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Reutlinger Handwerkskammer: So unterstützt sie Azubis

Alina Neubert von der Handwerkskammer Reutlingen unterstützt Auszubildende und Betriebe.

Meister und Lehrling verstehen sich nicht immer gut.
Meister und Lehrling verstehen sich nicht immer gut. Foto: Handwerkskammer.de
Meister und Lehrling verstehen sich nicht immer gut.
Foto: Handwerkskammer.de

REUTLINGEN. Über 20 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse werden aus unterschiedlichen Gründen vorzeitig aufgelöst. Um gefährdete Lehren zu stabilisieren und die Zahl der Vertragslösungen zu verringern, gibt es seit dem Jahr 2015 das Projekt »Erfolgreich ausgebildet – Ausbildungsqualität sichern« des Landes Baden-Württemberg. Eine von inzwischen 25 Ausbildungsbegleiterinnen und Ausbildungsbegleitern im Südwesten ist Alina Neubert. Die 29-Jährige unterstützt seit Anfang dieses Jahres als Erste im Bezirk der Handwerkskammer Reutlingen Auszubildende und Betriebe, gegebenenfalls auch Eltern und Lehrer. Durch vertrauliche und kostenlose Beratung bietet sie mit dem Blick von außen an, Konflikte zu entschärfen und Probleme zu lösen.

»Manche junge Leute müssen lernen, was es bedeutet zu arbeiten. Und manche Betriebe sollten digitaler und offener werden«, sagt Neubert im Gespräch mit dem GEA. Häufig würden Erwartungen nicht erfüllt, wenn Babyboomer als Ausbilder auf Vertreter der Generation Z als Auszubildende treffen.

Der Lehrling komme zu spät oder fehle unentschuldigt – jedenfalls lasse die Krankmeldung auf sich warten. Zuweilen seien das Berichtsheft nicht ordnungsgemäß geführt und die Noten schlecht, oder der junge Mensch wirke auf den Meister unmotiviert oder sogar überfordert.

Neubert hört indes auch Klagen der Auszubildenden über die betrieblichen Bedingungen, etwa so: »Der Chef schreit herum und bringt dem Azubi nichts bei.« Die Lehrlinge müssten immer nur putzen. Die Arbeitssicherheit lasse zu wünschen übrig. Junge Frauen fühlten sich in Betrieben, in denen oft nur Männer arbeiteten, nicht wohl.

Alina Neubert, Leiterin des Projekts »Ausbildungsbegleitung« bei der Handwerkskammer Reutlingen.
Alina Neubert, Leiterin des Projekts »Ausbildungsbegleitung« bei der Handwerkskammer Reutlingen. Foto: Handwerkskammer Reutlingen
Alina Neubert, Leiterin des Projekts »Ausbildungsbegleitung« bei der Handwerkskammer Reutlingen.
Foto: Handwerkskammer Reutlingen

In Einzelgesprächen oder bei Treffen mit beiden Seiten versucht Neubert, die Ursachen von Problemen zu ergründen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. »Manchmal sind es persönliche Probleme, die sich im Betrieb auswirken«, berichtet sie. Dabei könne es sich beispielsweise um mangelnde Deutschkenntnisse, die finanzielle Situation, die Wohnverhältnisse, Stress mit den Eltern, Drogenkonsum oder psychische Erkrankungen handeln. Neubert vermittelt für die Betroffenen daher auch Hilfe durch Netzwerkpartner wie die Agenturen für Arbeit, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (für Nachhilfekurse) oder psychologische Ansprechpartner.

Sie hatte ihr Studium in Tübingen als Master in Sozialpädagogik und Bachelor in Erziehungswissenschaft abgeschlossen und praktische Erfahrungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie in der Jugendhilfe gesammelt, ehe sie im Januar ihre Stelle bei der Handwerkskammer antrat. Da die Ausbildungsbegleitung im Kammerbezirk noch nicht bekannt war, stellte sie sich zunächst bei den Kreishandwerkerschaften, bei Messen und Seminaren sowie in Berufsschulen und in der Bildungsakademie der Kammer in Tübingen-Derendingen den Betrieben und Auszubildenden vor. Seit Jahresanfang hat sie sich mit 48 problembehafteten Ausbildungsverhältnissen beschäftigt und 33 davon in das Projekt aufgenommen. »Jetzt im Herbst wird das wohl zunehmen, weil neue Ausbildungsverhältnisse begonnen haben und in der Probezeit sind«, erklärt Neubert.

Laut Ausbildungsbericht der Handwerkskammer Reutlingen gab es im vergangenen Jahr 510 vorzeitige Lösungen von Berufsausbildungsverträgen – nach 549 im Jahr zuvor. Bei insgesamt 4.205 (2022: 4.312) Ausbildungsverträgen errechnete sich eine Quote von 12,1 (12,7) Prozent. Da die meisten Vertragsauflösungen aber im ersten und zweiten Ausbildungsjahr – und nicht im dritten oder vierten – vereinbart werden, liegt die realistische Abbrecherquote über 20 Prozent. Für 2023 verzeichnete die Reutlinger Kammer 1.742 neue Ausbildungsverträge, 2022 waren es 1.767.

Susanne Hammann, Geschäftsbereichsleiterin Berufsausbildung, Prüfungs- und Sachverständigenwesen bei der Handwerkskammer Reutlin
Susanne Hammann, Geschäftsbereichsleiterin Berufsausbildung, Prüfungs- und Sachverständigenwesen bei der Handwerkskammer Reutlingen. Foto: Handwerkskammer Reutlingen
Susanne Hammann, Geschäftsbereichsleiterin Berufsausbildung, Prüfungs- und Sachverständigenwesen bei der Handwerkskammer Reutlingen.
Foto: Handwerkskammer Reutlingen

»Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen bedeuten Vertragslösungen eine große, auch finanzielle Belastung. Gleichzeitig wird der Fachkräftemangel im Handwerk steigen, während Arbeitskräfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung weniger gefragt sind«, sagt Susanne Hammann, Geschäftsbereichsleiterin Berufsausbildung, Prüfungs- und Sachverständigenwesen der Handwerkskammer Reutlingen. Die Juristin freut sich daher darüber, dass das Projekt Ausbildungsbegleitung bei Betrieben und Jugendlichen gut ankomme und dass das baden-württembergische Wirtschaftsministerium die Förderung der Stellen bis 2026 fortsetzen werde.

70 Prozent der Personalkosten trägt das Land, 30 Prozent die Kammer. »Wir haben eine hoheitliche Aufgabe. Die Ausbildung sollte fachlich und menschlich gut ablaufen. Es werden auf beiden Seiten Fehler gemacht. Da ist es gut, dass wir so eine Art Vermittler sein können«, erläutert Hammann.

Neubert weist darauf hin, dass nach den bisherigen Erfahrungen auf Landesebene durch das Projekt »in über 80 Prozent der Begleitungen Abbrüche verhindert werden konnten«. Wenn es dennoch zu einer korrekten Beendigung gekommen sei, habe dies in 60 Prozent der Fälle zu einem neuen Ausbildungsverhältnis in einem anderen Ausbildungsbetrieb oder in einem anderen Ausbildungsberuf geführt.

Für die Ausbildungsverhältnisse in Industrie, Handel und Dienstleistungsberufen gibt es im Übrigen in der Region mit Jan Strohmaier auch einen Ausbildungsbegleiter. Die Industrie- und Handelskammer Reutlingen nimmt, wie berichtet, bereits seit über sechs Jahren an dem Landesprojekt teil. (GEA)