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Aktuell GEA-Interview

Der Boss von Hugo Boss erklärt seine neue Strategie

Statt auf ein strenges Sparprogramm hat er auf eine Wachstumsstrategie gesetzt. Mit »Claim 5« ist es Daniel Grieder als Chef von Hugo Boss gelungen, das Unternehmen neu zu definieren, Tausende Arbeitsplätze zu schaffen und den Umsatz innerhalb von vier Jahren auf 4,3 Milliarden Euro mehr als zu verdoppeln. Nun ist Grieder dabei, eine neue Strategie aufzustellen, wie er im Interview mit dem GEA erklärt. Dabei seien andere Prioritäten zu setzen.

Daniel Grieder (rechts) im Gespräch mit Carolin Westermann (Leiterin Unternehmenskommunikation von Hugo Boss) und GEA-Wirtschaft
Daniel Grieder (rechts) im Gespräch mit Carolin Westermann (Leiterin Unternehmenskommunikation von Hugo Boss) und GEA-Wirtschaftsredakteur Uwe Rogowski. Foto: Frank Pieth
Daniel Grieder (rechts) im Gespräch mit Carolin Westermann (Leiterin Unternehmenskommunikation von Hugo Boss) und GEA-Wirtschaftsredakteur Uwe Rogowski.
Foto: Frank Pieth

METZINGEN. »Wir würden das alles nicht machen, wenn wir nicht an den Standort Metzingen glauben würden«, sagt Daniel Grieder. Der Vorstandsvorsitzende von Hugo Boss verweist auf hohe Investitionen am Stammsitz des Modekonzerns – und auch im Distributionszentrum in Filderstadt. Grieder lobt im Gespräch mit dieser Zeitung das große Engagement der Beschäftigten.

GEA: Welche Rolle spielt der Standort Metzingen für den Erfolg von Hugo Boss?

Daniel Grieder: Metzingen ist unser Hauptsitz und damit das Herzstück von Hugo Boss. Von hier aus werden unsere weltweiten Entscheidungen getroffen, die Produkte entwickelt, das Design gesteuert und das Marketing geplant. Auch Finanzen, Personal und insgesamt etwa 60 Tochterfirmen werden von hier aus gesteuert. Und das wird auch so bleiben. Als ich 2021 bei Hugo Boss angefangen habe, hatten wir rund 2.700 Beschäftigte in Metzingen, nun sind es rund 3.600. Wir haben also kräftig aufgestockt, da auch das Geschäft größer geworden ist.

Hatten Sie das so geplant bei Ihrem Einstieg?

Grieder: Das haben wir natürlich geplant, aber dass es so schnell geht, hätten wir nicht gedacht. Aber es ging letztlich schneller, weil die Leute einfach gut sind. Es hat mich sehr überrascht, wie stolz unsere Beschäftigten auf diese Firma sind, wie hungrig, wie gewillt zu leisten. Deshalb konnten wir den Umsatz so schnell verdoppeln.

In Metzingen werden nach wie vor hochwertige Anzüge gefertigt.

Grieder: Das ist schon beeindruckend. Haben Sie bei Ihrer Führung durch unsere Factory One gemerkt, was es braucht, um einen Anzug herzustellen, wie viel Arbeit da drinsteckt? Diese Produktion, unsere erste, ist ein Alleinstellungsmerkmal und dadurch haben wir einen großen Wettbewerbsvorteil. Es ist zwar teuer, an einem deutschen Standort mit über 200 Personen zu produzieren, aber das Know-how, das wir dadurch haben, ist groß. Auf dieses Know-how wollten wir nicht einfach verzichten – nur aus Kostengründen. Es ist ein Mehrwert. Wir haben in Izmir in der Türkei eine große Produktion mit rund 5.000 Mitarbeitern. Und wir geben das Know-how von hier an die Kollegen weiter. Hier in Metzingen fertigen wir unsere hochwertigsten Modelle, auch maßgeschneidert. In der Türkei machen wir Modelle, die weniger aufwendig sind als hier, und größere Stückzahlen. Natürlich ist es auch günstiger in der Türkei.

Daniel Grieder, Vorstandsvorsitzender der Hugo Boss AG, beim Interview mit dem GEA in seinem Büro. FOTOS: PIETH
Daniel Grieder, Vorstandsvorsitzender der Hugo Boss AG, beim Interview mit dem GEA in seinem Büro. Foto: Frank Pieth
Daniel Grieder, Vorstandsvorsitzender der Hugo Boss AG, beim Interview mit dem GEA in seinem Büro.
Foto: Frank Pieth

 Sie haben angekündigt, am Standort Metzingen von 2021 bis 2025 über 100 Millionen Euro zu investieren. Was ist in diesem Betrag alles enthalten?

