REUTLINGEN. Der Markt funktioniert, Angebot und Nachfrage finden zusammen – im Reutlinger Orschel-Park sinnigerweise an der nach dem einstigen Wirtschaftsminister und Bundeskanzler benannten Ludwig-Erhard-Straße. Dort stand das Ende August 2022 fertiggestellte Bürogebäude »Welle 2« des zur Unternehmensgruppe Dünkel Holding (Schemmerhofen bei Biberach) gehörenden Investors Activ-Group bislang leer. Der Bosch-Konzern hatte unterdessen vor etwa zwei Jahren dem Kraftfahrzeug-Lichttechnik Spezialisten Marelli Germany GmbH auf Ende 2025 den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs gekündigt. Der Betriebsrat von Marelli sah deswegen, wie berichtet, die damals 840 Arbeitsplätze am Standort bedroht. Nun zieht ein Großteil der Reutlinger Marelli-Belegschaft in die »Welle 2« um, ein kleinerer Teil kann auf dem Bosch-Areal an der Tübinger Straße bleiben. Martin Schmidt-Prange, Personalleiter Deutschland von Marelli und einer von vier Geschäftsführern der Marelli Germany GmbH, sagt dem GEA: »Wir sind sehr glücklich, dass wir nach längerer Suche das Gebäude ›Welle 2‹ relativ langfristig und als Erstnutzer anmieten konnten.«
Seit Januar dauere der Umzug aus den bisherigen Büros bei Bosch an den 3,5 Kilometer entfernten neuen Standort an, erzählt der 58-jährige Personalchef. »Wir nutzen das Gebäude ›Welle 2‹ mit 13.385 Quadratmetern Fläche komplett«, sagt Schmidt-Prange. Aktuell seien 650 Personen bei Marelli Germany in Reutlingen beschäftigt. 470 von ihnen kämen in »Welle 2« unter. Dies betreffe die Abteilungen Projektmanagement, Personal, Vertrieb, Finanzen, Einkauf, Qualitätsmanagement und Entwicklung (einschließlich Lichttechnik). Bislang seien 250 Beschäftigte umgezogen. Da noch bauliche Veränderungen nötig seien, erfolge der Umzug der Entwicklung später. 180 Marelli-Beschäftigte bleiben Schmidt-Prange zufolge auf den von Bosch weiterhin gemieteten 20.000 Quadratmetern gewerblichen Flächen: Werkzeugbau, Musterbau, Fertigung und Erprobung.
Im Handelsregister ist mit Veröffentlichung am 14. Februar der Wechsel der Geschäftsanschrift von der Tübinger Straße 123 in die Ludwig-Erhard-Straße 4 bereits dokumentiert. In diesem öffentlichen Verzeichnis finden sich auch die jüngsten Änderungen der Firmierung: Das Unternehmen hieß viele Jahre Automotive Lighting Reutlingen GmbH, ehe es 2019 in Marelli Automotive Lighting Reutlingen (Germany) GmbH und im Oktober 2024 in Marelli Germany GmbH umbenannt wurde.
Konzern hat 45.000 Beschäftigte
Das heutige Reutlinger Unternehmen ist 1999 durch Zusammenlegung des früheren Geschäftsbereichs K2 Scheinwerfer von Bosch und der Lighting Group von Magneti Marelli (Italien) hervorgegangen. Es gehörte erst mehrheitlich zum Fiat-Konzern, dann zu Fiat Chrysler. 2019 wurde es an den japanischen Automobilzulieferer Calsonic Kansei verkauft, hinter dem als Eigentümer der US-Finanzinvestor KKR steht. Heute ist die Marelli Germany GmbH eine 100-prozentige Tochterfirma des in Marelli umfirmierten Konzerns mit Sitz in Saitama (Japan).
Dieser Konzern hat 45.000 Mitarbeitende in 24 Ländern in Asien, Europa, Afrika sowie in Nord- und Südamerika, wie Schmidt-Prange mitteilt. Das Leistungsspektrum umfasse Beleuchtung, Elektronik, Innenräume, Antriebe, Federung, Abgas- und Wärmetechnologien für Fahrzeuge.
Der Geschäftsbereich Lichttechnik (Fahrzeugscheinwerfer und -rückleuchten, Lichtelektronik) sei mit 17.000 der insgesamt 45.000 Beschäftigten der größte des Konzerns. Reutlingen, nunmehr an der Ludwig-Erhard-Straße, sei die globale Zentrale dieses Geschäftsbereichs, hebt Schmidt-Prange hervor. Schwerpunkte vor Ort seien die Entwicklung von Elektronikkomponenten und lichttechnische Innovationen sowie die Entwicklung von Frontscheinwerfern. »Wir sind nach wie vor ein führender Anbieter in der Lichttechnik weltweit«, verweist der Geschäftsführer auf zahlreiche Projekte mit Automobilherstellern wie Opel, Volkswagen, Audi, BMW, Mercedes-Benz und Alfa Romeo, aber auch mit chinesischen Abnehmern wie Changan und Nio.
Bei der Umsatzverteilung der Sparte für Fahrzeugbeleuchtung im Außenbereich sei für Marelli Europa die stärkste Region, gefolgt von Nordamerika, Asien und Südamerika. Schmidt-Prange verweist darauf, dass der Konzern nicht börsennotiert sei und daher gegenüber Medien keine Geschäftszahlen nenne.
Für Marelli Automotive Lighting Reutlingen (Germany) GmbH, frühere Bezeichnung von Marelli Germany GmbH, ist unter "unternehmensregister.de" für das Jahr 2023 bei einem Umsatz von 804 (2022: 751) Millionen Euro ein Jahresfehlbetrag von 188 Millionen Euro ausgewiesen, nach einem Fehlbetrag von 121 Millionen Euro in 2022. Es ist auch zu entnehmen, dass es seinerzeit über 60 Tochtergesellschaften des Reutlinger Unternehmens weltweit gab. In den Umsätzen seien insbesondere auch Leistungen der Werke in Brotterrode-Trusetal (Thüringen; inzwischen geschlossen) und in Jihlava (Tschechien) enthalten.
Restrukturierung beendet
In Reutlingen waren im Oktober 2020 noch 930 Personen für Marelli tätig. Mit Hinweis auf »ein strukturelles Kostenproblem« hatte Schmidt-Prange damals angekündigt, dass bis 2024 durch Vorruhestandsregelungen, Abfindungsangebote und Nichtersetzen frei werdender Stellen 250 Arbeitsplätze abgebaut werden sollten. Durch die Verunsicherung in der Belegschaft wegen der Kündigung des Mietvertrags durch Bosch sei es zu einer erhöhten Fluktuation gekommen, erklärt der Geschäftsführer nun den Rückgang auf sogar 650 Personen.
Die als Folge rückläufiger Produktionszahlen in der Zuliefererbranche eingeleitete umfangreiche Restrukturierung sei abgeschlossen, erläutert Schmidt-Prange. »Wir sind jetzt sehr gut aufgestellt. Beim Personal in Reutlingen planen wir mit Stabilität«, sagt er auf GEA-Nachfrage. Weitere Standorte in Deutschland mit jeweils weniger als 20 Beschäftigten gebe es in Ismaning (bei München), Hannover und Wolfsburg. Der Geschäftsführer bekräftigt seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass sich die Profitabilität des Marelli-Konzerns im vergangenen Jahr deutlich verbessert habe. Er spricht von »schwarzen Zahlen«. (GEA)