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115 Jahre Reiff-Gruppe: In Reutlingen verwurzelt

Die Reiff-Gruppe besteht seit 115 Jahren und konzentriert sich inzwischen wieder gänzlich auf sein ursprüngliches Geschäft, den technischen Handel. Von 585 Beschäftigten sind 415 in Reutlingen tätig.

Fertigung von Mörtelschläuchen bei Reiff in Reutlingen (von links):  Mitarbeiter Umut Balik, geschäftsführender Gesellschafter A
Fertigung von Mörtelschläuchen bei Reiff in Reutlingen (von links): Mitarbeiter Umut Balik, geschäftsführender Gesellschafter Alec Reiff und Ioannis Kikidis, Leiter der Fertigung. Foto: Pieth
Fertigung von Mörtelschläuchen bei Reiff in Reutlingen (von links): Mitarbeiter Umut Balik, geschäftsführender Gesellschafter Alec Reiff und Ioannis Kikidis, Leiter der Fertigung.
Foto: Pieth

REUTLINGEN. Bei der Unternehmensgruppe Reiff mit Stammsitz in Reutlingen trifft Tradition auf Moderne. Das 115 Jahre alte Familienunternehmen mit Alec Reiff, 47, als geschäftsführendem Gesellschafter in vierter Generation seit 2020 an der Spitze konzentriert sich nach dem Verkauf der Reifensparte 2017 und der Elastomertechnik 2021 gänzlich auf sein ursprüngliches Geschäft, den technischen Handel. »Technische Kompetenz ist unsere Stärke«, sagt Alec Reiff dem GEA. Er verweist auf viele langjährige Mitarbeiter, Anwendungstechniker und Ingenieure. Sie hätten das Unternehmen durch ihr Know-how und ihr Engagement zum Beschaffungsspezialisten, Entwicklungspartner und vor allem zum Service-Profi der Industriekunden gemacht.

Die Reiff-Gruppe ist in Reutlingen verwurzelt und zählt sich zu den fünf größten Firmen der Branche in Deutschland. Sie beschäftigt aktuell 585 Personen an 13 Standorten in vier Ländern. Davon sind alleine 415 Menschen, darunter 34 Auszubildende, an den drei Standorten in Reutlingen tätig: in der Hauptverwaltung an der Tübinger Straße, im Logistikzentrum an der Allmendstraße und im Fertigungszentrum an der Karl-Henschel-Straße (beide Industriegebiet West). Reiff versteht sich als Experte für Antriebs-, Fluid- und Dichtungstechnik sowie für Anwendungen aus Gummi und Kunststoff.

Immer wichtiger werden dabei Alec Reiff zufolge beim Verkauf von über 140.000 verschiedenen Produkten die damit zusammenhängenden Dienstleistungen. Beim Termin mit dieser Zeitung an den beiden Standorten im Industriegebiet Reutlingen-West sagt er: »Sie brauchen das als Differenzierungsmerkmal: Produkte plus Service.« So sei Reiff immer häufiger in die Lieferketten-Optimierung der Kunden einbezogen: »Wir nehmen, oft sehr individuell, Kunden Produktionsschritte ab.« Da werde zerspant, montiert, getrennt, geklebt, geschweißt, verschraubt und zugeschnitten. Zudem hat Reiff eigene Fertigungen von Hochdruck- und Hydraulikschläuchen sowie Profilen.

Südgefälle beim Umsatz

»Wir beraten markenunabhängig und suchen für jedes Thema ein Lösung. Nicht immer steht dabei aus Kundensicht der Preis an erster Stelle, sondern die Versorgungssicherheit«, berichtet Alec Reiff aus seinem Alltag. Dabei spielten inzwischen Informationstechnologie-Lösungen eine große Rolle, aber auch Kenntnisse über viele Vorschriften – sowie Vertrauen und Verlässlichkeit.

