Logo
Aktuell Konjunktur

Widersprüchliche Signale am Arbeitsmarkt

Auf der einen Seite steckt die deutsche Wirtschaft in der Rezession, Konzerne kündigen den Abbau von Tausenden von Stellen an und die Arbeitslosigkeit steigt. Auf der anderen Seite ließt man von Rekordzahlen bei der Erwerbstätigkeit und Firmen klagen über einen Mangel an Fachkräften. Wie passt das zusammen?

Die Autoindustrie kämpft mit den Herausforderungen der Transformation. Viele erlegen sich Sparprogramme auf, meist verbunden mit
Die Autoindustrie kämpft mit den Herausforderungen der Transformation. Viele erlegen sich Sparprogramme auf, meist verbunden mit einem umfangreichen Stellenabbau. Foto: Jan Woitas/dpa
Die Autoindustrie kämpft mit den Herausforderungen der Transformation. Viele erlegen sich Sparprogramme auf, meist verbunden mit einem umfangreichen Stellenabbau.
Foto: Jan Woitas/dpa

REUTLINGEN. Gerade jetzt im Wahlkampf spielen wirtschaftliche Themen eine wichtige Rolle in der öffentlichen Debatte. Nach zwei Jahren der Rezession hört man immer wieder vom wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands und der drohenden De-Industriealisierung. Viele Konzerne verordnen sich Sparprogramme und kündigen einen umfangreichen Stellenabbau an. Besonders betroffen sind dabei die deutschen Vorzeigeindustrien, die Automobilhersteller und ihre Zulieferer sowie der Maschinenbau. Im Januar waren fast 3 Millionen Menschen arbeitslos, 6,7 Prozent mehr als im Januar 2024.

Auf der anderen Seite verzeichnete Deutschland laut Zahlen des statistischen Bundesamts im Jahresschnitt 2024 eine Rekordzahl von 46,1 Millionen Erwerbstätigen, ein Zuwachs von 0,2 Prozent oder 72.000 Menschen zum Vorjahr. Immer wieder hört man von Unternehmern Klagen über einen Mangel an qualifizierten Fachkräften. Tatsächlich sind bundesweit 632.334 offene Arbeitsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Ein vordergründiger Widerspruch, den aufzulösen ein Blick auf die Details erfordert.

Anstieg der Erwerbstätigkeit verliert an Dynamik

Tatsächlich wächst die Zahl der Erwerbstätigen seit 2006 stetig an, mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020. Allerdings verliert dieser Anstieg seit Mitte 2020 deutlich an Dynamik. So wuchs die Zahl der Erwerbstätigen im November 2024 zum Vorjahr nicht mehr an. Im Dezember ging es im Vorjahresvergleich sogar um 0,1 Prozent nach unten. Ob im November allerdings der Wendepunkt in der langfristigen Erwerbstätigkeitsentwicklung liegt, müssen die nächsten Monate zeigen. Erwerbstätige sind die Summe aus abhängig Beschäftigten und Selbstständigen. Einen Zuwachs gab es vergangenes Jahr laut den Statistikern bei den Arbeitnehmern und zwar um 146.000 auf 42,3 Millionen, die Zahl der Selbstständigen ist hingegen rückläufig. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gab es im vierten Quartal 2024 rund 3,75 Millionen Selbstständige, 2,2 Prozent weniger als im Vorjahr.

Doch wie passt das zur Rezession und De-Industriealisierung? Tatsächlich arbeiten schon heute drei Viertel der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor, ihre Zahl stieg 2024 um 153.000 auf 34,8 Millionen. Zuwächse gab es besonders im Gesundheitswesen, in der Pflege, der Verwaltung, der Erziehung und bei Banken und Versicherungen. Im produzierenden Gewerbe ohne Bau sank 2024 die Zahl der Erwerbstätigen hingegen um rund 50.000 auf 8,1 Millionen. Auch im Baugewerbe gab es einen Rückgang um 28.000 Erwerbstätige auf 2,6 Millionen. Es sind also wirklich trotz steigender Erwerbstätigkeit viele Industriejobs verloren gegangen.

Teilzeitbeschäftigung nimmt zu

Schon seit Längerem wird das Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung vor allem von Teilzeitbeschäftigung getragen, seit dem Jahresanfang 2024 sogar ausschließlich. Im November standen nach Daten der Arbeitsagentur 10,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte 24,5 Millionen Vollzeitbeschäftigten gegenüber. Hinzu kommen noch 4,15 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte. Während die Zahl der Teilzeitbeschäftigten zum Vorjahr um 152.000 zulegte, gab es 58.200 Vollzeitbeschäftigte und 46.700 geringfügig Beschäftigte weniger.

