REUTLINGEN/TÜBINGEN. Der Trend auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist bekannt: Die Zahl der Arbeitslosen nimmt aufgrund der wirtschaftlichen Situation zu. Anders sei das hingegen auf dem Ausbildungsmarkt, der sich positiv entwickle, wie Markus Nill als Leiter der Agentur für Arbeit Reutlingen beim Pressegespräch erläuterte.
Was das heißt? »Die Nachfrage nach dualen Ausbildungsplätzen steigt an«, sind sich Nill, Cathrin Koch von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen und Susanne Hammann von der Handwerkskammer Reutlingen einig. Allerdings gebe es regionale und branchenbezogene Unterschiede: Während Nill bei den Bewerbern von einem Minus von 2,3 Prozent im Kreis Reutlingen sprach (1.142), waren es im Kreis Tübingen 834 – und somit ein Plus von deutlichen 5,7 Prozent. Gemeldete Ausbildungsstellen gab es zum 30. September 2024 im Kreis Reutlingen 2.224 (minus 11 Prozent), in Tübingen 1.540 (plus 6,1 Prozent).
84 Bewerber unversorgt
Unbesetzt blieben im Wirkungsbereich der für die beiden Landkreise zuständigen Arbeitsagentur 907 (Vorjahr: 1.047) Ausbildungsstellen. Gleichzeitig stieg die Zahl der unversorgten Bewerber auf 84 an (Vorjahr: 59). Diese Entwicklung ist laut Nill vor zwei Jahren in den Landkreisen Reutlingen und Tübingen genau umgekehrt gewesen.
Diese regionalen Unterschiede hat Hammann so nicht registriert: Die Handwerkskammer ist für fünf Landkreise zuständig (Freudenstadt, Sigmaringen, Zollernalb, Tübingen und Reutlingen). Für Reutlingen gab es ein deutliches Plus an neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnissen (612) von 10 Prozent, für Tübingen (395) plus 0,5 Prozent. Besonders ins Auge stach dabei mit Stand 31. Oktober 2024 die Baubranche: Obwohl die Auftragslage dort sehr mau sei, vermerkten die Baubetriebe in Reutlingen ein Plus an neuen Ausbildungsverhältnissen von 12,4 Prozent und in Tübingen gar plus 15,6 Prozent.
Zurück geht laut Hammann allerdings die Zahl der Ausbildungsbetriebe – im Kreis Reutlingen um 16,6 Prozent auf 552, im Kreis Tübingen um 12,6 Prozent auf 305. Dennoch seien die Ausbildungszahlen hoch, »weniger Betriebe bilden also mehr Azubis aus«, sagte Hammann. Diese Entwicklung müsse im Auge behalten werden, »das darf so nicht weitergehen«.
Besorgniserregend sei die Suche nach Azubis zum Anlagenmechaniker Sanitär/Heizung/Klima: In allen fünf Landkreisen gebe es bei der Handwerkskammer zum Teil drastische Rückgänge der Ausbildungszahlen. Für eine Klimawende seien die Fachleute aber dringend vonnöten.
Mehr Ukrainerinnen in Ausbildung
In den Bereichen Zimmerei und Schreinerei hätten deutlich mehr Frauen und deutlich mehr Bewerber mit Abitur eine Ausbildung begonnen. Dieses gestiegene Interesse freut Markus Nill. »Man merkt, dass sich was dreht.« Auch geflohene Ukrainerinnen würden nun vermehrt in Ausbildungen gehen, während viele im vergangenen Jahr noch an die Rückkehr in die Heimat gedacht hätten.
Aber: »Viele Betriebe der IHK hätten gerne noch weitere Azubis eingestellt«, sagte Koch. Im Kreis Reutlingen ging die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im technisch/gewerblichen Bereich um 7,4 Prozent auf 411 zurück, im Kreis Tübingen waren es minus 0,5 Prozent (205). Bei den kaufmännischen Berufen stieg hingegen die Zahl auf 651 (plus 2,2 Prozent) in Reutlingen, im Kreis Tübingen gab es sogar ein Plus von 7,3 Prozent auf 340 neue Ausbildungsverträge. Insgesamt ergab sich laut Koch für Reutlingen somit ein Minus von 1,8 Prozent (1.062), in Tübingen ein Plus von 4,2 Prozent.
Keine geeigneten Bewerber
Eine bundesweite Umfrage unter IHK-Betrieben habe gezeigt, dass 78 Prozent der Betriebe als Grund für die Nichtbesetzung von Ausbildungsplätzen angaben: »Es lagen keine geeigneten Bewerbungen vor.« Hinzu sei ein Phänomen gekommen, das bislang nicht bekannt war: »Die Ausbildungsplätze wurden von den Auszubildenden nicht angetreten.«
Dabei handelt es sich Nill zufolge um »Azubi-Ghosting«, also um junge Menschen, die Ausbildungsverträge bei Betrieben unterschrieben hatten, dann aber einfach nicht mehr auftauchten. »Offensichtlich sagen heute junge Menschen bei Firmen nicht mehr ab, wenn sie mehrere Eisen im Feuer hatten«, so Nill. Für Ausbildungsbetriebe sei das extrem schwierig, in der Kürze der Zeit noch andere Interessierte zu finden. (GEA)