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Aktuell Interview

Wie eine Karrierefrau mit weniger Leistung mehr erreicht

Martha Dudzinski war viel beschäftigte Karrierefrau, bis sie eine Corona-Erkrankung ausbremste. In ihrem Buch »Konsequent 60 Prozent« beschriebt sie, wie man mit weniger Leistung mehr erreichen kann. Im GEA-Interview verrät sie, weshalb Zähneknirschen ein gesellschaftliches Problem ist.

Martha Dudzinski wurde durch eine Corona-Erkrankung ausgebremst. Das hat sie dazu veranlasst, ein Buch über Energiemanagement zu
Martha Dudzinski wurde durch eine Corona-Erkrankung ausgebremst. Das hat sie dazu veranlasst, ein Buch über Energiemanagement zu schreiben. Foto: Mina Esfandiari
Martha Dudzinski wurde durch eine Corona-Erkrankung ausgebremst. Das hat sie dazu veranlasst, ein Buch über Energiemanagement zu schreiben.
Foto: Mina Esfandiari

REUTLINGEN/BERLIN. Martha Dudzinski ist eine »High-Performerin«, wie es neudeutsch heißt. Die Einser-Schülerin engagierte sich schon als Jugendliche in ihrer Heimatstadt Friedrichshafen ehrenamtlich, war im Jugendgemeinderat, in diversen Vereinen und hatte eine Kolumne in der Zeitung. Nach ihrem Studium in München und Schottland - mit Stipendien versteht sich - zog Dudzinski nach Berlin, arbeitete beim Bundespresseamt und bei Mercedes-Benz. In ihrer Freizeit gründete sie die gemeinnützige GmbH »SWANS«, die sich für Akademikerinnen mit Migrationsgeschichte einsetzt.

Inzwischen arbeitet sie Vollzeit für die Initiative, die unter anderem von Bundeskanzlerin Merkel ausgezeichnet wurde und von der UN unterstützt wird. Im Januar 2022 wurde Dudzinski plötzlich jäh ausgebremst: Sie bekam Corona. Seitdem leidet sie unter anderem an dauernder Migräne, depressiven Episoden und Erschöpfungszuständen. Was andere dazu veranlasst, nur noch zwischen Couch und Arztpraxis zu pendeln, führte zu Dudzinskis erstem Buch: In »Konsequent 60 %« erklärt die Wahl-Berlinerin, wie man mit 60 Prozent der Zeit und Energie die bestmögliche Leistung erzielt. Warum das eigentlich für uns alle ein gutes Arbeitsmodell wäre, erzählt Dudzinski im GEA-Interview.

GEA: Frau Dudzinski, zu Beginn ihres Buches schreiben Sie, dass Sie Ratgeber eigentlich nicht mögen. Trotzdem haben Sie nun einen geschrieben. Warum ist Ihr Ratgeber denn besser als andere?

Martha Dudzinski: In meinem Ratgeber berücksichtige ich verschiedene Aspekte, die normalerweise ignoriert werden. Ratgeber tun normalerweise so, als wäre ihre Perspektive - meistens von jemandem, der es strukturell sehr bequem hatte - die einzig wahre. Sie ignorieren, dass es verschiedene Lebensumstände gibt. Entweder merken sie das gar nicht, oder sie sagen, das sei egal, weil ihre Perspektive der Normalzustand sei. Aber ich löse mich gerade von der Perspektive, der Normalzustand zu sein. Bei mir ist nichts mehr normal und bei allen anderen, auch wenn deren Hürden vielleicht andere sind, ist es auch nicht. Vielleicht können wir alle, die sich vom Alltag überfordert fühlen, gemeinsam Lösungen finden.

»Besonders, wenn man von Leuten umgeben ist, die ebenfalls viel leisten, ist es schwierig zu sagen: Ich kann das nicht mehr.«

Sie haben früher beim Bundespresseamt als auch bei Mercedes-Benz als Pressesprecherin gearbeitet und nebenher die mehrfach ausgezeichnete Initiative »SWANS« auf die Beine gestellt. Dann bekamen sie Corona und Long Covid und mussten kürzertreten. Viele Menschen würden bei Ihrem früheren Arbeitspensum wahrscheinlich sagen: Machen Sie einfach mal weniger. Wäre denn ein »normaler« Acht-Stunden-Job an fünf Tagen die Woche nichts für Sie?

Dudzinski: In meinen früheren Tätigkeiten hatte ich keinen klassischen Arbeitsrhythmus. Ich hatte Schichtdienst und chaotische Arbeitsabläufe - und habe das auch sehr genossen. Ich teile mir meine Zeit gerne selbst ein. Aber das kann ich nur, weil ich eben keine familiären Verpflichtungen habe, wie etwa Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Früher habe ich schon sehr viel gemacht. Ich habe den Druck empfunden, viel leisten zu müssen. Es wäre aber auch gelogen zu sagen, ich hätte das nicht gerne gemacht. Meine Begeisterungsfähigkeit für viele Dinge zeichnet mich aus. Jetzt ist es für mich sehr frustrierend, diese Begeisterungsfähigkeit einbremsen zu müssen, weil mein Körper es einfach nicht mehr schafft. Ich leide seit der Erkrankung an permanenter Migräne, habe Konzentrations- und Wortfindungsstörungen. Mein Körper ist so ausgelaugt, dass ich mich schon provisorisch ins Bett lege, damit es nicht noch schlimmer wird. Besonders, wenn man von Leuten umgeben ist, die ebenfalls viel leisten, ist es schwierig zu sagen: Ich kann das nicht mehr. Doch die Frage ist doch eigentlich: Wie definieren wir Leistung? Ich habe festgestellt, dass diese Erschöpfung, die ich empfinde, für viele Leute nachvollziehbar ist, auch ohne die gleichen Symptome.

