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Aktuell Baugeschichte

Wie der Rose-Keller von Genkingen auftauchte

Ein unscheinbar fehlender Stein im Pflasterbelag und dann auf einmal ein riesiges Loch: In Genkingen vor der Bäckerei Haug hat sich in den vergangenen Monaten ein riesiges Loch in die Unterwelt geöffnet. Es gab den Blick in einen alten, tonnengewölbten Keller frei.

Die alte Rose um 1900.
Die alte Rose um 1900. Foto: privat
Die alte Rose um 1900.
Foto: privat

SONNENBÜHL. Ein Blick in die Erde öffnet auch immer ein Zeitfenster. Wie in Genkingen. Dort ist ein alter Keller des ehemaligen Gasthauses Rose aufgetaucht. Auf den waren Bauarbeiter schon mal in den 1990er-Jahren gestoßen. Damals wurde er wieder verschlossen, der Hohlraum aber nicht verfüllt. Nun, fast 30 Jahre später, tauchte der alte Gasthauskeller wieder auf.

Blick in den alten Keller des Gasthauses Rose in Genkingen.
Blick in den alten Keller des Gasthauses Rose in Genkingen. Foto: Helmut Herrmann
Blick in den alten Keller des Gasthauses Rose in Genkingen.
Foto: Helmut Herrmann

In der Woche vor Weihnachten 2024 war ein kleiner Pflasterstein auf dem Parkplatz vor der Bäckerei Haug abgesackt. Den wollte Michael Haug ersetzen und hämmerte ein wenig auf dem schnell herbeigeholten Stein herum, um ihn einzupassen. Die Fläche war wieder eben, kein größeres Problem. Wenige Tage später kam ein Kunde in heller Aufregung ins Geschäft mit der Kunde: »Da ist ein Loch.« Doch nicht nur ein kleines, nicht nur ein weiterer Pflasterstein war im Erdreich verschwunden, es hatte sich eine Öffnung von einem Meter Durchmesser aufgetan, das Oberflächenmaterial war mehrere Meter tief in die Versenkung abgefallen. Damit hatte nun niemand gerechnet.

Das Gewölbe war verputzt.
Das Gewölbe war verputzt. Foto: Helmut Herrmann
Das Gewölbe war verputzt.
Foto: Helmut Herrmann

Unten am Boden des Hohlraums hatte sich Grundwasser gesammelt. Das wurde herausgepumpt. Nicht etwa eine Doline - im Karstgestein der Alb nicht unüblich - hatte sich gebildet, sondern die tonnengewölbte Decke eines alten Kellers war eingebrochen. Das Gewölbe aus behauenen und akkurat gemauerten Steinen hatte aus welchem Grund auch immer an Statik verloren. Der Kellerraum, das war gut zu erkennen, war verputzt gewesen. An den Seitenwänden war das Material noch erhalten. An den Längsseiten des Kellers waren Öffnungen zu sehen, möglich, dass es Kohlerutschen waren. An der Decke hing eine Keramikfassung für eine Lampe, am Boden waren außer dem von oben hineingerutschten Erdreich ein Fassdeckel, ein eiserner Fassring und ein metallener Tragekorb für Flaschen sowie eine Weinflasche liegen geblieben.

Ein alter Flaschentragekorb und ein Ring eines Fasses sind noch im Rose-Keller.
Ein alter Flaschentragekorb und ein Ring eines Fasses sind noch im Rose-Keller. Foto: Helmut Herrmann
Ein alter Flaschentragekorb und ein Ring eines Fasses sind noch im Rose-Keller.
Foto: Helmut Herrmann

Es ist wahrscheinlich, dass dieser Keller zum alten Gasthaus Rose gehörte. Dessen Front mit Eingangstür zeigte Richtung Rathaus. Die Wirtschaft brannte beim Luftangriff auf Genkingen 1945 ab. Es gab Pläne, es wieder aufzubauen, an ein wenig geänderter Stelle, entlang der Undinger Straße. Dort, wo jetzt seit etwa 30 Jahren ein Neubau steht - in der Undinger Straße -, entstand der Gastraum, die Pläne, es weiter Richtung Kreuzung mit der Gönninger Straße beziehungsweise der Straßengabelung am Rathaus zu bauen, wurden nicht umgesetzt. Ein Plan von 1947 zeigt die Ausmaße des nicht ausgeführten Rose-Neubaus von »Jakob Früh - Rosenwirt«. Daneben ist außerdem die Bäckerei vermerkt, das alte Backhäusle eingezeichnet, dazu steht geschrieben »Wilhelm Herrmann, Bäckermeister« und »im Aufbau befindlich«.

Das Gewölbe besteht aus behauenen Steinen.
Das Gewölbe besteht aus behauenen Steinen. Foto: Cordula Fischer
Das Gewölbe besteht aus behauenen Steinen.
Foto: Cordula Fischer

Jakob Früh - Rosenwirt: Das war Siegfried Reiffs Großvater. Sicher, so meint der gebürtige Genkinger, habe sein Opa mit dessen Frau Ottilie nach deren Hochzeit die Rose übernommen. Ein Foto aus der Zeit um 1900 zeigt das zweigeschossige Gebäude noch mit dem Schriftzug »Gasthaus zur Rose von A. Keck«. Das wird der Vorgänger-Wirt der Rose gewesen sein, von dem das Ehepaar Früh den Gasthof übernommen hat. Siegfried Reiffs Mutter, Jahrgang 1924, und deren beiden Brüder, Jahrgänge 1919 und 1920, seien in der Rose geboren worden. Das alte Gasthaus hat er selbst nicht mehr erlebt, Reiff kam 1952 zur Welt, das Gebäude wurde bereits 1945 während des Luftangriffs am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört, als insgesamt 52 Häuser in Genkingen abbrannten. Die Familie war nach der Katastrophe bei Verwandten untergebracht.

