Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine Zinswende eingeleitet. Seit Sommer 2022 hat sie im Kampf gegen die phasenweise sehr hohe Inflation die Nachfrage mit zehn Zinserhöhungen gedämpft und danach, in den vergangenen neun Monaten, die Leitzinsen bei fünf Sitzungen unverändert gelassen. Nun folgte zum ersten Mal seit 2016 wieder eine Zinssenkung. Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Zum einen hat sich die Teuerung deutlich zurückentwickelt, zum anderen hatten führende Personen der EZB die Märkte mit entsprechenden Äußerungen auf diesen Schritt eingestimmt.
Allerdings ist das EZB-Ziel einer Inflation von zwei Prozent noch nicht erreicht. Im Gegenteil: Zuletzt, im Mai, ist die Geldentwertung in der Eurozone von 2,4 Prozent auf 2,6 Prozent gestiegen, nachdem sie zuvor stagniert und sich abgeschwächt hatte. Auch die Kern-inflation (ohne schwankungsanfällige Preise für Energie und Lebensmittel) hat sich zuletzt von 2,7 Prozent auf 2,9 Prozent erhöht. Deutlich gewachsene oder noch wachsende Löhne sprechen nicht für eine rasche Rückkehr zu einer Inflation von zwei Prozent.
Für die Baubranche und für Investitionen generell ist ein hohes Zinsniveau natürlich eine Belastung – ebenso für Staaten mit einer hohen Verschuldung. Doch die Hauptaufgabe der EZB bleibt die Sicherung der Preisniveaustabilität. Daher ist sie gut beraten, die weitere Datenlage genau zu beobachten und vorsichtig mit weiteren Zinssenkungen umzugehen. Entsprechend ist es richtig, dass die Notenbank sich noch nicht auf einen bestimmten Zinspfad festgelegt hat und ihre drei Leitzinssätze so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten möchte.