REUTLINGEN. US-Präsident Donald Trump hat mit seiner Zollpolitik dem freien Welthandel den Kampf angesagt. Für die Region Neckar-Alb (Landkreise Reutlingen, Tübingen, Zollernalb) spielt die Außenwirtschaft eine wichtige Rolle. »Das größte Problem für die Unternehmen ist die Ungewissheit, wenn Trump heute von Zöllen von 10 Prozent und morgen von 75 Prozent spricht«, sagt Wolfgang Epp, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen, dem GEA. Für viele Firmen sei dies ein Anlass zu schauen, welche anderen Märkte es gebe.
Das Exportvolumen der Region Neckar-Alb lag im vergangenen Jahr mit 13,2 Milliarden Euro um 1,7 Prozent unter dem Vorjahreswert. »Das ist aber immer noch ein hohes Niveau«, erklärt Martin Fahling, Bereichsleiter International und internationale Fachkräfte der IHK Reutlingen. Er verweist – siehe Grafik – darauf, dass 2019 (vor Corona) Waren im Wert von 9,2 Milliarden Euro aus der Region ins Ausland geliefert worden waren.
Epp bemerkt, dass die Exportquote der Region, also der Anteil der Ausfuhren am industriellen Gesamtumsatz, seit 2002 von 42 Prozent auf 58,6 Prozent gestiegen sei. Es hänge also in der heimischen Industrie mittlerweile mehr als jeder zweite Euro vom Export ab. »Unsere Unternehmen profitieren von offenen Märkten, die Bedeutung des Außenhandels hat wirklich stark zugenommen«, sagt Fahling und fügt hinzu: »Wir haben aus unseren drei Landkreisen heraus mit 13,2 Milliarden Euro mehr Exporte als das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern mit zuletzt etwas über 9,3 Milliarden Euro.« Dies zeige, wie wichtig die Aufträge aus dem Ausland für die Arbeitsplätze und den Wohlstand in der Region seien. Innerhalb der Region Neckar-Alb stand laut Daten des Statistischen Landesamts der Landkreis Reutlingen 2024 für Exporte von 9,2 Milliarden Euro, der Zollernalbkreis für 2,4 Milliarden Euro und der Landkreis Tübingen für 1,5 Milliarden Euro.
Wichtige Zielmärkte
Von den über 44.000 Mitgliedsunternehmen im Bezirk der IHK Reutlingen sind Fahling zufolge zwischen 3.000 und 4.000 im Auslandsgeschäft aktiv. Der wichtigste Zielmarkt war 2024 die USA mit einem Exportvolumen von 2 Milliarden Euro. Es folgten die Schweiz, Frankreich, die Niederlande und China – siehe Tortengrafik. Insgesamt gehen Waren aus der Region in 100 Länder, so Fahling. Epp analysiert, dass 62 Prozent der Exporte aus der Region in europäische Länder geliefert würden, 15 Prozent in die USA und 8 Prozent nach China. »In den Rest der Welt gehen gerade mal 15 Prozent.«
Der 15-Prozent-Anteil der USA sei natürlich »ein sehr solider, großer Brocken und damit wichtig«, berichtet Fahling. 400 Unternehmen der Region betrieben Handel mit den USA (Export und Import). Über 70 von ihnen seien mit Niederlassungen oder Produktionsstätten vor Ort vertreten. Die Ausfuhren der Region in die USA beträfen besonders Maschinenbau, Automobilteile, Textil, Chemie, Papier, Metall, Elektronik, Messtechnik und Medizintechnik. Bei den US-Importen nach Baden-Württemberg dominierten Maschinenbau, Elektronik, Autozulieferung und Medizintechnik. »Wir können die Importe leider nicht auf die regionale Ebene runterbrechen«, sagt Fahling. Baden-Württemberg-weit liege das Verhältnis im Außenhandel bei einem Drittel Einfuhren und zwei Dritteln Ausfuhren.
Zölle sind staatliche Abgaben, die erhoben werden, wenn eine Ware die Grenzen eines Landes oder Zollgebietes überschreitet. Heute handelt es sich dabei meistens um Einfuhrzölle und um Wertzölle – bei denen der Zoll als Prozentsatz des Warenwerts festgelegt wird. Ziele der Zollerhebung sind, die Staatseinnahmen zu erhöhen und die heimische Produktion zu fördern. Mit Zöllen sind aber Preiseffekte und Gegenreaktionen verbunden. Zölle sind tarifäre Handelshemmnisse im Rahmen einer Politik des Protektionismus. Sie stehen im Gegensatz zu einer Politik, die sich am Prinzip des Freihandels orientiert.
