STUTTGART. »Ein Leberkäsweckle, bitte.« Der Kunde zahlt, lächelt nett und isst am Stehtisch der Metzgerei. Hinterher kommt er erneut zur Theke und spricht eine der Fleischerei-Fachverkäuferinnen leise an: »Ich habe Sie beobachtet. Sie machen das sehr gut. Rufen Sie mich nach Feierabend mal an, ich kann Ihnen ein gutes Angebot machen.« Er schiebt eine Visitenkarte über die Theke und geht.
Headhunting ist nichts Neues. Eine ganze Branche ist darauf spezialisiert, freie Stellen zu besetzen. Im Auftrag von Unternehmen suchen Headhunter den richtigen Geschäftsführer, Fachingenieur oder Abteilungsleiter und werben ihn dort ab, wo er bislang angestellt ist. Je höher die Gehälter, desto mehr Geld fließt – und Geld entscheidet auch so manchen Loyalitätskonflikt. Mittlerweile ist diese Jagd nach guten Köpfen auch in schwäbischen Metzgereien angekommen.
»Bei uns ist Headhunting noch ein ziemlich neues Thema«, sagt Ulrich Klostermann, Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Fleischerverbands mit etwa 1 100 Mitgliedsbetrieben. »Wir kennen etliche dieser Geschichten, ich habe die Visitenkarten schon in den Händen gehalten.« Solche Szenarien seien dem großen Fachkräftemangel geschuldet. »Da ist nun relativ viel Geld unterwegs. Lange Zeit hat die Besetzung von Stellen für Arbeitgeber keine Kosten verursacht. Aber nun sieht man sich in unserer Branche gezwungen und ist auch in der Lage, Geld auszugeben.« Für eine ausgelernte Fachverkäuferin, Mitte zwanzig, liegt das tarifliche Monatsgehalt bei etwa 2 500 Euro, allerdings zahlen die meisten Arbeitgeber schon jetzt deutlich mehr. Und der Headhunter überbietet.
Appell zur Fairness
Der Druck ist hoch. »Es gibt reihenweise Filialen, deren Öffnungszeiten gekürzt werden, weil man zu wenig Personal hat«, weiß Unternehmensberater Fritz Gempel, der die Branche gut kennt. Man hört sogar von neu eingerichteten Metzger-Filialen, die nie eröffnet werden konnten, weil das nötige Personal nicht zu bekommen war.
Die Headhunter gehen offenbar ziemlich unverfroren ans Werk, berichtet Klostermann. »Illegal ist das ja nicht. Aber ich finde es wirklich dreist, dass die ihre Zielpersonen häufig im Beisein der Kollegen ansprechen.« Bei weiteren Fragen wird er zugeknöpft, er steckt in einem Dilemma: »Natürlich beschweren sich bei mir die Betriebe, bei denen abgeworben wird. Aber auch diejenigen, die aktiv abwerben, sind Mitglieder bei uns.«
Zu denen, die Abwerbungen hart getroffen haben, gehören die Brüder Knoll. Sie leiten die gleichnamige Metzgerei in Meßkirch. Der Familienbetrieb hat Filialen in Pfullendorf, Stockach, Radolfzell und Gottmadingen und beschäftigt 90 Menschen auf etwa 65 Vollzeitstellen, die meisten im Verkauf. Harry Knoll sieht es als »Schweinerei«, wenn ein Metzger eine gute Kraft im Team eines Kollegen alle paar Wochen anruft und ihr jedes Mal noch mehr Gehalt bietet. »Das ist Wildwest.« In der Woche vor Weihnachten habe eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen aufgehört, »nach 15 Jahren«, berichtet er. Ausgerechnet Weihnachten, das wichtigste Geschäft des Jahres! Sie mussten Aufträge zurückgeben.
Mehrfach betroffen war auch Thomas Mezger. Der Unternehmer aus Denkendorf bei Esslingen ist Obermeister der Fleischer-Innung Stuttgart-Neckar-Fils. In seiner Zentrale und fünf Fachgeschäften arbeiten knapp 60 Personen im Verkauf. Für ihn ist seit Jahren normal, dass die großen Supermarkt-Ketten Fachkräfte für ihre Fleischtheken suchen und Interessenten mit anderen Bedingungen ködern können, als ein Handwerksbetrieb sie bietet. Viele werben mit Aufstiegsmöglichkeiten. Er würde sich wünschen, dass das Ganze wenigstens fair bleibt: Wenn er selbst jemanden suche, dann schreibe er aus, ganz offen. »Außerdem versuche ich, mit den Leuten im Guten auseinanderzugehen, denn man trifft sich im Leben immer zweimal«, sagt er. Eine abgeworbene Kraft sei zurückgekommen.
Hausgemachte Fehler
Um gutes Personal zu haben und zu halten, muss ein Betrieb etwas bieten – aber was? Harry Knoll vom Meßkircher Familienunternehmen hat sich den Kopf zerbrochen. »In unserer Branche gibt es hausgemachte Fehler. Man hat die Leute lange Zeit sehr stark rangenommen«, die Arbeitszeiten hätten sich aber geändert. Er versucht zudem, im Gespräch zu bleiben mit seinem Team und zeitig herauszufinden, wenn irgendwo der Schuh drückt, beispielsweise beim gemeinsamen Frühstück einmal pro Woche. »Zum Abwerben gehören ja immer zwei – derjenige, der wirbt, und der, der sich werben lässt. Aber oft erfahre ich als Chef erst, wenn jemand kündigt, dass er oder sie schon lange ein Problem hatte. Da bleibt keine Chance mehr, das gemeinsam gut zu lösen.«
Manche Handicaps kann ein gutes Betriebsklima nicht ausräumen, weiß Knoll: »Fleischerei-Fachverkäuferin ist offensichtlich nicht der attraktivste Ausbildungsberuf.« In der Metzgerei habe man mit rohem Fleisch zu tun, mit Blut, es ist kalt. »Und der Chef, der Metzger, hat einen etwas rustikalen Ruf.«
So ähnlich argumentiert auch ein Personalberater, auf den man im Internet stößt, weil er intensiv Fachkräfte aus der Branche sucht – für Supermarkt-Ketten. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, kommentiert aber: »Heute macht fast jeder Abi, und wer will mit Abi schon hinter einer solchen Theke stehen?« Er hält das Personalproblem der Branche für weitgehend selbstgemacht – obwohl er bestätigt, dass die Arbeitszeiten inzwischen besser seien, »und es hat auch nicht mehr jeder Metzger einen Bandscheibenvorfall mit 40«. (GEA)