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Aktuell Geschichte

Regionale Unternehmen im Nationalsozialismus: Wehrmachtsausrüster und Widerständler

Welche Unternehmen vom Krieg und Nationalsozialismus profitierten und welche Firmenbosse heimlich Hitler-Gegnern halfen.

Näherinnen von Hugo Boss im Jahr 1938. FOTO: STADTARCHIV METZINGEN
Näherinnen von Hugo Boss im Jahr 1938. FOTO: STADTARCHIV METZINGEN
Näherinnen von Hugo Boss im Jahr 1938. FOTO: STADTARCHIV METZINGEN

REUTLINGEN. Wie erging es den anderen großen Firmen in der Region, die man heute noch kennt, in der Zeit als die Nazis den GEA verboten hatten? Die Firmengeschichte während der Nazizeit ist vor allem bei jenen Firmen gut dokumentiert, die selbst Historiker damit beauftragten, ihre Unternehmensgeschichte aufzuarbeiten. So hat etwa der Metzinger Modekonzern Hugo Boss Studien von Historikern finanziert, die auch publiziert wurden. Andere Firmen produzierten zwar ebenfalls Rüstungsprodukte, es ist jedoch wesentlich schwieriger nachzuvollziehen, in welchem Umfang das geschah. Generell lässt sich das Verhalten und Schicksal der Unternehmer in der Region während der NS-Zeit in drei Kategorien aufteilen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

- Samuel Kahn: Jüdische Unternehmer, die verkaufen mussten

In der Reutlinger Innenstadt gab es vor 1933 18 jüdische Kaufhäuser und Geschäfte, etwa das »Kaufhaus der Einheitspreise (Kadep)« in der Wilhelmstraße 18–20. Am Marktplatz war das Kaufhaus von Samuel Kahn, den man zwang es weit unter Wert an den SA-Obersturmführer Walter Törber zu verkaufen. Zuvor hatte man ihm »Rassenschande«, also eine sexuelle Beziehung mit einer weiblichen Angestellten unterstellt. Nach der Pogromnacht 1938 gab es in Reutlingen keine jüdischen Unternehmen mehr. Teilweise wurden nach dem Krieg Entschädigungen an die Erben der ehemaligen Eigentümer bezahlt.

- Hugo Boss: Unternehmer, die vom Krieg und der Naziherrschaft profitierten

Hugo Ferdinand Boss gründete nach dem Ersten Weltkrieg in Metzingen eine Schneiderei. Diese stellte zunächst Hemden und Wäsche, später Arbeits- und Berufsbekleidung her. Ab 1924 fertige Boss als eine der ersten Firmen Braunhemden für die NSDAP an. Boss selbst trat 1931 in die NSDAP ein und auch – wie von der Partei gefordert – aus der evangelischen Kirche aus. Darüber, ob Boss nur in die NSDAP eintrat, weil es von der Partei gefordert wurde, um den lukrativen Auftrag nicht zu verlieren oder ob er ein überzeugter Nationalsozialist war, gibt es unterschiedliche Ansichten. Einerseits hatte er über die Mitgliedschaft hinaus, keine Ämter inne oder hielt Hetzreden. Andererseits war Boss 1931 insolvent, musste einen Vergleich mit seinen Gläubigern abschließen und konnte seinen Betrieb nach seinem Parteieintritt durch die Aufträge der NSDAP stabilisieren. Im Krieg setzte Boss zur Fertigung von Uniformen etwa 140 Zwangsarbeiterinnen aus Polen und der Sowjetunion und 40 Kriegsgefangene aus Frankreich ein. Diese wurden besser verpflegt, als es die Vorschriften vorsahen. Nach dem Krieg wurde Hugo Boss von zunächst als »Belasteter«, im Berufungsverfahren nur noch als »Mitläufer« eingestuft und seine Geldstrafe von 100.000 Reichsmark auf 25.000 Reichsmark reduziert.