Grieder: Das umfasst hauptsächlich unser gerade entstehendes neues Verwaltungsgebäude, aber auch den neuen VIP-Shop, ein Fitnessstudio, die neue Pforte, eine neue Kindertagesstätte – die schönste, die ich kenne –, unsere neue Kantine, das TV-Studio und die umgebauten Showrooms. Hintergrund für diese Investitionen ist zum einen das Platzproblem, da wir ja viele neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Wir wollen aber auch, dass unsere Mitarbeiter hierbleiben, sich wohlfühlen und dass neue kommen, weil wir einen so schönen Campus haben. Es geht darum, als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Wir würden das alles nicht machen, wenn wir nicht an den Standort Metzingen glauben würden.

Am Standort Filderstadt-Bonlanden von Hugo Boss, 2014 eröffnet, läuft ein Erweiterungsprojekt für mehr als 100 Millionen Euro. Was wird dort verändert?

Grieder: Dort erweitern wir unser hoch technologisiertes Lager für die Zukunft. Sie müssen sich vorstellen, wir haben als Unternehmen 2020 einen Umsatz von knapp 2 Milliarden Euro gemacht. Dann sind wir innerhalb von vier Jahren auf 4,3 Milliarden Euro gewachsen. Man kann ja nicht nur verkaufen, man muss auch ausliefern. Daher haben wir relativ schnell entschieden, dass wir in Filderstadt erweitern müssen. Die finale Inbetriebnahme ist 2026 geplant.

Was geschieht in Filderstadt genau?

Grieder: Von dort aus werden im Jahr rund 35 Millionen Teile unserer Liegeware ausgeliefert. Wir haben Artikel an Dritte auslagern müssen. Durch die Investition können wir aber fast alles wieder zu uns holen. In Filderstadt haben wir derzeit rund 350 Mitarbeitende. Wir setzen dort stark auf Automation, werden aber dennoch bis zu 300 neue Arbeitsplätze schaffen. An wichtigen Stellen braucht es den Menschen, der die Kontrolle ausübt. 

Wo werden die Teile hergestellt, die von Filderstadt ausgeliefert werden?

Grieder: Das geschieht auf der ganzen Welt. Filderstadt ist letztlich das zentrale Auslieferungslager für Europa. Darüber hinaus haben wir lokale Lager in den USA und in China und eine Hängelogistik hier in Metzingen.

Eher wenig ist über die Standorte von Hugo Boss in Bad Urach und in Wendlingen bekannt.

Grieder: In Bad Urach haben wir rund 20 Beschäftigte und fertigen von dort aus Hängeware-Retouren von unseren Großhandelspartnern ab. Das ist ein normaler Teil des Geschäfts. Hier lagert Ware, die dann später zum Beispiel ins Outlet nach Metzingen geht.

Und was macht Hugo Boss in Wendlingen?

Grieder: Dort ist unser E-Commerce-Lager. Von dort wird alles ausgeliefert, was Privatkunden online bestellen. Wendlingen ist ein ganz wichtiger Standort, denn unser Onlineumsatz ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die rund 200 Beschäftigten dort versenden viele Einzelpakete und bereiten Rettouren wieder sorgsam auf. Oft muss es schnell gehen, da der Kunde die Lieferung möglichst sofort will. Es geht immer auch um das Kundenerlebnis, wenn das Paket geöffnet wird. Jede Sendung wird hier deshalb individuell und hochwertig verpackt.

Wie sieht die Personalplanung für die »Region Metzingen« aus?

Grieder: Wir haben in den vergangenen Jahren einen guten Grundstein gelegt, daher stellen wir jetzt deutlich langsamer ein. Das Wettbewerbsumfeld ist aktuell aufgrund der weltweiten Krisen nicht einfach. Aber wir entlassen keine Leute. 

Wie spürt es der einzelne Mitarbeiter von Hugo Boss, wenn der Vorstand ankündigt, die Kosteneffizienz zu verbessern? 

Grieder: Ich glaube nicht, dass die Mitarbeiter dadurch irritiert sind. Sie wissen ja, was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam aufgebaut haben. Und sie wissen, dass wir Effizienzverbesserung in erster Linie durch die Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen – durch Einsatz von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz – erreichen wollen und nicht durch den Abbau von Stellen. Zwei Beispiele: Wir haben durch die digitalen Möglichkeiten viele Daten gesammelt und können dadurch heute anders und zu besseren Konditionen Rohwaren bestellen. Zudem können wir aus dem digitalen Showroom auch anders und effizienter verkaufen als früher. Das kommt auch bei den Mitarbeitenden gut an.

Das derzeit entstehende Verwaltungsgebäude von Hugo Boss in Metzingen.
Das derzeit entstehende Verwaltungsgebäude von Hugo Boss in Metzingen. Foto: Frank Pieth
Das derzeit entstehende Verwaltungsgebäude von Hugo Boss in Metzingen.
Foto: Frank Pieth

Dabei spielt ihr Standort in Portugal eine besondere Rolle.

Grieder: Genau. Die Daten sammeln wir mit 300 Kollegen an unserem neuen Standort, dem Digital Campus in Porto, und mit einem Team hier in Metzingen. Wir arbeiten mit Informationen, die wir früher nicht genutzt haben – etwa für Stoffe, Knöpfe und Farben – und analysieren das Verhalten unserer Kunden. Das ist ein Datenzentrum, bei dem es um das Sammeln, Analysieren und vor allem Integrieren geht. Sie müssen sich das vorstellen wie in der Formel 1. Dort sammelt ein Team Daten vom aktuellen Rennen für das nächste Rennen. Es war immer mein Traum, das in die Textilbranche zu bringen, was die Formel 1-Teams hier machen. 

