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Aktuell Konjunktur

Investitionen statt Wahlgeschenke

Wirtschaftsweise erwarten Stagnation. Sondervermögen bieten Chancen, aber nur unter einer Bedingung.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (»Wirtschaftsweise«) übergeben Frühjahrsgutachten (
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (»Wirtschaftsweise«) übergeben Frühjahrsgutachten (von links): Martin Werding, Achim Truger, Vorsitzende Monika Schnitzer, Ulrike Malmendier und Veronika Grimm. FOTO: GOLLNOW/DPA
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (»Wirtschaftsweise«) übergeben Frühjahrsgutachten (von links): Martin Werding, Achim Truger, Vorsitzende Monika Schnitzer, Ulrike Malmendier und Veronika Grimm. FOTO: GOLLNOW/DPA

BERLIN. Überraschend war die Nachricht nicht. Schon Robert Habeck – damals noch geschäftsführender Wirtschaftsminister – hatte vor ziemlich genau einem Monat seine Konjunkturprognose nach unten korrigiert. Gestern zog der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, nach. 0 Prozent Wachstum prognostizieren sie in ihrem Frühjahrsgutachten – Stagnation. Im Herbst hatte der Rat noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,4 Prozent gerechnet. Immerhin: Das Investitionspaket der Bundesregierung könnte die Wirtschaft in den Jahren danach beflügeln, glaubt das Gremium. Die Betonung liegt allerdings auf »könnte«.

- Vor welchen Herausforderungen steht die Wirtschaft?

Akut steht die deutsche Wirtschaft aktuell vor allem wegen der Handelspolitik der US-Regierung unter Druck. »Neben der schon länger bestehenden Exportschwäche belasten die US-Einfuhrzölle die Nachfrage nach deutschen Produkten zusätzlich«, schreiben die Forscher. »Die damit verbundene hohe handelspolitische Unsicherheit dürfte sich zudem negativ auf die Investitionsentscheidungen von Unternehmen auswirken.« Den düsteren Ausblick aber nur auf die USA zu schieben, würde zu kurz greifen. Viele Probleme sind hausgemacht. So führen laut dem Bericht die hohen bürokratischen Anforderungen und die langen Genehmigungsverfahren zu ineffizient hohen Kosten für die Unternehmen.

- Gibt es auch positive Nachrichten?

Immerhin ein Problem scheint vorerst gemeistert: die Inflation. Die Ökonomen rechnen damit, dass der Preisauftrieb im laufenden Jahr auf durchschnittlich 2,1 Prozent zurückgehen wird, um 2026 auf 2,0 Prozent zu fallen. Damit wäre die Zielmarke der Europäischen Zentralbank erfüllt. »Allerdings ist die Auswirkung der Handelskonflikte auf die Preissteigerungen unklar«, sagte die Wissenschaftlerin Veronika Grimm bei der Vorstellung des Berichts. Positiv ist außerdem, dass die Wirtschaft nächstes Jahr laut Prognose wieder anzieht, wenn auch nur leicht. Einen Anstieg von einem Prozent erwarten die Wirtschaftsweisen.

- Wie wirken sich das Sondervermögen und die gelockerte Schuldenbremse aus?

Von einem »enormen Potential« sprach Achim Truger, der dem Gremium seit 2019 angehört. Das Paket eröffne große Chancen zur Erholung der deutschen Volkswirtschaft. In Zahlen ausgedrückt: Bis 2035 könnte das Produktionspotenzial der deutschen Unternehmen um 6 Prozent höher liegen als ohne das Paket. Das steht aber unter Vorbehalt.

Denn erreicht werden diese Effekte nur, wenn das Geld tatsächlich für Investitionen eingesetzt wird – und nicht etwa, um Sonderwünsche für einzelne Gruppen zu erfüllen. »Stichwort Mütterrente, Agrardiesel-Subvention, Gastrosteuer-Senkung«, ergänzte Trugers Kollegin Ulrike Malmendier. Zwar haben Union und SPD »Zusätzlichkeit« vereinbart, wonach die Kredite nur für neue Investitionen eingesetzt dürfen. »Die bislang getroffenen Vorkehrungen reichen nach unserer Einschätzung aber nicht aus«, sagte Malmendier. Der Rat forderte Schwarz-Rot dazu auf, festzuschreiben, dass mindestens 10 Prozent des regulären Haushalts in Investitionen fließen müssen.

Hinzu kommt: Wirklich einig ist sich der Rat über das Investitionspaket nicht. Veronika Grimm widerspricht ihren Kolleginnen und Kollegen an mehreren Stellen im Bericht. Es »dürfte eine deutlich ambitioniertere Reformagenda notwendig sein, als die Ratsmehrheit es in dem vorliegenden Gutachten zum Ausdruck bringt«, schreibt sie in einem Minderheitsvotum. Schon in der Vergangenheit kritisierte sie, dass durch das Paket Reformen verschleppt würden.

- Wie reagieren Politik und Wirtschaft auf den Bericht?

Wirtschaftsvertreter blicken angesichts der Zahlen verhalten auf die Entwicklung. »Das Frühjahrsgutachten ist ein weiterer Beleg dafür, wie angespannt die wirtschaftliche Lage ist«, sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik, unserer Redaktion. Er erwarte ein Entlastungspaket für die Wirtschaft bis zur Sommerpause. »Das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz sollten entfallen. Außerdem brauchen wir schnell die Senkung der Netzentgelte und der Energiesteuern.«

Die Grünen sehen sich durch den Bericht bestätigt. Sie forderten Union und SPD zur Einhaltung der »Zusätzlichkeit« auf. »Leider droht mit Lars Klingbeil nun ein Verschiebebahnhof zu Lasten der Investitionen. Das wäre schlecht fürs Land«, sagte der stellevertretende Fraktionschef Andreas Audretsch unserer Redaktion. »Das Geld darf nicht für Lobbygeschenke oder zum Stopfen von Haushaltslöchern zweckentfremdet werden.« Die Linken forderten gar schärfere Regeln für die Kredite aus dem Sondervermögen. Das Finanzministerium sieht dazu keinen Bedarf. Es liege »eine eindeutige Regelung vor«, sagte ein Sprecher. (GEA)