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Warum Flüchtlinge selten in Ein-Euro-Jobs arbeiten

Markus Dick, Geschäftsführer des Reutlinger Jobcenters erklärt, warum die Forderung Bürgergeldempfänger zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, pauschal keinen Sinn macht.

Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter sehen auch für 2025 weiter dunkle Wolken am  Arbeitsmarkthimmel - aber durchaus auch Ch
Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter Reutlingen. Foto: Norbert Leister
Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter Reutlingen.
Foto: Norbert Leister

REUTLINGEN. Empfänger von Bürgergeld, darunter auch Geflüchtete, sollen unter Androhung von Leistungskürzungen dazu gezwungen werden, gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Das war zuletzt von mehreren Bundes- und Kommunalpolitikern zu hören. Warum diese Forderung in der Praxis kaum umzusetzen ist, erklärt Markus Dick, Geschäftsführer des Reutlinger Jobcenters, im Gespräch mit dem GEA.

Wie viele Bürgergeldempfänger gibt es im Kreis Reutlingen und wie viele davon sind Geflüchtete und Ukrainer?

Die Zahl der Bürgergeldempfänger schwanke im Landkreis Reutlingen zwischen 8.800 und 9.000 Personen, aufgeteilt auf 6.400 Bedarfsgemeinschaften, weiß Markus Dick. Davon seien etwa 20 Prozent Ukrainer und weitere 20 Prozent Geflüchtete aus den acht Herkunftsländer mit der höchsten Asyl-Anerkennungsquote. Das sind Syrien, Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Somalia, Eritrea und Nigeria. Die übrigen 60 Prozent der Kunden des Jobcenters seien Menschen ohne Fluchterfahrung.

Wie viele Ein-Euro-Jobs gibt es für diese 8.800 Menschen?

»Das Problem sind nicht die Menschen. Das Problem sind die Arbeitsgelegenheiten«, sagt Dick. Denn für seine 8.800 Kunden stehen im Landkreis Reutlingen gerade einmal 30 Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung. Das liegt daran, dass gesetzlich streng reglementiert ist, dass diese Arbeitsgelegenheiten zusätzlich, wettbewerbsneutral und gemeinnützig sein müssen. Es sollen keine regulären sozialversicherungspflichtigen Jobs verdrängt werden und es soll auch kein Lohndumping stattfinden. Deshalb sind die Arbeitsgelegenheiten auch auf wenige Monate befristet. »Wir haben durchaus Kunden, die gerne länger in einer solchen Arbeitsgelegenheit verbringen würden«, sagt Dick. Der Geschäftsführer des Jobcenters würde sich für die Arbeitsgelegenheiten, die von Kommunen und Sozialträgern angeboten werden, eine weniger strenge Regulierung wünschen, damit mehr Ein-Euro-Jobs zur Verfügung stehen würden.

Qualifizieren Ein-Euro-Jobs für eine reguläre Beschäftigung?

Markus Dick berichtet, dass es in einigen Fällen gelungen sei, Menschen aus einer Arbeitsgelegenheit in einen regulären Job zu vermitteln. Er hat jedoch für den Bereich des Jobcenters Reutlingen keine Statistik dazu. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit kommt zu einem differenzierten Ergebnis. Die Frage, ob Ein-Euro-Jobs sinnvoll seien, hänge sehr von der Zielgruppe ab. So sei für eine besonders arbeitsmarktferne Klientel, die sich zunächst an eine Tagesstruktur gewöhnen müsse, eine leichte Verbesserung der Vermittelbarkeit zu erwarten.

Markus Dick ist der neue Geschäftsführer des Jobcenters Reutlingen.
Markus Dick ist der neue Geschäftsführer des Jobcenters Reutlingen. Foto: Ulrike Glage
Markus Dick ist der neue Geschäftsführer des Jobcenters Reutlingen.
Foto: Ulrike Glage

Zur Forderung ,Geflüchtete in Ein-Euro-Jobs zu stecken, ist die Studie skeptisch: »Ein verstärkter Einsatz als Gegenleistung für das Bürgergeld von Geflüchteten, die in Grundsicherung als Arbeitssuchende übergehen, könnte sich kontraproduktiv auswirken, da Arbeitsgelegenheiten sich an arbeitsmarktferne Personen richten.« Geflüchtete in diese Jobs zu stecken, könne sie »von der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abhalten, ohne ihre Beschäftigungsfähigkeit zu steigern«, schreibt der Studienautor Joachim Wolff.

Warum vermittelt das Jobcenter aktuell mehr Geflüchtete in Arbeit als Nicht-Geflüchtete?

Markus Dick hebt hervor, dass die Integrationsquote, also der Anteil der Menschen, die er und seine 185 Mitarbeiter im Jobcenter Reutlingen (zehn davon arbeiten in Münsingen) in einen sozialversicherungspflichtigen Job vermitteln konnten aktuell bei den Geflüchteten höher ist, als bei den Nicht-Geflüchteten. Im Jahr 2024 habe die Quote bei den Geflüchteten aus den genannten acht Herkunftsländern bei 25 Prozent, bei den Ukrainern bei 19 Prozent und bei den Menschen ohne Fluchterfahrung bei 20,7 Prozent gelegen. Für 2025 werde die Quote sowohl bei Ukrainern, als auch bei Menschen aus den acht Herkunftsländern höher liegen als bei den Nicht-Geflüchteten.

»Es ist abzusehen, dass 40 Prozent Geflüchtete mehr als 50 Prozent unserer Vermittlungen ausmachen werden«, sagt Dick. Das liege daran, dass viele seiner Kunden »multiple Vermittlungshindernisse« hätten. Das seien entweder körperliche oder psychische Einschränkungen, eingeschränkte Mobilität, Suchtproblematiken, Schwangere, Alleinerziehende, Menschen über 60 Jahre. »Geflüchtete haben oft Traumata und Sprachbarrieren, sind aber insgesamt oft arbeitsmarktnäher als unsere nicht-geflüchteten Kunden«, sagt Dick. Das Jobcenter gehe diese Vermittlungshemmnisse gezielt an. So gebe es vier Mitarbeiter im Jobcenter, die sich gezielt um die Vermittlung von Alleinerziehenden kümmern.

Was ändert sich für die Mitarbeiter des Jobcenters bei der geplanten Bürgergeld-Reform?

In der Bewertung ist Dick vorsichtig, weil die Reform noch nicht verabschiedet wurde. »Für die Arbeitsgelegenheiten wird sich nicht viel ändern«, sagt er. Bei den Sanktionsmöglichkeiten für Kunden, die nicht mit dem Jobcenter zusammenarbeiten, könnte sich etwas ändern. Doch das betreffe nur einen sehr kleinen Teil, sagt Dick. Vor der Ampel-Reform des Bürgergelds sei ein »niedriger einstelliger Prozentsatz« der Leistungsbezieher sanktioniert worden, weil sie nicht mit dem Jobcenter zusammenarbeiten wollten. Nach der Ampel-Reform sei es kompliziert geworden, Leistungen zu kürzen. Nun könnte der Zustand von vor der Reform wieder hergestellt werden, erwartet Dick.