Hugo Ferdinand Boss fertigte ab 1924 Braunhemden für die NSDAP. FOTO: ARCHIV
Hugo Ferdinand Boss fertigte ab 1924 Braunhemden für die NSDAP. FOTO: ARCHIV
Hugo Ferdinand Boss fertigte ab 1924 Braunhemden für die NSDAP. FOTO: ARCHIV

Ähnlich wie Hugo Boss verhielt sich auch Josef Mayer von der Mechanischen Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer KG, bekannt als Trigema, bei der ab 1938 sein Schwiegersohn, der Rechtsanwalt Franz Grupp, der Vater von Wolfgang Grupp, einstieg. Trigema kam besser durch die Weltwirtschaftskrise als Boss. Auch Trigema produzierte Kleidung für die NSDAP und die Wehrmacht und setzte dabei Zwangsarbeiter ein. Mayer trat 1937 in die NSDAP ein, Grupp 1941. Mit den Erben, der jüdischen Firma Hermann Levy in Hechingen, die Trigema 1937 weit unter Wert gekauft hatte, einige sich Grupp bereits 1952 in einem Vergleich. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieg stiegen Umsatz und Mitarbeiterzahl von Trigema, während des Krieges gingen sie allerdings zurück. Nach Kriegsende wurde ein Großteil des Maschinenparks beschlagnahmt und demontiert.

- Robert Bosch: Unternehmer, die zwar vom Krieg profitierten, aber heimlich Widerstand leisteten

Als Robert Bosch 1942 im Alter von 80 Jahren starb, vereinnahmten die Nationalsozialisten ihn mit einem Staatsbegräbnis. Im Zweiten Weltkrieg fuhr ab 1943 kaum ein neuer deutscher Panzer ohne Fahrzeugtechnik von Bosch, die auch von Zwangsarbeitern gefertigt wurde. Robert Bosch selbst hatte bereits 1933 die Rüstungsproduktion verhandelt. Das war auch klug, weil Unternehmer wie der Flugzeugbauer Hugo Junkers, der sich als überzeugter Pazifist weigerte Militärflugzeuge zu produzieren, bereits 1933 die Leitung über ihrer Firmen verloren.

Robert Bosch produzierte Kfz-Teile für die Wehrmacht, unterstützte jedoch auch heimlich den Widerstand. FOTO: ARCHIV
Robert Bosch produzierte Kfz-Teile für die Wehrmacht, unterstützte jedoch auch heimlich den Widerstand. FOTO: ARCHIV
Robert Bosch produzierte Kfz-Teile für die Wehrmacht, unterstützte jedoch auch heimlich den Widerstand. FOTO: ARCHIV

Bosch und seine Familie waren überzeugte Demokraten. Im privaten Kreis Sätze fielen wie »Meine Herra, der Kerle isch a Verbrecher« über Hitler. Robert Boschs Tochter Margarete war 1950 eine der beiden ersten Frauen im Landtag von Württemberg-Hohenzollern (für die FDP). Robert Bosch gehörte laut dem Historiker Arno Lustiger – genauso wie der Leica-Chef Ernst Leitz – zu den Unternehmern, die »alles taten, um jüdische Angestellte und deren Familien zu retten«. Darüber hinaus unterstützte Robert Bosch aktiv den Widerstand gegen Hitler und nutzte dafür sein Renommee als kriegswichtiger Unternehmer. So reiste der Widerstandskämpfer Carl Friedrich Goerdeler mit einem Bosch-Dienstausweis herum, um Mitverschwörer für seinen Plan der Machtübernahme am 20. Juli 1944 zu gewinnen.

Werbung für Zündkerzen von Bosch in den 1930er-Jahren. FOTO: ARCHIV

- Nach dem Krieg

Viele Unternehmen stellten im Krieg völlig andere Produkte her, als sie im Krieg produziert hatten. Der Unternehmer Alfred Kärcher stellt im Krieg Heißluftbläser her, mit den die Tragflächen von Flugzeugen enteist werden konnten. Ab 1950 entwickelten sich daraus, die Heißwasser-Hochdruck-Reinigungsgeräte, für die das Unternehmen, zu dem seit 2021 auch die Metzinger Max Holder AG, ein Hersteller von Kommunalfahrzeugen gehört, heute bekannt ist. Neben der Umstellung von Produktionslinien auf zivile Produkte, waren bei einigen Unternehmen die Produktionsanlagen zerstört und teilweise auch die Patente für die Maschinen von den Alliierten konfisziert worden. So etwa bei der Reutlinger Firma Wafios (der Name steht für die drei Gründerfamilien Wagner, Ficker und Otto Schmid), die nach dem Krieg anfangs nur Lohn- und Reparaturaufträge ausführen konnte.

 

»Langer Eugen« von Gminder. FOTO: ARCHIV

Wandel und Goltermann (seit 2015 Viavi Solutions) in Eningen, die vor dem Krieg Radios und Kommunikationsanlagen produziert und teilweise auch Kühlschränke verkauft hatten, wurden nach dem Krieg vor allem durch die Konstruktion des Pausengongs an Schulen und auch des Tagesschau-Gongs bekannt. (GEA)