REUTLINGEN. Der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen hat in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten drei klare Forderungen: »Bürokratie abbauen, Energiepreise senken und Infrastrukturmaßnahmen umsetzen.« Um der Krise zu begegnen, müsse die Politik die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, »die Basis unseres Wohlstands«, verbessern. Dies sagte Johannes Schwörer am Montag bei einem Pressegespräch. Der 58 Jahre alte Jurist und geschäftsführende Gesellschafter des Fertigbauunternehmens Schwörer Haus (Hohenstein) übt das Ehrenamt bei der IHK als Nachfolger von Christian Erbe seit gut 100 Tagen aus.
»Die Bürokratie wird extrem negativ wahrgenommen und hemmt Kreativität«, gab Schwörer seinen Eindruck aus jüngsten Begegnungen mit anderen Unternehmern wieder. Der sinnvolle Abbau von Bürokratie erfordere Mut. Er bedeute mehr Übernahme von Eigenverantwortung, eine höhere Fehlertoleranz »und nicht mehr die Konzentration auf die Suche nach Schuldigen, sondern die Erkenntnis, dass wir mehr leisten und riskieren müssen, wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen«. Es gehe auch darum, »dass wir uns in der Gesellschaft viel stärker vertrauen und weniger darüber nachdenken, wie wir mögliche Betrüger überführen können«.
Zuletzt habe er von Unternehmern der Region zudem mehrfach einen Satz gehört, so Schwörer: »Die Energiepreise brechen uns über kurz oder lang das Genick.« Um den Kern der heimischen Wirtschaft nicht dauerhaft zu ruinieren, brauche diese Entlastung. Die Bundesregierung sollte ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen und zumindest die Stromsteuer für die gesamte Wirtschaft senken.
Unverständnis über Verkehrspolitik
Großes Unverständnis äußerte Schwörer als Sprecher der Industrie-, Handels- und Dienstleistungsbetriebe in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb darüber, dass das Bundesverkehrsministerium für drei Straßenbauprojekte keine Baufreigaben erteilen will: für den Ausbau der Bundesstraße 27 zwischen Nehren und Bodelshausen sowie die Ortsumfahrungen von Tübingen und von Albstadt-Lautlingen. »Viele Unternehmerinnen und Unternehmer können nicht fassen, dass es ein Sondervermögen für Infrastruktur gibt, aber am Ende nötige Strecken mit höchster Umsetzungspriorität aus finanziellen Gründen nicht gebaut werden können«, erklärte der IHK-Präsident.
Der von der Bundesregierung angekündigte »Herbst der Reformen« hat aus Schwörers Sicht in der Realität noch keine Entsprechung gefunden. Das bisherige Gesetzespaket zum Bürokratieabbau – etwa mit Verringerung von Weiterbildungspflichten von Immobilienmaklern – bezeichnete er als »Klein-Klein«. Die ermöglichten degressiven Abschreibungen setzten Liquidität, Gewinne und Aussicht auf Wachstum voraus. Statt die wirtschaftlich notwendige Wende einzuleiten, glänze »die Berliner Bubble« mit öffentlich ausgetragenen Kämpfen um Stadtbild und Wehrpflicht, bedauerte Schwörer. Die Ergebnisse im Hinblick auf eine Unterstützung des wirtschaftlichen Aufschwungs seien »viel zu dünn«.
Appell an Betriebe
Dennoch appellierte der IHK-Präsident an die 44.000 Mitgliedsbetriebe: »Es ist wichtig, an sein Unternehmen und seine Belegschaft zu glauben und für Zukunftsmut zu sorgen.« Innovationsfreude und Tatkraft seien gefragt. Die Kammer werde die Firmen bei der Aus- und Weiterbildung sowie in der Gründungsphase, bei der Erschließung von Auslandsmärkten und bei Innovationen unterstützen, versprach er. Sie werde auch um eine gute Breitband- und Stromversorgung kämpfen und sich für die Ausweisung von Gewerbeflächen und Festsetzung niedriger Steuersätze starkmachen.
Schwörer will in seiner fünfjährigen Amtszeit die Region in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität stärken. Dafür seien Fachkräftesicherung und Entbürokratisierung wichtig. Der europäische Markt bleibe eine wirtschaftliche Grundlage: »Europa muss die Klammer für Frieden, Freiheit und Zusammenarbeit bleiben.« Zudem wolle er die Unternehmen motivieren, weiter in Ressourcenschonung zu investieren.
Blick auf die Transformation
Wolfgang Epp, Hauptgeschäftsführer der IHK Reutlingen, fügte hinzu: »Wir sind in einem Transformationsprozess.« Die IHK werde diesen Wandel in den kommenden Jahren begleiten. Bis nennenswert neue Arbeitsplätze (zum Beispiel in der Medizintechnik, bei technischen Textilien oder durch künstliche Intelligenz) entstünden, könne es indes noch dauern.
Zu Beginn seiner Amtszeit hat der am 24. Juli gewählte Schwörer nach eigenen Angaben vor allem viele persönliche Gespräche geführt – auch mit Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), regionalen Abgeordneten, Bürgermeistern und Verbandsvertretern. »Man ist bereit, uns zuzuhören«, stellte er dabei fest. Die Landtagswahl am 8. März 2026 beschäftige Politiker stark. Dennoch seien dicke Bretter zu bohren, um selbst jetzt, wenn Lage und Aussichten für die Wirtschaft mäßig seien, Reformen zu erreichen. (GEA)

