REUTLINGEN. Seit Sonntag machen Betriebe ihre eigenen Corona-Regeln. Möglich wird dies durch die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung des Bundesarbeitsministeriums, die das Bundeskabinett vergangenen Mittwoch abgesegnet hat. Viele zuvor noch verpflichtende Regeln fallen jetzt offiziell weg. Folgt nun das große Lockern bei den Unternehmen in der Region?
- IHK Reutlingen
Rund 80 Anfragen zur neuen Corona-Arbeitsschutzverordnung seien von Montagmorgen bis zum gestrigen Nachmittag bei der Industrie- und Handelskammer Reutlingen (IHK) eingegangen, berichtet Pressesprecher Christoph Heise. »Das sind deutlich weniger, als wir zuletzt bei Fragestellungen rund um die Corona-Pandemie hatten.« Woran das liegt? Die Betriebe seien nicht unvorbereitet gewesen, weil die Entscheidung, dass die Unternehmen auf sich alleine gestellt sind, schon länger feststand. Außerdem würden im Zweifelsfall bestimmte bürokratische Prozesse wegfallen und nicht neu hinzukommen. Lässt sich bereits eine Tendenz erkennen, ob die Arbeitgeber weiter auf Nummer sicher fahren oder doch eher zum Team Lockerungen gehören? »Mein persönlicher Eindruck aus zahlreichen Gesprächen ist, dass viele Unternehmen die Regelungen beibehalten. Schließlich haben sich die Prozesse über die vergangenen Wochen und Monate gut eingespielt«, berichtet Heise.
- Handwerkskammer Reutlingen
Unterschiedlich sind die Reaktionen auf die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung bei den Unternehmen der Handwerkskammer Reutlingen. »Es gibt Mitglieder, die sich freuen, dass Bürokratie wegfällt. Andere hätten es befürwortet, wenn die Maßnahmen weiter einheitlich geregelt worden wären«, sagt Richard Schweizer. Positive wie negative Reaktionen würden sich die Waage halten, berichtet der Geschäftsbereichsleiter Recht. Die größte Veränderung sei zweifelsfrei die Tatsache, dass die Dokumentationspflicht für die 3-G-Regeln in den Unternehmen aufgrund der Rechtslage entfalle. In Sachen Homeoffice ändere sich für viele kleine Betriebe nichts, da meist sowieso nur in Präsenz gearbeitet werde. »In etwas größeren Betrieben geht die Tendenz zu einem Mix aus Präsenz und Homeoffice.« Unabhängig der Arbeitsschutzverordnung gilt es, »so schnell wie möglich zur Normalität zurückzukehren, damit die Betriebe wieder frei arbeiten können«, erklärt Schweizer.
- RWT
»Wir belassen alles wie bisher«, sagt Personalleiter Günter Deumelhuber von der Reutlinger Wirtschaftstreuhand. Einzig die Dokumentation von Mitarbeitern entfalle bei der Zugangskontrolle, sehr wohl gelte diese aber noch für Kunden und Besucher. Konkret bedeutet das, »dass alle Mitarbeiter wie bisher eine FFP2- oder medizinische Maske tragen und die Möglichkeit haben, sich bei uns unbegrenzt testen zu lassen«, präzisiert Deumelhuber. Auch Homeoffice biete das Beratungsunternehmen an, wo immer es möglich sei. »Wir sind eher vorsichtig unterwegs«, fasst er die RWT-Linie bei den Hygienevorschriften zusammen. Das mache aus Unternehmenssicht Sinn, weil die Zahlen in der Region durchaus hoch seien und so der Schutz der Mitarbeiter gewährleistet werden könne.
- Hugo Boss
»Vor dem Hintergrund der Lockerungen durch die Bundesregierung passen wir die Schutzmaßnahmen bei Hugo Boss schrittweise an«, teilt der Modekonzern auf GEA-Anfrage mit. Bis Ende Mai sollen die Mitarbeitenden an den Standorten Metzingen, Bad Urach, Filderstadt und Wendlingen, deren Tätigkeiten Homeoffice erlauben, an mindestens einem Wochentag wieder physisch vor Ort sein. Ab dem 1. Juni gelten dann drei verpflichtende Präsenztage. »Die Maskenpflicht entfällt mit sofortiger Wirkung. Gleichzeitig erhalten wir zahlreiche Schutzmaßnahmen weiterhin aufrecht: Dazu zählen unter anderem Abstand, Hygienemaßnahmen und gute Lüftung. Den Beschäftigten stehen zwei kostenfreie Selbsttests pro Woche und kostenfreie Masken zur Verfügung«, teilt Hugo Boss mit.