So ist es zwar erfreulich, dass einige Menschen ihren Arbeitsumfang ausbauen konnten. Andere hingegen mussten von gut bezahlten Industriejobs mit hoher Tarifbindung in den Dienstleistungssektor in Teilzeit wechseln. Der damit einhergehende Kaufkraftverlust ist auch eine Erklärung dafür, weshalb in Deutschland der private Konsum trotz hoher Tarifabschlüsse nicht so recht in Gang kommen will. Die Zahl der Beschäftigten, die zusätzlich noch einen geringfügig bezahlten Nebenjob ausüben stieg zum Vorjahr um 76.000 auf 3,5 Millionen. Damit hat etwa jeder zehnte Beschäftigte einen Nebenverdienst. Das zeigt auch, wie viele Menschen nach wie vor unter der hohen Inflation der vergangenen Jahre leiden.

Beschäftigungszuwachs allein durch Ausländer aus Drittstaaten

In der Betrachtung nach Staatsangehörigkeiten beruht der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Vergleich zum Vorjahr allein auf Ausländern. Mit 5,76 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen war deren Zahl im November 2024 um 284.000 oder 5,2 Prozent größer als ein Jahr zuvor. Dieser Zuwachs geht ganz auf Personen aus Drittstaaten zurück, darunter 76.000 auf die Ukraine, 62.000 auf die Asylherkunftsländer und 32.000 auf Länder aus dem Westbalkan. Die Beschäftigung von Personen aus Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz hat sich hingegen verringert (-20.000). Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Deutschen ist schon länger rückläufig und liegt mit 29,46 Millionen im November um 191.000 oder 0,6 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Das hat laut Arbeitsagentur in erster Linie demografische Gründe. So ist der Anteil der Deutschen, die rentenbedingt aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden höher als bei den jungen Menschen, die für die Rentner in den Arbeitsmarkt nachrücken.

Stellenangebot und -nachfrage passen oft nicht zusammen

Bundesweit waren im Januar 632.000 offene Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Die Wirtschaftskrise erkennt man auch daran, dass die Zahl zum Vorjahr um 66.000 gesunken ist. Dass es trotz 3 Millionen Arbeitslosen nicht gelingt, diese Jobs zu besetzen, liegt daran, dass Stellenangebot und Stellennachfrage nicht zusammenpassen. Dies kann zum Beispiel auf der Ebene der beruflichen Qualifikation sein, oder bei branchenspezifischer Erfahrung. Viele Arbeitslose wollen aber auch nicht ihr komplettes soziales Umfeld aufgeben, um eine Stelle in einem anderen Bundesland aufzunehmen.

Zur Beurteilung des Fachkräftemangels hilft es, die Zahl der Arbeitslosen ins Verhältnis zu den offenen Stellen zu setzen. Entsprechend aufgeschlüsselte Daten der Agentur für Arbeit liegen bislang nur für das Jahr 2023 vor. Wo wirklich kein Mangel vorliegt, ist bei unqualifizierten Helfertätigkeiten. Hier kamen auf 1,36 Millionen Jobsuchende 92.500 offene Stellen. Damit kommen 1.475 Jobsuchende auf 100 Stellen. Ganz anders sieht es dagegen bei ausgebildeten Fachkräften aus. Hier kamen 2023 nur 210 Arbeitslose auf 100 freie Stellen. Ein ähnliches Verhältnis sieht man bei Spezialisten und Experten. Nach Qualifikation kann man also durchaus von einem Fachkräftemangel sprechen.

Es kommt aber auch stark auf die Branche an. Den größten Engpass gab es 2023 im Bereich Mechatronik/Elektronik, wo nur 98 Arbeitslose auf 100 freie Stellen kommen. Aber auch in der Verwaltung (137 Arbeitslose/100 freie Stellen), in IT-Berufen (164 Arbeitslose/100 freie Stellen) und in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik (213 Arbeitslose/100 freie Stellen) kann man sicherlich von Engpassberufen reden. Ganz anders sieht es bei Textilberufen aus, wo rund 1.000 Arbeitslose auf 100 freie Stellen kommen. Auch in der Logistik (679 Arbeitslose/100 freie Stellen) und im Lebensmittelhandwerk (622 Arbeitslose/100 freie Stellen) dürfte es nicht an passenden Bewerbungen für Jobangebote mangeln. (GEA)