GEA: Bei der Lufthansa geht es derzeit nicht nur um höhere Löhne. Eine Veränderung der Vorruhestandsregelung greift doch massiv in eine Versorgungsstruktur ein. Haben Sie da Verständnis?
Rürup: Der Entgeltvertrag der Lufthansa mit der Vereinigung Cockpit ist ausgelaufen, und die Vereinbarung über die Übergangsversorgung wurde von der Lufthansa mit dem Hinweis auf den – von den Piloten bestrittenen – Wegfall der Vertragsgrundlage gekündigt. Da für beide Fragen neue Tarifverträge abgeschlossen werden müssen, können beide Themen auch Gegenstand eines Arbeitskampfes sein. Für die Frage neuer Geschäftsmodelle unter dem Stichwort »Wings«, sprich konzerneigener Billigfluglinien, gilt das eigentlich nicht. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass die Kompromissbereitschaft der Piloten bei der Übergangsversorgung und den Entgelten nicht von dieser strategischen Neuausrichtung der Lufthansa beeinflusst wird.
Heißt das denn, die Piloten müssen eine neue Übergangsversorgung einfach schlucken?
Rürup: Nein. Es gab einen Vertrag zwischen beiden Seiten. Der ist von der Lufthansa gekündigt worden. Dieser hat aber – zumindest für die derzeit beschäftigten Piloten – eine unbefristete Nachwirkung, bis es eine neue Vereinbarung gibt. Einseitig kann die Lufthansa nichts verändern. Deshalb geht es jetzt um einen Tarifvertrag über die Entgelte und einen zweiten Vertrag über die Übergangsversorgung. Und im Hintergrund spielt noch eine Anpassung des Systems der betrieblichen Altersversorgung eine Rolle; denn auch diese Vereinbarung ist von der Lufthansa aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt worden. Da die Gewerkschaft Cockpit die Bedingungen auch für die zukünftig bei der Lufthansa oder einer ihrer Töchter arbeitenden Piloten zumindest halbwegs so erhalten will wie sie sind, reagieren sie allergisch darauf, dass nun neben einer Ausweitung des Streckennetzes von Eurowings und Germanwings nun auch noch eine Lowcost-Airline im Langstreckenbereich etabliert werden soll.
Wie bewerten Sie denn den Vorgang?
Rürup: Bislang können die Piloten mit 55 Jahren in den Ruhestand gehen und bis zum Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters bezahlt ihnen die Lufthansa 60 Prozent der letzten Bruttobezüge. Im Durchschnitt gehen die Piloten der Lufthansa Passage heute mit 59 Jahren in den Ruhestand. Die Lufthansa möchte diesen Durchschnitt – zumindest zunächst – um zwei Jahre heraufsetzen. Cockpit sorgt sich natürlich nach dem Motto: »Wehret den Anfängen«.
Was halten Sie von der Strategie der Moderationsgespräche?
Rürup: Anders als bei einer Schlichtung geht es bei einer Moderation darum, bei den Konfliktparteien die Argumente und Motive des Gegenüber klar zu machen, damit beide Seiten wissen, aus welchen Gründen was gefordert oder abgelehnt wird. Die Idee dahinter ist, dass man eher zu einem Ergebnis kommen kann, wenn man die genauen Motive seines Gegenüber kennt. Die Einschaltung des Moderators war sinnvoll, denn die Sache war völlig verhakt. Wie man hörte, ist man sich auf diese Weise ein gutes Stück nähergekommen. Die Strategie, den Lowcost-Bereich deutlich auszuweiten, hat aber die Differenzen wieder vergrößert. Denn ohne niedrigere Gehälter und längere Arbeitszeiten für die neu bei diesen Tochterunternehmen Beschäftigten funktioniert das Geschäftsmodell nicht.
Es kann ja noch eine Schlichtung geben?
Rürup: Wenn beide Parteien keine Chance auf eine einvernehmliche Lösung sehen, ist die Schlichtung unvermeidlich. Der Schlichterspruch ist zwar kein Urteil, das beide Parteien zu akzeptieren haben. Aber es ist für beide Seiten ziemlich schwierig, ihn abzulehnen. Der Schlichterspruch ist dann gut, wenn beide Parteien ihn nur mit ganz grimmigem Gesicht zähneknirschend akzeptieren.
Bei der Bahn geht es ja auch nicht nur um Lohnprozente. Zwei Gewerkschaften machen sich für Gruppen stark. Die Bahn sagt, einigt euch doch mal, wer für wen (Lokführer, Zugbegleiter) zuständig ist. Ist das gerechtfertigt?
Rürup: Nur durch die Brille des Ökonomen betrachtet, wäre natürlich die Tarifeinheit, also pro Branche oder Betrieb nur eine Gewerkschaft, die richtige Konstellation. Aber, im Grundgesetz ist die Koalitionsfreiheit verankert. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2010 festgestellt, dass ein Gebot zur Tarifeinheit verfassungswidrig wäre, da die grundgesetzlich verankerte Koalitionsfreiheit verletzt würde. Aus dieser Koalitionsfreiheit resultiert nun einmal, dass sich Spartengewerkschaften bilden können. Damit muss sich auch die Bundesregierung auseinandersetzen, die sich in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, dass sie die Tarifeinheit etablieren möchte.
Arbeitsministerin Andrea Nahles möchte im Herbst eine Lösung vorlegen. Wie könnte die denn aussehen?
Rürup: Ich halte es für außerordentlich schwierig, im Rahmen der geltenden Verfassung die Tarifeinheit und damit das Prinzip ein Betrieb eine Gewerkschaft zu verankern. Aber – selbst wenn wir die Tarifeinheit hätten, kann man nicht ausschließen, dass sich eine Branchengewerkschaft wie eine Spartengewerkschaft verhält. Das haben wir bei Verdi gesehen, als das Sicherheitspersonal auf den Flughäfen streikte. Die Tarifeinheit ist nicht der Königsweg.
Nochmals die Frage nach der Lösung.
Rürup: Wenn man festlegen würde, die größte Gewerkschaft ist zuständig für Tarifverhandlungen, wäre mit Sicherheit Sperrfeuer zu erwarten. Nehmen wir als Beispiel die Krankenhäuser: Wenn alle Ärzte beim Marburger Bund organisiert wären, hätten die Ärzte allenfalls einen Anteil von 15 Prozent an den Beschäftigten und sie könnten ihre Interessen nie mit Arbeitskampfmaßnahmen durchsetzen. Deswegen glaube ich, dass dieser Weg vor dem Verfassungsgericht scheitern würde. Durch einen Streik möchte eine Gewerkschaft den oder die Arbeitgeber schädigen. Das ist das Prinzip, und das ist legal und legitim. Geht es aber um Streiks in Bereichen der Daseinsvorsorge, zum Beispiel öffentliche Müllabfuhr oder Gesundheits- oder Verkehrswesen, werden letztlich immer auch größere Teile der Gesellschaft in eine Art Geiselhaft genommen. Deshalb spricht einiges dafür, in klar zu definierenden Bereichen, in denen große Teile der Bevölkerung von Streiks massiv betroffen werden – und dazu gehört nun einmal auch der Flug- und Bahnverkehr – einem Streik eine obligatorische Schlichtung vorzuschalten. Das wäre ein massiver Eingriff in das Arbeitskampfrecht, die Koalitionsfreiheit würde aber dadurch nicht ausgehebelt. (GEA)
