zufrieden. Mit einem »Ich bin stolz, dass ihr Schwäbisch könnt«, schickte sie ihre Sprösslinge in die Pause. (GEA)