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DGB-Landeschef: Lohnzurückhaltung wäre falsch

Kai Burmeister, baden-württembergischer Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds, erklärt, warum er trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage Lohnzurückhaltung von Arbeitnehmern für falsch hält.

DGB-Landeschef Kai Burmeister.
DGB-Landeschef Kai Burmeister. Foto: DGB Baden-Württemberg
DGB-Landeschef Kai Burmeister.
Foto: DGB Baden-Württemberg

STUTTGART. Als Diplom-Volkswirt kommt Kai Burmeister im Gespräch mit dem GEA zu einem klaren Befund: »Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist mit einer Mischung aus konjunktureller Schwäche und einer sehr holprig verlaufenden Transformation alles andere als einfach.« Die Sorge vor Arbeitsplatzverlust habe deutlich zugenommen.

Als baden-württembergischer Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zieht Burmeister, 47, daraus folgende Schlüsse: »Mit Deregulierung, Sozialabbau und Ausgabenkürzung ändern wir diese Lage nicht. Wir werden die Herausforderungen nur dann bewältigen, wenn wir verstehen, dass wirtschaftliche Stärke, Innovationskraft und soziale Sicherheit zusammengehören.« Er fordert, mit Verweis auf eine gerade verbreitete Studie, öffentliche Investitionen in Baden-Württemberg von insgesamt 165 Milliarden Euro bis zum Jahr 2033. Damit solle ein Modernisierungsschub ausgelöst werden, »damit the Länd weiter in der Liga der europaweit führenden Regionen mitspielt«.

Bundesweit stagniert das Bruttoinlandsprodukt. In Baden-Württemberg ist es im ersten Halbjahr rückläufig gewesen. Durch die Stärken in Industrie und Export »macht uns der Nachfrageeinbruch rund ums Auto und um Maschinen in China sehr zu schaffen«, analysiert Burmeister. Die Auslastung in den Autowerken sei nicht gut. Der Hochlauf der Elektromobilität hierzulande komme nicht voran. Investitionen in Batteriefabriken würden verschoben. Zu dieser Entwicklung habe der Stopp der E-Auto-Förderung im vergangenen Jahr beigetragen.

Investitionen in fünf Bereichen

Unternehmenslenker und Ökonomen beklagen indes auch die hohen Arbeitskosten in Deutschland als Grund für die Misere. Der DGB-Landesvorsitzende entgegnet darauf, die zuletzt erreichten Lohnsteigerungen seien nach der Phase der hohen Inflation im Sinne der Reallohnsicherung gerechtfertigt. Auch in den aktuellen Tarifrunden seien die Anliegen der Beschäftigten richtig und wirtschaftlich sinnvoll, weil sie eben den privaten Konsum stärkten: »Lohnzurückhaltung wäre falsch.«

Er finde, die Forderung der IG Metall mit 7 Prozent mehr Geld und 170 Euro mehr für die Auszubildenden spreche für Augenmaß, erklärt Burmeister. »Diese Forderungen erfahren große Unterstützung in den Betrieben. Ich glaube, das ist für die Unternehmen finanzierbar und es ist gesamtwirtschaftlich sinnvoll und es ist gerecht, weil die Beschäftigten viel leisten«, fügt er hinzu.

Im Auftrag des DGB Baden-Württemberg und gefördert von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat ein Forscherteam kürzlich die 132 Seiten umfassende Studie »Exzellenz kommt nicht von alleine. Öffentliche Investitionsbedarfe und deren Finanzierung in Baden-Württemberg« vorgelegt. Darin sieht Burmeister etliche Wege beschrieben, wie aus der Misere herauszukommen sei.

Wohnraummangel akut

»Der Staat funktioniert an vielen Stellen nicht gut. Er muss mehr Geld in die Hand nehmen, um eine marode Infrastruktur wieder auf einen Spitzenplatz zu bringen«, sagt der DGB-Landeschef. Es herrsche etwa Mangel an Wohnraum, Plätzen in Kindertagesstätten, bei ärztlicher Versorgung und schnellem Internet. »Wir brauchen aber auch mehr Tempo bei Genehmigungsverfahren.«

Die Studie habe für die nächsten zehn Jahre Gesamtinvestitionen von 165 Milliarden Euro in Baden-Württemberg in fünf Bereichen identifiziert: Es gehe im Einzelnen um vorbildlichen Klimaschutz (Transformation der Industrie; 54 Milliarden Euro), eine moderne Infrastruktur (Schienen, Straßen, Brücken; 53 Milliarden Euro), ausreichend bezahlbaren Wohnraum (13.000 neue, mietpreisgebundene Wohnungen jährlich; 18 Milliarden Euro), eine verlässliche Gesundheitsversorgung (12 Milliarden Euro) und ein gutes Bildungssystem (Kitas, Schulen, Hochschulen; 28 Milliarden Euro).

Burmeister bewertet akut neben den Problemen am Arbeitsmarkt vor allem den Wohnraummangel als Thema mit »sozialem Sprengstoff«: »Die Mieten steigen. Wir müssen die Knappheit überwinden, indem mehr gebaut wird.« Dabei seien neben dem Land auch die Arbeitgeber – im Sinne der Fachkräftegewinnung und -sicherung – gefordert. »Ich würde mir eine Renaissance von Werkswohnungen wünschen.«

Die Frage der Finanzierung

Wie aber soll das in der Studie vorgeschlagene Investitionsprogramm finanziert werden? »Es gibt mehrere Milliarden an Haushaltsresten, die nicht abgeflossen sind«, antwortet der DGB-Landeschef darauf. Ein großer Spielraum bestehe zudem in der Nutzung von öffentlichen Investitionsgesellschaften, Beteiligungen und der Landeskreditbank (L-Bank). »Wir dürfen nicht an der Zukunft unserer Kinder sparen«, ergänzt der verheiratete Vater zweier Töchter und sagt: »Ich nehme im Bereich der Ökonomen und der Politik wahr, dass ein Umdenken zur Schuldenbremse stattgefunden hat. Wir müssen Wege finden, wie wir die Schuldenbremse so reformieren können, dass Investitionen, die nötig sind, stattfinden.«

Der DGB-Landesbezirk Baden-Württemberg, dem Burmeister seit Februar 2022 vorsteht, ist die Dachorganisation und politische Stimme seiner acht Mitgliedsgewerkschaften mit zusammen 780.000 Mitgliedern auf Landesebene. Es sind dies die Industrie-Gewerkschaft (IG) Metall, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Traditionell ist der DGB-Landesvorsitzende (im Wechsel mit einem Vertreter der Arbeitgeberseite) Vorsitzender der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Burmeister stellt dazu fest: »Für ein Schlechtreden der gesetzlichen Rente besteht kein Anlass. Natürlich gibt es – demografisch bedingt – ein paar Herausforderungen.« Viele Beschäftigte mit geringem Einkommen erhielten künftig zu geringe Renten. »Andere Länder zeigen, dass das deutsche Rentensystem zurückhaltend ist, was die Anerkennung der Lebensleistung betrifft.«

Als Gewerkschafter halte er es für vernünftig, die zweite Säule einer arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung auszubauen, »um ein gutes Leben im Alter zu ermöglichen«. Skeptisch stuft er aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen die Fähigkeit vieler Arbeitnehmer ein, zusätzlich privat vorzusorgen: »Wenn jeder zweite Beschäftigte nicht tarifgebunden ist, wird er dazu kaum in der Lage sein. Wer Probleme hat, seine Miete und seine Lebenshaltung zu bezahlen, kann nichts oder nur wenig für den Ruhestand zurücklegen.« (GEA)