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Wie es bei Stoll in Reutlingen zu Ende gehen soll

Der Reutlinger Traditionsbetrieb Stoll schließt am 31. Oktober 2025. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Oliver Mathews über die Sondersituation mit auslaufendem Geschäftsbetrieb, Transfergesellschaft und Vermarktung von Vermögensgegenständen.

Blick aus der Luft auf das Betriebsareal von Stoll im Industriegebiet Reutlingen-West.
Blick aus der Luft auf das Betriebsareal von Stoll im Industriegebiet Reutlingen-West. Foto: Pieth
Blick aus der Luft auf das Betriebsareal von Stoll im Industriegebiet Reutlingen-West.
Foto: Pieth

REUTLINGEN. Der Reutlinger Traditionsbetrieb Stoll besteht seit 1873. Seit Anfang Mai ist die Schließung zum 31. Oktober 2025 entschieden. »Wir sind mit den Kapazitäten, die wir noch haben, im Grunde genommen ausgelastet bis zum Ende«, sagt Geschäftsführer Oliver Mathews im Gespräch mit dem GEA. Ursache sei ein guter Auftragseingang in den Monaten Februar bis April – nachdem die Karl-Mayer-Gruppe (Obertshausen bei Offenbach/Hessen), zu der Stoll seit 2020 gehört, Mitte Januar bekannt gegeben hatte, sich aus wirtschaftlichen Gründen vom Bereich Flachstrickmaschinen trennen zu wollen; dieser Bereich ist im Wesentlichen Stoll in Reutlingen mit noch 270 Beschäftigten.

Oliver Mathews, Geschäftsführer von Karl Mayer Stoll, blickt auf die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern  zurück und erläut
Oliver Mathews, Geschäftsführer von Karl Mayer Stoll, blickt auf die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern zurück und erläutert, was in den verbleibenden Monaten bis zur geplanten Schließung des Standorts Reutlingen Ende Oktober passieren soll. Foto: Schanz
Oliver Mathews, Geschäftsführer von Karl Mayer Stoll, blickt auf die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern zurück und erläutert, was in den verbleibenden Monaten bis zur geplanten Schließung des Standorts Reutlingen Ende Oktober passieren soll.
Foto: Schanz

Mathews hebt hervor, dass es keine Kündigungen geben werde, weil die Mitarbeiter zum 1. November 2025 gegebenenfalls bis zu einem Jahr in die Transfergesellschaft Mypegasus wechseln könnten. Parallel zum auslaufenden Geschäftsbetrieb werde sich das Management um die Vermarktung von Vermögensgegenständen kümmern. »Da gibt es verschiedene Interessenten aus Amerika, Asien und Europa«, berichtet der 54 Jahre alte Textil-Ingenieur. Die Marke Stoll sei durchaus bekannt.

Für einen kurzen Zeitraum solle es von November an ein kleines Abwicklungsteam geben – für Ersatzteilversorgung und Gewährleistungsverpflichtungen, erklärt Mathews. Doch der wesentliche Geschäftsbetrieb werde dann eingestellt sein. Der zuletzt verbesserte Auftragseingang hänge wohl damit zusammen, dass sich manche Kunden im Sinne der Planbarkeit noch mit den Sondermaschinen von Stoll eindecken wollten. »Wir haben das auch mit bestimmten Konditionen unterstützt, um Rohmaterialbestände und auf Lager hergestellte Maschinen abzubauen«, erzählt der Manager.

