TIRANA. Albaniens Eisenbahnnetz ist das schlechteste in Europa. Von einer funktionierenden Bahn kann in Albanien, das seit 2014 EU-Beitrittskandidat ist, eigentlich keine Rede sein. Viele Strecken sind total marode, stillgelegt und abgebaut oder Diebe haben die Schienen gestohlen. Außerdem fehlt das nötige Geld. Inzwischen hat sich die Europäische Union eingeschaltet – auch um die Chinesen fernzuhalten, die auf dem Westbalkan überall Fuß zu fassen versuchen.
Das Programm Global Gateway, das sich mit »weltweiter Zugang« oder auch »Tor zur Welt« übersetzen lässt, ist eine Brüsseler Initiative. Noch bis 2027 sollen damit bis zu 300 Milliarden Euro in weniger entwickelten Ländern in die Bereiche Digitales, Bildung, Energie und Verkehr investiert werden. Gefördert werden auch Bahnprojekte. Das Programm ist eine europäische Antwort auf die Investitionen der Chinesen und ihr Seidenstraßenprojekt, mit dem sie in Europa – mit Erfolg – Einfluss gewinnen. Ein konkretes Projekt, mit dem die EU gegenhält, ist der Wiederaufbau und -ausbau des völlig darniederliegenden albanischen Eisenbahnnetzes.
China geht es um strategische Vorteile und den Zugriff auf Rohstoffe. Peking gelang es, in Europa das 16+1-Format aufzubauen, bei dem 16 EU- und Westbalkanstaaten sowie China kooperieren. Peking treibt so einen Keil zwischen die Europäer und versucht sich in schwächer aufgestellten Staaten unentbehrlich zu machen. Dabei hat Peking vor allem Südosteuropa als geeignete Einfallsschneise entdeckt. In Serbien, Bosnien, Kroatien und Montenegro hat es schon Projekte verwirklicht – vor allem zum Ausbau der Infrastruktur – mit denen diese Staaten durch entsprechende Verträge vor allem finanziell in Abhängigkeit geraten. Doch auch im übrigen Europa versucht China Fuß zu fassen.
Anschluss ans europäische Netz
Die EU hat auf dem Westbalkan inzwischen nahezu zwei Milliarden Euro für Bahnstrecken bereitgestellt. Im Rahmen seiner Strategie für nachhaltiges Wachstum und mit EU-Hilfe investiert jetzt auch Albanien in die Modernisierung seines Bahnnetzes. Die vor allem zwischen 1947 und 1987 unter Diktator Enver Hoxha gebauten Strecken sind größtenteils marode oder nicht mehr existent. Ein Erdbeben 2019 hatte auch bei den Geleisstrecken zusätzliche Schäden angerichtet. Das Epizentrum lag nur etwa zehn Kilometer nördlich von Durrës, der größten albanischen Stadt nach Tirana. Nun will Albanien in den nächsten zehn Jahren sein Netz ausbauen, modernisieren, erneuern und elektrifizieren.
»Mit vereinten Kräften stärken wir die Anbindung in Albanien, in der Region und an die EU. Gleichzeitig fördern wir eine nachhaltige Mobilität als Grundlage für ein smartes, stabiles und sicheres Bahnnetz für alle«, sagt dazu der Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank EIB, Kyriacos Kakouris. Die Europäische Investitionsbank zähle zu den wichtigsten Partnern bei mehreren strategischen Projekten für das Straßen- und Schienennetz, betont Belinda Balluku. Sie ist stellvertretende Ministerpräsidentin von Albanien und gleichzeitig Ministerin für Infrastruktur und Energie. Die EIB ist entscheidender Partner der Global Gateway-Initiative und für langfristige Finanzierungen zuständig.
Nach dem Neubau und der Modernisierung der Strecke von Tirana nach Durrës mit ihrer Abzweigung zum Flughafen Tirana ist die Verbindung von Vorë nach Hani i Hotit das zweite Großprojekt. 2021 begann die Erneuerung der Strecke von Durrës nach Tirana. Die Gleise sind entfernt, es gibt Bauarbeiten an Trassen und neuen Brücken.
Die wichtige Trasse von Vorë nach Hani i Hotit, also von Tirana nach Podgorica, der Hauptstadt der Republik Montenegro, wird Albanien wieder an den Rest von Europa anbinden. Der Ausbau wird auch dem sich entfaltenden Tourismus in dem Adria-Staat Albanien helfen. Tirana erhofft sich davon einen wirtschaftlichen Aufschwung. Albanien soll künftig per Bahn erreicht werden können. Die Züge nach Montenegro fahren derzeit im Schnitt maximal 50 Stundenkilometer – wenn sie überhaupt Züge fahren.
Über Jahrzehnte wurde diese wie auch andere Strecken vernachlässigt. Der Bahnhof der Hauptstadt Tirana ist einer Einkaufsmeile und einem Park gewichen. Er soll am Rande von Tirana neu entstehen. Am Ende sollen die Züge auf den modernisierten oder neuen Strecken wieder 120 km/h schnell fahren können. Geplant sind weitere Abschnitte zwischen Durrës und Rrogozhinë und von dort nach Pogradec sowie eine Verbindung nach Nordmazedonien. (GEA)