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Wie geht es der Landwirtschaft? Jetzt reden die Bauern im Kreis Reutlingen

Der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands zu Zuversicht und Zukunftsperspektiven

Auf einem Acker liegen Strohballen
Auf einem Acker liegen Strohballen. Foto: Rampfel/Archiv
Auf einem Acker liegen Strohballen.
Foto: Rampfel/Archiv

KREIS REUTLINGEN. Landrat Ulrich Fiedler wollte für alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis sprechen: »Wir brauchen unsere Landwirte.« Gebraucht werden die landwirtschaftlichen Betriebe für ihre Beiträge zum Klimaschutz, zur Energieerzeugung, zur Landschaftspflege, nicht zuletzt und vor allem aber für die Produktion von »unseren eigenen regionalen Lebensmitteln«. Das durch Klimakrise und Corona-Pandemie gestiegene Bewusstsein für nachhaltig produzierte Nahrungsmittel ummünzen zu können in wirtschaftlichen Mehrwert für die Bauern im Kreis – darin liegt für Fiedler aktuell die Chance für eine erfolgreiche Transformation der Landwirtschaft.

Transformation: Dieser Begriff zog sich wie ein roter Faden durch die digitale Lichtmesstagung des Kreisbauernverbands, die am Donnerstagnachmittag Vertreter der regionalen Landwirtschaft, der Politik und der Behörden zusammenführte. Veränderung wird von den heimischen Betrieben in ganz hohem Maß und auf vielen Feldern verlangt, wie der Kreisvorsitzende Gebhard Aierstock betonte. Klimawandel, Biodiversität, Tierwohl: Das sind drei der Aufgabenbereiche, die die Landwirtschaft vor so noch nicht da gewesene Herausforderungen stellen.

»Land unter« also für die Bauern? Keineswegs, so die Kernaussage des Hauptredners dieser etwas anderen Lichtmesstagung: Werner Schwarz, der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands und Landesvorsitzende aus Schleswig-Holstein, betonte ebenfalls die Chancen, die der bevorstehende und notwendige Wandel biete. Sein Fazit: Es sei »Land in Sicht« für die Landwirtschaft.

Raus aus der Konfrontation

Anlass für solch ermutigende Perspektive bietet für Werner Schwarz die Arbeit der Zukunftskommission Landwirtschaft, an der er selbst beteiligt war. Die Vertreter der Bauern und ihre Kritiker etwa aus den Umweltverbänden haben darin seinen Worten nach aus der Konfrontation in die Kommunikation gefunden und die Transformation der Landwirtschaft – dieses Wort gefällt Schwarz weit besser als der Begriff »Agrarwende« – als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert, die aber auch von der gesamten Gesellschaft zu unterstützen und zu finanzieren sei. Ob Arten- oder Klimaschutz: »Wir können viele Wünsche der Bevölkerung erfüllen, aber wir können das nicht aus den Erlösen für Milch, Fleisch oder Raps.« Öffentliche Güter, wie sie die Landwirtschaft neben den Lebensmitteln produziert, seien auch öffentlich zu finanzieren, so der Vizepräsident der deutschen Bauernvertretung.

»Große Veränderungen können funktionieren, wenn die Zeit reif ist.« Werner Schwarz verglich den bevorstehenden Aufbruch in eine an der Nachhaltigkeit orientierte Zukunft mit der Einführung der sozialen Marktwirtschaft. Ob der Aufbruch erfolgreich sein wird, hänge wesentlich von der Arbeit der neuen Bundesregierung ab. Bislang sieht der Bauern-Präsident da noch Verbesserungsbedarf: »Der Koalitionsvertrag bleibt deutlich hinter den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft zurück.«

Konzepte statt Wut

»So weit waren wir noch nie«, sieht Werner Schwarz trotzdem gute Chancen für einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, in dem gemeinsame Ziele mit den Bauern – und nicht gegen sie – erreicht werden. Die Landwirtschaft ebenso wie ihre Kritiker haben dafür zementierte Positionen verlassen müssen: die einen die Forderung, es müsse alles unverändert bleiben, die anderen den Anspruch, alles müsse sich ändern. Damit ist laut Schwarz auch in das jüngst sehr belastete Verhältnis zwischen Landwirten und Gesellschaft wieder Bewegung gekommen: »Statt Wut und Hoffnungslosigkeit um sich greifen zu lassen«, würden wieder Konzepte entwickelt. Mit einem »wertkonservativen Landwirtschaftsminister« am Ruder stünden die Chancen für die deutschen Bauern »besser denn je«, so Werner Schwarz. Zum Austausch in seinem Heimat-Landkreis hat Gebhard Aierstock den Minister Cem Özdemir jedenfalls bereits eingeladen.

Aufzuhalten ist der Wandel nicht, und die Bauern wollen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein. Das wurde bei der Lichtmesstagung von verschiedenen Seiten betont. Etwa von Pia Münch, der Vorsitzenden des Kreislandfrauenverbands, die ebenfalls beobachtet, »dass die Lebensmittelerzeugung an Bedeutung gewinnt«. Ihrer Erfahrung nach sind die Verbraucher »offener und interessierter denn je«.

Funktionieren kann die Transformation in der Landwirtschaft nur, wenn die Bauern eine verlässliche ökonomische Perspektive bekommen. Das unterstrich Gebhard Aierstock deutlich: »Eine Branche kann nur überleben, wenn in den Betrieben auch Geld verdient wird.« Dazu braucht es neben der gezielten Förderung von Tierwohl-Ställen oder Naturschutzmaßnahmen die Bereitschaft, für hochwertige Lebensmittel faire Preise zu zahlen. Schwarz: »Im Billigpreisregal stehen unsere Produkte dann seltener.« (GEA)