Haben Sie es mal bereut, ihr Umsatzziel für 2025 von 4 Milliarden auf 5 Milliarden Euro erhöht zu haben?

Grieder: Nein. Es ist ja eigentlich kaum zu begreifen, dass wir die 4 Milliarden Euro zwei Jahre früher erreicht haben als geplant. Danach haben wir das Umsatzziel auf 5 Milliarden Euro erhöht. Auf diese 5 Milliarden Euro werden wir auch kommen, ebenso auf die Ebit-Marge, also auf ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern bezogen auf den Umsatz, von mindestens 12 Prozent. Es wird sich aber beides etwas verzögern, denn die Welt draußen und das wirtschaftliche Umfeld sind momentan herausfordernd. Aber unsere Strategie ist klar, diese hat sich bewährt – und wir werden das Ziel erreichen.

Ihre im August 2021 veröffentlichte Wachstumsstrategie »Claim 5« endet mit diesem Jahr. Wann werden Sie die Nachfolgestrategie für die kommenden Jahre bekannt geben?

Grieder: Wir sind gerade dabei, die neue Strategie aufzustellen. Einen genauen Termin kann ich noch nicht nennen, aber es bleibt unsere Absicht, hier im vierten Quartal konkreter zu werden.

»Der Aktienkurs ist wichtig. Aber langfristig entscheidend ist die richtige Strategie«

Bei welchem Thema könnte es Änderungen geben?

Grieder: Wir sind heute intern gut aufgestellt. Das größte Problem, das wir derzeit haben, ist die Weltwirtschaft. Die Strategie wird auf nachhaltiges, profitables Wachstum ausgerichtet sein und damit auch einen stärkeren Fokus auf Profitabilität legen. Ganz wichtig für die nächsten fünf Jahre ist meiner Meinung nach auch, dass man sich schnell anpassen kann an die Weltwirtschaft.

Soll Hugo Boss weiterhin allein organisch wachsen? Oder gibt es auch Pläne für Firmenzukäufe?

Grieder: Im Moment sehen wir noch großes Potenzial für unsere beiden Marken Boss und Hugo. Aber wir sind grundsätzlich offen, wenn sich die richtige Gelegenheit bietet. Wir haben unsere Organisationsstruktur nach einem Plattformansatz aufgestellt, sodass wir eine weitere Marke integrieren könnten. Aktuell gibt es dafür aber keine konkreten Pläne. 

Welche Bedeutung haben der Anzug und das Deutschland-Geschäft für den Konzern?

Grieder: Wir sind mit dem Anzug groß geworden und die gesamte Formelwear. macht immer noch 25 Prozent unseres Umsatzes aus. Der Anzug wird auch unsere DNA bleiben. Bei Hochzeiten und anderen Events wird immer noch gerne der formelle Anzug getragen – und wir sind einer der größten Produzenten, was das anbelangt. Aber wir haben auch neu den Performance-Anzug, mit dem man zum Beispiel Rad fahren kann. Und was unseren Heimatmarkt anbelangt: Deutschland ist unser zweitgrößter Markt nach den USA. Wir sind mit dem Deutschland-Geschäft aktuell zufrieden.

Wie stark beschäftigt Sie persönlich die Entwicklung des Aktienkurses von Hugo Boss?

Grieder: Wir sind uns bewusst, dass der aktuelle Aktienkurs den Erfolg von »Claim 5« und das enorme Potenzial der Marken nicht widerspiegelt. Der Aktienkurs wird zu einem großen Teil von externen Faktoren bestimmt, auf die wir keinen Einfluss haben. Der Kurs ist wichtig. Aber langfristig entscheidend ist die richtige Strategie, um das Unternehmen für die Zukunft nachhaltig aufzustellen. Das machen wir. (GEA) 

ZUR PERSON

Daniel Grieder, 63, ist seit Juni 2021 Vorstandsvorsitzender des Modekonzerns Hugo Boss (Metzingen), der von Ende 2020 bis Ende 2024 von weltweit 13.795 auf 18.623 Beschäftigte wuchs – jeweils umgerechnet in Vollzeitstellen. Der Schweizer Manager wurde in Washington geboren und ist in Schaffhausen aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Lehre studierte er an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich. Von 1997 an zeichnete er maßgeblich für die erfolgreiche Etablierung der US-Marke Tommy Hilfiger in Europa verantwortlich. Seit 2014 war er Chef von Tommy Hilfiger Global und von Phillips-Van Heusen Europa. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat zwei Söhne aus der ersten Ehe. Inzwischen hat er ein Haus in Metzingen gekauft und fährt dort gerne Rad, joggt und reitet. »Die Lebensqualität hier ist toll«, stellt er fest. (rog)