- Morgenstern
Die Reutlinger Morgenstern-Gruppe hält hingegen weiterhin an den altbekannten Regeln fest. »Der Schutz unserer Mitarbeiter steht immer an erster Stelle«, betont Vorstandsvorsitzender Robin Morgenstern. Deshalb haben die Angestellten auch weiterhin die Möglichkeit, sich mehrmals pro Woche kostenlos zu testen – bis zu fünf Tests sind möglich. Auch die Maskenpflicht bleibe bestehen. Trotz der wegfallenden Homeoffice-Pflicht setzt das Reutlinger Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen für Druck- und Dokumentenlösungen weiter auf diese Möglichkeit. »Wir tendieren ganz klar dazu, unsere Mitarbeiter im Homeoffice zu beschäftigen, da wo es eben geht und Sinn macht.« Er finde es vonseiten der Politik fahrlässig, den Unternehmen die alleinige Verantwortung hinsichtlich der Schutzmaßnahmen zu übertragen. »Es wirkt fast so, als hätten wir die Pandemie bereits überstanden. Doch diese befindet sich aktuell an ihrem Höhepunkt.«
- Vöhringer
»Wir empfinden es als Entlastung, dass wir die Gefahrenbewertung nun selbst durchführen können«, sagt Yannick Vöhringer, Geschäftsführer der Vöhringer GmbH. Im Unternehmen mit Hauptsitz in Trochtelfingen, das als Zulieferer für Wohnmobilhersteller tätig ist, werden seit Beginn dieser Woche keine Schnelltests mehr angeboten. »Wir mussten uns verbiegen, um Schnelltests an zwei Standorten durchzuführen«, begründet Vöhringer die Entscheidung. Nur 500 Meter vom Hauptsitz des Betriebes gebe es ohnehin eine Teststation, die genutzt werden könne. Um in Zukunft die passenden Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, »machen wir aktuell eine Gefahrenbewertung«, so der Geschäftsführer. Hier fließen verschiedene Faktoren wie Anzahl der Mitarbeiter im Betrieb, die Impfquote – bei Vöhringer nach eigenen Angaben bei 90 Prozent – und die Infektionslage ein.
- Robert Bosch
»Die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiter haben weiterhin hohe Priorität. Wir werden vorerst unsere Schutzmaßnahmen wie Hygiene- und Abstandsregeln, das Tragen von Masken und ein regelmäßiges Angebot an Selbsttests beibehalten. Zudem ermöglichen und empfehlen wir unseren Mitarbeitenden weiterhin das Arbeiten im Homeoffice«, teilt das Unternehmen mit.
- Schwörer Haus
»Für uns im Betrieb greifen weiterhin die bereits langfristig aufgebauten Sicherheitsmaßnahmen«, heißt es von der Pressestelle des Fertighausherstellers Schwörer Haus aus Oberstetten. Konkret sind das: Maskenpflicht, Abstandsregeln, regelmäßiges Lüften und ein zweimaliges Testangebot jede Woche. Auch die Homeoffice-Regelung bleibe weiterhin bestehen, sofern es der Arbeitsplatz zulasse. Das Vorgehen der Politik bewertet das Unternehmen als »halbherzig«. Warum? »Weil die allgemeinen Regelungen zurückgenommen wurden, aber der Arbeitgeber weiterhin die Verantwortung und die Kontrolle übernehmen muss.«
- Wafios
Bei der Maschinenbaufirma Wafios aus Reutlingen sollen die geltenden Schutzmaßnahmen bis vorerst 8. April in Kraft bleiben – wie es danach weitergeht, ist noch offen. Das habe der Wafios-Vorstand aufgrund der weiterhin hohen Zahl an Infektionen beschlossen, teilt das Unternehmen mit. Dies beinhaltet, dass sich weiterhin jeder Beschäftigte, aber auch jeder Besucher, vor Zutritt zum Betrieb testet. Wer täglich im Betrieb arbeitet, erhält somit fünf Tests pro Woche. Wenn im familiären Umfeld Infektionen auftreten, werden täglich sogar zwei Tests durchgeführt. Auch die Möglichkeit zum Homeoffice wurde verlängert. (GEA)
AKTUELLE REGELN ZUM CORONA-SCHUTZ IN BETRIEBEN
Einzig noch verbindliche Regel: Angestellte müssen zum Impfen freigestellt werden
Seit Sonntag müssen die Arbeitgeber selbst entscheiden, welche Schutzmaßnahmen in ihren Betrieben gelten. Konkret bedeutet das: Sie müssen die Infektionsgefahr selber einschätzen und ihr Hygienekonzept daran anpassen – die sogenannte Gefährdungsbeurteilung. Viele Schutzmaßnahmen – unter anderem das Tragen einer Maske oder die Möglichkeit zum Homeoffice – sind demnach nicht mehr verbindlich vorgeschrieben, sondern haben lediglich Empfehlungscharakter. Bis zum 20. März waren viele Schutzmaßnahmen für die Betriebe noch verpflichtend. So war beispielsweise das Angebot zum Homeoffice immer dann Pflicht, wenn die Art der Arbeit dies ermöglicht. Daneben waren die Betriebe verpflichtet, ihren Mitarbeitern mindestens zweimal pro Woche einen kostenlosen Corona-Test anzubieten. Außerdem mussten die Beschäftigten stets ihren Impf-, Genesenen- oder Testnachweis mitführen. Das fällt nun weg. Nach der aktuellen Arbeitsschutzverordnung gilt für die Betriebe verpflichtend: Sie müssen ihre Angestellten – bei Bedarf – für einen Impftermin während der Arbeitszeit freistellen. Sie sollen zudem prüfen, ob sie ihren Angestellten einen kostenlosen Test pro Woche anbieten, ob sie Schutzmasken bereitstellen und ob Beschäftigte im Homeoffice arbeiten sollen. Das daraus resultierende Hygienekonzept muss im Betrieb öffentlich zugänglich sein. Die neue Arbeitsschutzverordnung gilt einschließlich bis 25. Mai. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. (GEA)