Hohe Verluste

Seit der Ankündigung gravierender Einschnitte im Januar sei die Zahl der Beschäftigten durch Eigenkündigungen von 286 auf 270 zurückgegangen. 210 Personen arbeiten demnach für die Karl Mayer Stoll Textilmaschinenfabrik GmbH und 60 für die Entwicklungsfirma Karl Mayer Stoll R&D GmbH (beide mit Rechtssitz in Obertshausen). Es zeichne sich ab, dass die Zahl der Beschäftigten bei Stoll in Reutlingen durch weitere Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge noch sinken werde, so Mathews, Geschäftsführer beider Firmen. »Wir sind daher bei der Bestätigung von Aufträgen zuletzt vorsichtig gewesen.«

Das Zwischenhoch bei den Auftragseingängen ändere jedoch nichts an der Gesamteinschätzung. Die Aufgabe des »hoch defizitären Standorts Reutlingen« sei ein wichtiger Schritt, um die Existenz der Karl-Mayer-Gruppe mit aktuell weltweit 2.800 Beschäftigten zu sichern, betont Mathews. Für das Jahr 2023 hat der Firmenverbund mit der Obergesellschaft Karl Mayer Holding SE & Co. KG bei einem Umsatz von 432 Millionen Euro einen Verlust von über 70 Millionen Euro ausgewiesen. Für 2024 sind noch keine Daten veröffentlicht. Sie seien indes nicht besser geworden, weiß Mathews. Er macht darauf aufmerksam, dass ein signifikanter Anteil des negativen Gruppenergebnisses aus dem Stoll-Geschäft stamme.

Den Vorwurf der Industrie-Gewerkschaft Metall, keine Anstrengungen unternommen zu haben, den Geschäftsbereich Flachstrickmaschinen an einen Investor zu verkaufen, weist der Geschäftsführer »entschieden« zurück. Er sagt: »Wir reden hier über ein defizitäres Geschäft, bei dessen Übernahme andere Parameter eine Rolle spielen, als bei einem profitablen Unternehmen.«

Übertritt in Transfergesellschaft

Zu den Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern über Interessenausgleich und Sozialplan kommentiert Mathews: »Jede Seite hatte ihre Erwartungshaltung. Jede Seite hat deutliche Abstriche machen müssen, bei dem, was sie erreichen wollte. Nun liegt eine tragfähige Einigung vor. Für die Mitarbeiter ist etwas Machbares erreicht, das Unternehmen hat nun Klarheit.« Die konkrete Höhe der Vereinbarung will er nicht beziffern. Er bemerkt aber: »Die Einigung kostet die Karl-Mayer-Gruppe deutlich mehr als ursprünglich vorgesehen.«

Mit dem Übertritt in die Transfergesellschaft bekommen die Beschäftigten Abfindungen. Deren Höhen sind nach Altersgruppen gestaffelt und bemessen sich nach Faktoren zwischen 0,25 und 0,45 Bruttomonatsentgelten pro Beschäftigungsjahr. Von den 270 Beschäftigten bei Stoll sind 150 über 50 Jahre, davon wiederum 84 über 58 Jahre alt. Daher war dem Betriebsrat bis zu ein Jahr zusätzliche Sicherheit in einer Auffanggesellschaft und als mögliche Brücke zur (vorzeitigen) Rente ein wichtiges Anliegen.

»Ich finde das auch ein gutes Modell«, sagt Mathews. Die Transfergesellschaft bedeute Kurzarbeit null mit Möglichkeiten zur Qualifizierung und Weitervermittlung in eine neue Position. Sie werde durch Transfer-Kurzarbeitergeld der Agentur für Arbeit, aber auch durch Zahlungen von Karl Mayer (für Aufzahlungen, Sozialabgaben, Urlaubsgeld, Mittel für Qualifizierung) finanziert.

Entsprechend sei es angezeigt, das einer Grundstücksgesellschaft von Karl Mayer gehörende Firmenareal in Reutlingen zu vermarkten, ebenso Maschinen und Anlagen, Lagerbestände, Technologien, Patente und Software. »Wer Vermögensteile erwirbt, kann natürlich eine neue Gesellschaft beginnen und Mitarbeiter für neue Arbeitsverhältnisse ansprechen«, formuliert Mathews eine Hoffnung für manche Beschäftigte. (GEA)