Der Ratgeber erscheint ab 23. April im EMF Verlag.
Der Ratgeber erscheint ab 23. April im EMF Verlag. Foto: Verlag
Der Ratgeber erscheint ab 23. April im EMF Verlag.
Foto: Verlag

Halten Sie Erschöpfung und Überlastung also für ein gesellschaftliches Problem?

Dudzinski: Ja. Zähneknirschen, Verspannungen, Bandscheibenvorfälle, all das sind doch inzwischen Klassiker. Wir sind alle erschöpft. Und irgendwie ist das normal geworden. Aber wann haben wir beschlossen, dass das normal ist? Der Hauptgrund für die Erschöpfung ist meist eine Überlastung im Job. Unser Arbeitspensum entkoppelt sich immer mehr von der Lebenszeit. Wir müssen in weniger Zeit mehr unterkriegen. Das betrifft nicht nur angebliche Leistungsträger. Bei vielen kommt finanzieller Druck hinzu. Alleine die existenzielle Sicherung führt schon zum Gehetzt sein. Allerdings sind die Lebensrealitäten ganz unterschiedlich. Gemeinsam ist uns allen jedoch die Erschöpfung.

»Wir müssen aufhören, uns selbst Vorwürfe zu machen«

Inzwischen gibt es gerade unter jüngeren Menschen eine Gegenbewegung: Die Generation Z wehrt sich gegen starre Arbeitsmodelle und möchte eine bessere Work-Life-Balance. Von der Wirtschaft wird das immer wieder stark kritisiert. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels müssten die Leute eher wieder mehr arbeiten als weniger, heißt es dort.

Dudzinski: Einige Arbeitgeber beschweren sich jetzt schon, dass sie zu wenig Bewerbungen bekommen. In den nächsten Jahren werden aber rund 13 Millionen Menschen in Rente gehen. Deshalb müssen sich Unternehmer und Unternehmerinnen dringend Gedanken darüber machen, wie sie attraktiver für Bewerber und Bewerberinnen werden und wie sie ihre Leute halten wollen. Es wird zu einer Frage der Wettbewerbsfähigkeit, ob man sich um das gesundheitliche Wohlergehen seiner Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kümmert.

Zur Person

Martha Dudzinski wuchs in Friedrichshafen auf und wohnt in Berlin. Nach ihrem Studium in München und Edinbourgh arbeitete sie im Bundespresseamt für Mercedes Benz. Dudzinski ist Geschäftsführende Gesellschafterin der SWANS Initiative, die sich für Akademikerinnen mit Einwanderungsgeschichte einsetzt. In ihrem Buch »Konsequent 60 Prozent« (ab 23. April 2024 im EMF Verlag) geht sie der Frage nach, warum die Gesellschaft chronisch erschöpft ist und welche Strategien helfen können. (geu)

Wenn wir aber keinen Arbeitgeber haben, der sich um unser Wohlergehen kümmert, müssen wir ja selbst etwas ändern. In ihrem Buch geben Sie Tipps zum Aufräumen des E-Mail-Postfachs bis zur inneren Einstellung. Ganz im Sinne des Buchtitels: Wenn wir nur die Kraft haben, 60 Prozent Ihrer Ratschläge zu berücksichtigen, welche wären das?

Dudzinski: Wir müssen aufhören, uns selbst Vorwürfe zu machen. Wenn wir uns ständig Vorwürfe machen, dass wir dies oder das nicht schaffen, verbrauchen wir Kraft, die uns woanders fehlt. Ich selbst schaffe es allerdings auch nicht, alle meine Tipps ständig zu leben. Was mir aber hilft, ist gnädiger mit mir selbst zu sein. Ich versuche zudem auf ganz existenzieller Ebene zu priorisieren und stelle mit Fragen wie: Wer wird sterben, wenn ich das nicht mache? Wird es mich davon abhalten, meine Rechnungen zu bezahlen? Wie würde ich mit einer anderen Person reden, wenn sie mir erzählt, dass sie eine Aufgabe nicht schafft? Bin ich vielleicht zu mir selber strenger als zu anderen? Auch vergleichen hilft. Wenn wir wirklich bei anderen mal hinter die Fassade schauen, stellen wir schnell fest: Auch die sind nicht perfekt. Es gibt viele Leute, die Großes ankündigen und nicht liefern. Wir sollten uns also nicht mit der besten Person vergleichen, sondern mit dem Durchschnitt. (GEA)