REUTLINGEN. »Jetzt war ich schon drei Mal da. Ihr habt ja immer noch zu.« Solche Sätze musste sich Heike Brucklacher von der Zentralen Informations- und Annahmestelle des Finanzamts Reutlingen in den vergangenen drei Monaten am Telefon anhören. Das hat nun ein Ende. Von Montag, 15. Juni, an öffnen die 63 Servicezentren der Finanzämter in Baden-Württemberg wieder – auch das in Reutlingen. Seit 13. März waren sie wegen der Corona-Pandemie geschlossen.
Dieter Möhler, Vorsteher des Finanzamts Reutlingen, weist darauf hin, dass die Steuerverwaltung zum Schutz von Bürgern und Beschäftigten umfassende Hygienekonzepte entwickelt habe. Dazu gehörten Glasschutz an den Schaltern, Desinfektionsmittel, Hinweisschilder und Abstandsmarkierungen. Der Zutritt ins Reutlinger Finanzamt sei nur von der Behördenkantine her und nur mit Mund-Nase-Bedeckung möglich und solle über eine funkgesteuerte Ampel geregelt werden. Der Austritt solle allein in Richtung Kaiserstraße erfolgen.
Formulare nur am Schalter
»Formulare sind nur an den Schaltern zu haben und werden nicht mehr in Regalen ausgelegt, damit die erforderlichen Abstandsregeln eingehalten werden können«, erklärt Corina Schell, Hauptsachgebietsleiterin Einkommensteuer des Finanzamts Reutlingen. Sie empfiehlt daher, Steuererklärungen elektronisch abzugeben.
Möhler zufolge hat die Steuerbehörde »schwierige Wochen« hinter sich. Nach Ausbruch der Pandemie sei auf »Notbetrieb« umgestellt worden: Das Gros der Beschäftigten war freigestellt, um die Ansteckungsgefahren zu verringern. Ziemlich schnell sei die Telearbeitsausstattung verbessert worden: »Arbeit von zu Hause geht bei uns nur mit dienstlichem Equipment.« Auch eine Videokonferenz aller Finanzamtsvorsteher in Baden-Württemberg habe es gegeben.
FINANZAMT REUTLINGEN
Zwei Drittel der 409 Beschäftigten sind Frauen – Steueraufkommen im vergangenen Jahr gesunken
Beim Finanzamt Reutlingen arbeiten 409 (Vorjahr: 400) Personen – 267 (261) Frauen und 142 (139) Männer. Darunter sind 40 (38) Auszubildende, nämlich 25 (27) Frauen und 15 (11) Männer. Umgerechnet in Vollzeitstellen wird aus den 409 Menschen eine Mitarbeiterkapazität von 308,38 (313,82). Das Steueraufkommen beim Reutlinger Amt betrug im vergangenen Jahr 1,27 Milliarden Euro nach 1,305 Milliarden Euro in 2018. Davon entfielen 459 (Vorjahr: 445) Millionen Euro auf die Lohnsteuer und 149 (158) Millionen Euro auf die Einkommensteuer. Die Umsatzsteuer machte 395 (Vorjahr: 405) Millionen Euro aus, die Körperschaftsteuer 39 (52) Millionen Euro und die Erbschaftsteuer 115 (128) Millionen Euro. Das Finanzamt mit Sitz am Reutlinger Leonhardsplatz und Außenstelle in Eningen ist zuständig für die Städte Reutlingen und Pfullingen sowie für acht weitere Gemeinden. Neben den Aufgaben im eigenen Bezirk nimmt es Funktionen für andere, umliegende Finanzamtsbezirke wahr – bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, der Betriebsprüfung, der Steuerfahndung und in Straf- und Bußgeldsachen. Im Kreis Reutlingen gibt es in Bad Urach ein weiteres Finanzamt, das fürs Ermstal und den Raum Münsingen zuständig ist. (rog)
Als deutlich wichtiger stuft Möhler indes ein, dass das Finanzamt »durch zeitnahe Bearbeitung die Folgen der Krise für Unternehmen und Bürger abgemildert hat«. Vermehrt hätten Steuerpflichtige nämlich Anträge auf Stundungen von fälligen Steuern, auf Anpassungen der laufenden Vorauszahlungen und auf Vollstreckungsaufschub für fällige Lohnsteuern gestellt. Schell ergänzt, es seien etliche Anträge auf Lohnsteuerermäßigungen eingegangen, um Kinder über 18 Jahre eintragen zu lassen. Dies sei für manche Arbeitnehmer wichtig, weil sie dann ein höheres Kurzarbeitergeld (67 anstatt 60 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts) erhielten. »Da derartige Maßnahmen teils überlebensnotwendig sind, werden sie bevorzugt und weitgehend unbürokratisch erledigt«, sagt Schell.
Abgesehen von Außendienstprüfungen sei das Finanzamt Reutlingen inzwischen wieder »nahe am Normalbetrieb«, berichtet Möhler. Die gute räumliche Situation ermögliche Einzelzimmerbelegungen oder Abstände von zwei Metern in Zimmern mit zwei Beamten. Die Steuerfahndung rücke derzeit nur aus »in Fällen, die von der Staatsanwaltschaft angeordnet sind«. Möhler bittet aufgrund der Umstände um Geduld, wenn Steuerbescheide sich verzögern sollten. Er sagt aber auch: »Wir haben keine großen Rückstände.« (GEA)