Rosewirt Jakob Früh.
Rosewirt Jakob Früh. Foto: Siegfried Reiff
Rosewirt Jakob Früh.
Foto: Siegfried Reiff

Frühs machten Pläne für den Wiederaufbau der Rose. Zunächst sollte ein Wohn- und Ökonomiegebäude, also Stall und Scheune entstehen, weiter Richtung Rathaus war ein weiteres Haus für die Gastwirtschaft angedacht, am Standort, wo das alte Gasthaus stand. Teil eins war noch nicht ganz fertiggestellt, da starb Jakob Früh 1949 an einem Hirnschlag. Seine Großmutter Ottilie habe nicht den Mut und die Kraft gehabt, den Rose-Neubau alleine zu stemmen. Die Gästebewirtung wollte sie dennoch nicht aufgeben. So wurde das eigene Wohnzimmer zur Gaststube, das Schlafzimmer zum Nebenzimmer umfunktioniert, die Küche der »neuen Rose« befand sich im ersten Stock. Seine Mutter, erinnert sich Siegfried Reiff, habe unzählige Male die Stufen laufen müssen, um Essen aus der Küche und zu den Gästen zu bringen. Später habe man dann die Küche ins Erdgeschoss verlegt. Die alten Keller aber waren nach der Zerstörung der Rose vom neuen Haus nicht mehr zugänglich.

Das Wirtsehepaar Ottilie und Jakob Früh.
Das Wirtsehepaar Ottilie und Jakob Früh. Foto: Siegfried Reiff
Das Wirtsehepaar Ottilie und Jakob Früh.
Foto: Siegfried Reiff

Seine Eltern hätten auch Pläne für die Wirtschaft gehabt, aber auch sein Vater sei früh verstorben, sagt Siegfried Reiff. Ab 1960 stand seine Mutter mit zwei Kindern - Siegfried war sieben, seine Schwester drei - alleine da. Die Rose wurde an die Klosterbrauerei Pfullingen verpachtet, die sie wiederum an einen Unterpächter gab. Später - das muss nach der Gemeindereform 1975 gewesen sein - wollte die Gemeinde die Rose kaufen, »zur Verschönerung der Ortsmitte«. So richtig wurde daraus nichts, die Gemeinde veräußerte das Objekt weiter.

Die »neue Rose«.
Die »neue Rose«. Foto: Siegfried Reiff
Die »neue Rose«.
Foto: Siegfried Reiff

Siegfried Reiff erinnert sich noch, dass zwischen neuer Rose und Rathaus ein großer Hof existierte, auf dem Markttage abgehalten wurden, damals kam noch ein Schweinehändler nach Genkingen. Und ein Mitarbeiter des Schotterwerks Herrmann habe seinen vollbeladenen Laster dort abgestellt, um zum Mittagessen nach Hause zu gehen. Deshalb hatte er angenommen, dass die alten Keller zugeschüttet worden waren. In den 1990er-Jahren wurde auf dem Grundstück ein Neubau erstellt. Im Zuge der Bauarbeiten stieß man vor 30 Jahren auf den noch völlig intakten Keller. Der GEA berichtete am 8. Juli 1995 darüber, wie der acht Meter lange, vier Meter breite und drei Meter hohe Gewölbekeller wiedergefunden wurde, von dessen Existenz man wusste, aber niemand konnte genau sagen, wo er zu verorten sei. Auch damals wurde Wasser aus dem Keller gepumpt, gefunden wurden Gabeln, ein Topf, eine Kachel und ein halbes Bierfass. Beschädigt wurde das Gewölbe 1995 nicht, stießen die Bauarbeiter beim Tiefbau doch genau auf den Eingang. »Da schmeckt's sogar noch nach Bier«, sollen die Hinabgestiegenen festgestellt haben. Verfüllt wurde er offensichtlich nicht, über ihm befinden sich heute Parkplätze.

Das Gastwirt-Ehepaar Ottilie und Jakob Früh mit den drei Kindern.
Das Gastwirt-Ehepaar Ottilie und Jakob Früh mit den drei Kindern. Foto: Siegfried Reiff
Das Gastwirt-Ehepaar Ottilie und Jakob Früh mit den drei Kindern.
Foto: Siegfried Reiff

»Für mich war das interessant, als der Keller offen war, es ist ein Stück Familiengeschichte«, sagt Siegfried Reiff. Und ein Stück Genkinger Ortsgeschichte. Als die neue Rose verkauft und abgebrochen wurde, habe ihn das emotional berührt, und auch diesmal kamen ihm viele Erinnerungen an seinen Vater ins Gedächtnis. Obwohl er den Keller nicht aus eigener Anschauung kannte. Mittlerweile ist ein Flüssigboden-Zement-Gemisch in das Gewölbe gefüllt, ein Stück Genkinger Geschichte damit tatsächlich Geschichte. Bis vielleicht in 100 Jahren Archäologen einen Teil davon ausgraben werden und das Gasthaus Rose wieder ins kollektive Gedächtnis zurückkehrt. (GEA)

Auf der Planzeichnung erkennt man, wie die neue Rose hätte aussehen sollen (rosa Fläche). Daraus wurde aber nichts.
Auf der Planzeichnung erkennt man, wie die neue Rose hätte aussehen sollen (rosa Fläche). Daraus wurde aber nichts. Foto: Cordula Fischer
Auf der Planzeichnung erkennt man, wie die neue Rose hätte aussehen sollen (rosa Fläche). Daraus wurde aber nichts.
Foto: Cordula Fischer