»Sollten sich die Spannungen zwischen den USA, Europa und China ausweiten, wird die exportierende regionale Wirtschaft Schaden nehmen«, befürchtet Fahling. Hoffnungen machten ihm der europäische Binnenmarkt, »der sich gestärkt hat – und natürlich auch neue Märkte, die stark wachsen«. Entsprechend sieht auch IHK-Hauptgeschäftsführer Epp »keine Weltuntergangsstimmung in meinen Gesprächen mit Unternehmern«. Die meisten glaubten eh, dass der US-Präsident bei seiner Zollpolitik zurückrudern werde: »Trump pokert hoch.«
Standesamt für Waren
Die Erkenntnis, dass Ungleichgewichte herrschten, sei richtig. Epp stellt jedoch fest, diese Ungleichgewichte in den internationalen Handelsverflechtungen seien von den Amerikanern »zum großen Teil selbst verschuldet, weil sie bestimmte Stärken, die sie früher hatten, aufgegeben haben und heute eher ein konsumierendes als ein produzierendes Volk sind«. Er könne den Druck verstehen, dem sich die Amerikaner aufgrund ihrer gigantischen Staatsverschuldung von 35 Billionen Dollar ausgesetzt sähen. »Die haben Angst, dass sie ihren Wohlstand verlieren und wollen daher wieder mehr Wertschöpfung im eigenen Land haben«, sagt Epp. Allerdings sei auch zu sehen: »Die Weltwirtschaft sortiert sich neu.«
Für die Betriebe der Region sei Trumps Zollpolitik »ein Wachrüttler«. Es gehe allerdings nicht von heute auf morgen, sondern es dauere, neue Absatzmärkte zu erschließen, so der Hauptgeschäftsführer. Er und Fahling empfehlen den Blick auf Länder wie Indien, Indonesien, Taiwan, Vietnam, Pakistan, Japan, Usbekistan und Kasachstan. »Vergesst Afrika nicht«, ergänzt Epp und nennt Äthiopien, Ghana und Kenia. Schließlich gibt es laut den beiden IHK-Vertretern auch gute Chancen in Kanada und in Lateinamerika.
Epp hat einst seine Doktorarbeit über »Tradition und Wandel in der deutschen Exportförderung« geschrieben. Er sagt, dass die deutsche Wirtschaft immer wieder neue Auslandsmärkte gesucht und gefunden habe: »Ich wünsche den deutschen Unternehmen wieder Lust auf schwierige Märkte. Es gibt interessante Alternativen.«
Der von Fahling geführte Bereich International der IHK Reutlingen (10 der 160 Beschäftigten) berät die Mitgliedsunternehmen zu allen Fragen des Außenhandels. Er begleitet sie bei ersten Schritten in anderen Ländern, beantwortet jährlich 7.500 Zoll-, Rechts- und Verfahrensfragen und stellt – über 25.000 pro Jahr – erforderliche Dokumente für den internationalen Warenverkehr aus. »Wir haben das Standesamt für Waren. Wir stellen die Geburtsurkunde für Waren aus, sagen damit, diese Ware hat EU-Ursprung«, erklärt Epp diese hoheitliche Aufgabe.
Digital statt Stempel
Die Unterschriften von Epp und Fahling sind bei etwa 500 Konsulaten hinterlegt. Die Digitalquote der IHK Reutlingen bei Ursprungszeugnissen liegt laut Fahling, beschleunigt durch die Corona-Pandemie, bei 99,96 Prozent. Früher seien dafür viele eigenhändige Unterschriften und Stempel nötig gewesen.
Der Außenwirtschaftsausschuss der IHK berät die Vollversammlung fachlich. Zudem hat die IHK ein »Netzwerk Zoll«, in dem Praktiker aus Unternehmen zum Erfahrungsaustausch zusammenkommen. Epp hebt das Institute for Emerging Markets der IHK Reutlingen hervor, das für die Erschließung schwieriger Märkte zur Verfügung stehe.
Jan Vetter, Geschäftsführer der Bezirksgruppe Reutlingen des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, schrieb auf GEA-Nachfrage, aktuell herrsche durch den Schlingerkurs von US-Präsident Trump in der Zollpolitik große Verunsicherung in der Metall- und Elektroindustrie vor. Die Unternehmen mit Verbindung in die USA prüften bereits Optionen, Alternativen und das weitere Vorgehen. Die USA seien mit Abstand Baden-Württembergs wichtigster außereuropäischer Handelspartner.
»Aus unserer Sicht gilt es jetzt, dass Deutschland und Europa geschlossen auftreten und die verkündete Zollpause von 90 Tagen zu Verhandlungen mit Washington nutzen«, so Vetter. Ziel müsse es sein, ein Abkommen mit der US-Regierung zu schließen, das Handelshemmnisse ab- und nicht aufbaue. »Ohne die glaubwürdige Androhung effektiver Gegenmaßnahmen wird sich US-Präsident Trump zwar kaum am Verhandlungstisch bewegen, eine Eskalation des Zollstreits sollte aber unbedingt vermieden werden.«
Blick auf Lieferketten
Martin Bosch, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Reutlingen, teilte mit: »Unsere Firmenkunden beobachten die Entwicklungen rund um das Thema Zölle, Trump und die USA zwar aufmerksam, aber aktuell hat das Thema für viele noch keine spürbaren Auswirkungen im Tagesgeschäft.« Bestehende Lieferverträge liefen weiter, und eigene Erfahrungen mit neuen Handelshemmnissen gebe es bislang kaum. Vieles hänge davon ab, wie ein möglicher Deal zwischen der EU und den USA konkret ausgestaltet werde.
Im Fokus stehe vielmehr der europäische Binnenmarkt. Viele Unternehmen beschäftigten sich intensiv mit den wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Koalitionsvertrags und fragten sich, welche Impulse daraus für Wachstum, Investitionen und Stabilität zu erwarten seien. Auch die weitere Entwicklung im Ukraine-Krieg spiele eine große Rolle, insbesondere mit Blick auf Lieferketten, Energiepreise und Planungssicherheit. Die Firmenkunden des Finanzinstituts bereiteten sich bestmöglich auf verschiedene Szenarien vor. Die Grundhaltung: »Niemand will sich unnötig exponieren, denn Konflikte mit wichtigen Handelspartnern haben selten Vorteile gebracht.« (GEA)