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Was hinter der Krise der Autoindustrie steckt

Der Wandel zur Elektromobilität und der Nachfragemangel bedrohen Standorte und Arbeitsplätze in Deutschlands Schlüsselindustrie.

Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns stehen im Hafen von Emden zur Verschiffung bereit.  FOTO: SARBACH/DPA
Die Wirtschaftsleistung in Deutschland liegt auf dem Stand von 2019. Foto: Sarbach/Deutsche Presse Agentur
Die Wirtschaftsleistung in Deutschland liegt auf dem Stand von 2019.
Foto: Sarbach/Deutsche Presse Agentur

REUTLINGEN. Die Aktienkurse von BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sind derzeit keine Stützen des Deutschen Aktienindex (Dax). Alle drei notieren in der Nähe ihrer 52-Wochen-Tiefs. Die Börse spiegelt, dass die Automobilbranche in Deutschland in der Krise steckt. Absatzflaute und Überkapazitäten prägen das Geschehen – und die Umstellung vom Verbrennermotor auf Elektrofahrzeuge, verbunden mit dem Auftritt neuer Wettbewerber aus Asien.

Einer Studie zufolge könnten bis Mitte des kommenden Jahrzehnts in der deutschen Automobilindustrie 140.000 Ar-beitsplätze verloren gehen. Bereits zwischen 2019 und 2023 seien unter dem Strich 46.000 Jobs entfallen, heißt es in der Erhebung des Prognos-Instituts im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA). 2023 haben demnach knapp 911.000 Menschen in der Branche gearbeitet. Der vorhergesagte Rückgang an Beschäftigung hänge nicht mit der aktuellen Absatzkrise zusammen, sondern damit, dass der elektrifizierte Antrieb weniger komplex sei als der Verbrenner, wie VDA-Chefvolkswirt Manuel Kallweit erläutert.

Am stärksten betroffen von der Krise ist offenbar die Kernmarke Volkswagen des VW-Konzerns, zu dem unter anderem auch Audi, Porsche, Skoda und Seat gehören. Anfang September hat das VW-Management die seit 1994 fortgeschriebene Beschäftigungssicherung gekündigt, die betriebsbedingte Kündigungen ausschloss. Es fordert Werksschließungen, Stellenabbau und Lohnkürzungen.

Intensiver Wettbewerb

Im Jahr 2003 stammte noch fast jedes dritte in China verkaufte Auto aus einer VW-Fertigung. Nun ist der VW-Marktanteil dort auf 14,5 Prozent geschrumpft. Die Neue Züricher Zeitung schrieb dazu: »Chinas E-Auto-Hersteller sind dabei, VW die Luft abzuschnüren.« Die Gefährte von Konkurrenten wie BYD, Nio und Xiaopeng sind gefragt. VW habe in China zu lange auf den Verbrennermotor gesetzt. Automobilexperte Stefan Bratzel sagte dem Spiegel, dass bei VW in Deutschland Strukturprobleme durch hohe Gewinne aus China kaschiert worden seien: »Die kommen jetzt nicht mehr.«

Das VW-Gesetz sichert dem Land Niedersachsen und Arbeitnehmervertretern einen hohen Einfluss. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gerät als Aufsichtsratsmitglied von VW in einen Konflikt zwischen politischen Interessen (Erhalt von Arbeitsplätzen) und Unternehmensinteressen (Profitabilität). Die Forderung nach Subventionen für VW in der Krise steht jedenfalls bereits im Raum. Auch über den Sinn des europäischen Verbrennerverbots für Neuwagen ab dem Jahr 2035 und über die Überprüfung der CO2-Flottenziele wird schon diskutiert.

Bei Mercedes-Benz ist das Ergebnis für das dritte Quartal von 3,7 Milliarden Euro im Vorjahr auf 1,7 Milliarden Euro gesunken. Der Konzern erklärte dies mit einem verhaltenen makroökonomischen Um-feld, hartem Wettbewerb und Nachfrageeinbruch in China und bei Luxusautos. Dem Handelsblatt zufolge gab der durchschnittliche Verkaufspreis je Fahrzeug wegen nötiger Rabatten von 74.600 auf 66.800 Euro nach. Auch in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres büßte Mercedes-Benz beim Gewinn gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 31 Prozent auf 7,9 Milliarden Euro ein.

Experten kritisieren die Strategien von Volkswagen und Mercedes-Benz. VW setze inzwischen zu sehr auf Elektromobilität, Mercedes zu sehr auf große und teure Fahrzeuge. Besonders die Kunden auf dem deutschen Heimatmarkt seien stark verunsichert wegen der noch schwach ausgebauten Ladeinfrastruktur hierzulande und den hohen Preisen für Elektrofahrzeuge. Sie kauften daher eher noch einen Verbrenner oder zögerten die Entscheidung über den Kauf eines neuen Fahrzeugs hinaus. Es fehlten günstige E-Autos für Normalverbraucher. VW will wohl erst im Jahr 2026 diese Lücke mit einem E-VW für weniger als 30.000 Euro schließen. Fachleute monieren zudem, dass die deutschen Hersteller bei E-Autos nicht den technischen Vorsprung hätten wie im Verbrennermarkt. Auch bei Innenausstattung, Design und Marketing gebe es Luft nach oben.

Der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts für die Autoindustrie ist im Oktober auf minus 27,7 Punkte gefallen. Über 44 Prozent der Unternehmen klagten über Auftragsmangel – so viele wie seit dem ersten Sommer der Corona-Krise im Juli 2020 nicht mehr, wie das Institut mitteilte. Die Unternehmen beurteilen demnach vor allem die derzeitige Lage erheblich schlechter als vor vier Wochen. »Der deutschen Autoindustrie scheint der intensiver werdende Wettbewerb vor allem aus dem außereuropäischen Ausland zunehmend zuzusetzen«, sagte Ifo-Autofachfrau Anita Wölfl. (GEA)