Die schwache konjunkturelle Entwicklung sei in den beiden vergangenen Jahren das vorherrschende Thema für die Reiff-Gruppe gewesen, erklärt der Geschäftsführer. Daher sei der Umsatz von 180 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 165 Millionen Euro in 2023 und auf 148 Millionen Euro in 2024 zurückgegangen. Das Unternehmen habe zwar auch Kunden in der Metall- und Elektrobranche, in Pharma und Chemie sowie im Bereich Dichtungen für Tür, Tor, Fenster und Fassade. »Unsere Entwicklung hängt aber stark vom Maschinenbau ab, die zuletzt ja ein Südgefälle hatte«, sagt Reiff. Zudem sei das Unternehmen stark in der Erstausrüstung – und nicht so sehr im Ersatzgeschäft. Auch im laufenden Jahr sei in Anbetracht der gesamtwirtschaftlichen Lage höchstens mit einer moderaten Steigerung des Umsatzes zu rechnen. Zur Ertragslage nennt der Firmenchef keine konkreten Zahlen. Die Jahre 2023 und 2024 würde er als »operativ befriedigend« bewerten, beantwortet er eine Nachfrage.

Zehn Gesellschafter aus den Familienstämmen Eberhard Reiff, Hubert Reiff und Wendler sind die Eigentümer der Besitzgesellschaft Reiff Holding GmbH & Co. KG (Reutlingen). Diese Muttergesellschaft hält jeweils 75 Prozent an den am Markt auftretenden Tochter- und Enkelfirmen: dem Flaggschiff Reiff Technische Produkte GmbH (Reutlingen) mit insgesamt 460 Beschäftigten an den drei Standorten in Reutlingen sowie in Chemnitz und Leipzig (beide Sachsen), in Hofheim-Wallau und Erbach (beide Hessen) sowie in Offenburg; der Kremer GmbH in Wächtersbach/Hessen mit 43 Beschäftigten; und den Auslandsgesellschaften in Belgien, Luxemburg und China mit zusammen über 80 Beschäftigten.

Partnerschaft mit Haberkorn

Wie berichtet, ist das österreichische Unternehmen Haberkorn (Wolfurt/Vorarlberg) zu Beginn dieses Jahres mit Anteilen von jeweils 25 Prozent bei diesen operativen Gesellschaften eingestiegen – mit dem Ziel mittel- bis langfristig alle Anteile zu übernehmen. »Wir sind auf einem sehr guten Weg. Kulturell und atmosphärisch passt das«, fasst Alec Reiff die bisherige Partnerschaft zusammen. Inhaltlich hätten der Lieferantenabgleich und der Blick auf die vorhandenen Kunden in den vergangenen fünfeinhalb Monaten die Zusammenarbeit bestimmt. »Kunden wollen wenig Aufwand mit ihren Zulieferern haben. Deshalb suchen wir mit Haberkorn nach Synergien«, stellt Reiff fest.

Haberkorn, 1932 gegründet, hat 2.400 Beschäftigte und erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 802 Millionen Euro. Reiff hatte den Anschluss an eine größere Einheit mit Marktveränderungen begründet – und mit dem Beschluss, dass eine fünfte Generation von Reiff das Unternehmen nicht fortführen werde.

Am 1. Juli 1910 eröffnete der damals 24-jährige Albert Reiff in der Reutlinger Katharinenstraße sein Geschäft für technische Gummiwaren. Wäre nach drei Tagen nicht der erste Kunde gekommen, wäre er nach Amerika ausgewandert, hat er später erzählt. Nach dem Ersten Weltkrieg beschleunigte das Aufkommen des Automobils das Wachstum der Firma. Albert Reiff starb 1942 mit 56 Jahren. Seine Witwe Paula Reiff und Ernst Geisel führten die Geschäfte fort, bis Albert Reiffs Sohn Günter Reiff (1922-2013) nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in die Geschäftsführung einstieg.

Unter seiner Führung, geprägt von Risikobereitschaft und Weitsicht, wuchs Reiff stetig. 1979 und 1984 traten seine Söhne Eberhard Reiff (Jahrgang 1950) und Hubert Reiff (Jahrgang 1952) als Vertreter der dritten Generation ins Unternehmen ein. Unter ihrer Leitung lag der Schwerpunkt auf dem Reifenhandel, aber es gab auch die Zukäufe von Kremer (1995) und Roller (1997, heutige Tochterfirmen in Luxemburg und Belgien) im technischen Handel. »Ich blicke mit Stolz und Dankbarkeit auf das zurück, was meine Familie geschaffen hat«, erklärt Alec Reiff. (GEA)