REUTLINGEN. Die auf technischen Handel spezialisierte traditionsreiche Reiff-Gruppe hat insgesamt 570 Beschäftigte an 13 Standorten in vier Ländern. Das Gros davon – 415 Menschen, darunter 34 Auszubildende – arbeitet indes an den drei Standorten am Hauptsitz Reutlingen: in der Hauptverwaltung an der Tübinger Straße, im Logistikzentrum an der Allmendstraße und in der Fertigung an der Karl-Henschel Straße (beide Industriegebiet West). Daher stieß die am vergangenen Dienstag verbreitete und in unserer Mittwochausgabe veröffentlichte Nachricht, dass das österreichische Unternehmen Haberkorn zum 1. Januar 2025 mit einer Beteiligung von 25 Prozent bei Reiff einsteige und die Reutlinger in den kommenden Jahren vollständig übernehmen wolle, in der Achalmstadt auf große Beachtung. Der geschäftsführende Gesellschafter Alec Reiff, 46, erläuterte nun im Gespräch mit dem GEA einige Hintergründe und Einzelheiten des Deals.
»Die Beteiligung von Haberkorn läuft auf den operativen Ebenen«, stellte Reiff fest. Demnach verkauft die Muttergesellschaft Reiff Holding GmbH & Co. KG (Reutlingen), eine reine Besitzgesellschaft, zunächst jeweils 25 Prozent der Anteile an ihren am Markt auftretenden Tochterfirmen Reiff Technische Produkte GmbH (Sitz: Reutlingen, acht Standorte in Deutschland), Kremer GmbH (Wächtersbach/Hessen) und Reiff Technical Products (Shanghai) Co., Ltd. (Schanghai/China). Als Tochterfirmen von Reiff Technische Produkte fallen entsprechend auch die Roller Belgium Srl (Herstal/Belgien, zwei Standorte in Belgien) und die Roller-Tec Sarl (Ehlerange/Luxemburg) unter die Vereinbarung.
Über 25 Interessenten
Die Reiff Holding halte also künftig 75 Prozent an diesen operativen Firmen, die nicht börsennotierte Haberkorn Holding AG (Wolfurt/Vorarlberg/Österreich) 25 Prozent, erklärte Alec Reiff. Die sich im Besitz der Reiff Holding befindenden Immobilien an der Tübinger Straße in Reutlingen (Hauptverwaltung), an der Allmendstraße in Reutlingen (Logistikzentrum) und die Niederlassung in Chemnitz seien nicht vom Verkauf betroffen. Für alle Immobilien, die der Holding gehörten, seien langfristige Mietverträge abgeschlossen worden.
Es gebe keinen Fahrplan dafür, wann Haberkorn alle Anteile an den Reiff-Firmen übernehmen werde, antwortete Alec Reiff auf eine GEA-Frage. Die Formulierung in der Pressemitteilung vom Dienstag, dass die Partnerschaft in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden solle mit dem Ziel, Reiff vollständig in die Haberkorn-Gruppe einzugliedern, habe »schon eine gewisse Mittel- bis Langfristigkeit«, sagte der Geschäftsführer.
Er wies darauf hin, dass sich für die Mitarbeitenden nichts ändern werde. Es sei der Wunsch von Haberkorn gewesen, »dass wir im Führungskreis stabil bleiben«. Reiff und seine Geschäftsführer-Kollegen Manfred Braun, 66, und Tim Steinel, 49, wie auch alle weiteren Führungskräfte blieben an Bord. »Ich freue mich persönlich darauf, gemeinsam mit Haberkorn die Zukunft zu entwickeln«, sagte Reiff.
Der Prozess der Käufersuche sei vor etwa einem Jahr gestartet worden. »Über 25 Interessenten wollten uns näher kennenlernen – und wir sie«, berichtete Reiff. Nach dem Verkauf des Geschäftsbereichs Reifen und Autotechnik im Jahr 2017 »haben wir uns sehr genau angeschaut, in welche Hände wir das Unternehmen geben«. Es sollte kein Finanzinvestor sein: »Familienunternehmertum ist Marathonlauf, kein Sprint. Finanzinvestoren haben einen Horizont von drei bis acht Jahren und richten Unternehmen anders aus – oft zu deren Nachteil«, formulierte Reiff. Haberkorn sei der Wunschkandidat gewesen, weil es persönliche Kontakte zwischen den beiden Unternehmen über verschiedene Generationen und regelmäßigen Austausch gegeben habe: »Haberkorn ist ein Familienunternehmen mit vergleichbaren Werten, wie etwa Verlässlichkeit, Menschlichkeit und Nahbarkeit.« Gerald Fitz, Vorstandsvorsitzender von Haberkorn, sei bei der Mitarbeiterinformation bei Reiff mit seiner Rede vor der Belegschaft sehr gut angekommen.
Strategische Überlegungen
Haberkorn, gegründet im Jahr 1932, ist einer der größten technischen Händler in Österreich, Deutschland, der Schweiz sowie in Osteuropa. Die Firmengruppe hat 2.500 Beschäftigte. Sie erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von 824 Millionen Euro. Reiff machte 2023 einen Umsatz von 165 Millionen Euro – nach 180 Millionen Euro im Jahr zuvor. Zur Ertragslage nannte Alec Reiff keine Zahlen, sagte aber, 2022 sei besser gewesen als 2023 und: »Im operativen Geschäft schreiben wir positive Ergebnisse.«
Die Gründe für den Anschluss an eine größere Einheit seien Marktveränderungen und »strategische, generationenübergreifende Überlegungen in unserem Gesellschafterkreis«, so Alec Reiff. Zum einen entwickle sich seit zehn Jahren der Markt im technischen Handel auch durch Finanzinvestoren hin zu größeren Konstrukten mit Vorteilen bei den Konditionen in der Beschaffung und bei Investitionen, etwa in die Digitalisierung. Reiff, im Jahr 1910 gegründet, gehöre als Experte für Antriebs-, Fluid- und Dichtungstechnik sowie für Anwendungen aus Gummi und Kunststoff zu den fünf größten Firmen der Branche in Deutschland.
Das Unternehmen mit Hauptabnehmern im Maschinenbau, in der Metall- und Elektrobranche, im Bereich Dichtungen für Tür, Tor, Fenster und Fassade sowie unter Herstellern von Bau-, Land- und Forstmaschinen sei stark in der Erstausrüstung – aber nicht so sehr im Ersatzgeschäft. Dies habe auch dazu geführt, in der Vergangenheit von manchem möglichen Zukauf abzusehen und nun die Integration in eine größere Firma nahegelegt.
Zum anderen zeichne sich ab, dass eine fünfte Generation der Familie Reiff nicht aktiv im Unternehmen einsteigen werde. Aktuell gebe es zehn Gesellschafter aus den Familienstämmen Eberhard Reiff (Vater von Alec Reiff), Hubert Reiff (Onkel von Alec Reiff) und Wendler. »Ich bin der einzige geschäftsführende und mitarbeitende Gesellschafter«, sagt Alec Reiff. Es gebe zwar einige – noch sehr junge – Nachkommen der fünften Generation. In der Familie sei aber bereits vor über einem Jahr gemeinsam beschlossen worden, dass die nächste Generation das Unternehmen nicht fortführe. (GEA)