SONNENBÜHL. Das ist eine Auszeichnung, die nicht viele Köche vorweisen können. Auch nicht Baden-Württemberg, das als Genießerland bekannt ist. Zum 30. Mal wurde Gerd Windhösel in diesem Jahr mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Der kulinarische Ritterschlag in der Gastro-Szene. 30 Mal hintereinander. Der gleiche Koch in der gleichen Küche. Das ist auch im Südwesten eine absolute Seltenheit. Gerd Windhösel im Hirsch in Sonnenbühl-Erpfingen.
Von Euphorie ist der 63-jährige Koch aber weit entfernt, als er im Gespräch mit dem GEA diese 30 Jahre Revue passieren lässt. Im Gegenteil. Er wirkt viel eher sehr rational und nachdenklich. »Wir müssen uns doch fragen: Passt Sterne-Gastronomie noch in die heutige Zeit. Nicht weit von uns tobt in der Ukraine ein schrecklicher Krieg. Wir hier in Deutschland sehen uns steigenden Energiepreisen und einer hohen Inflation gegenüber. Die Menschen haben immer weniger Geld in der Tasche. Da müssen wir Gastronomen uns schon die Frage stellen, ob es noch gerechtfertigt ist, gehobene Speisen zu gehobenen Preisen anzubieten.«
"Gute Küche darf nicht der Upper-class vorbehalten sein""
Nein, nein, Gerd Windhösel hat sich nicht vom Koch zum Kulturpessimisten gewandelt. Denn selbstbewusst und im Brustton der Überzeugung kann er die Frage, die er selbst in den Raum gestellt hat, positiv beantworten: »Ja«, sagt er, »meine Küche passt in die Zeit«, und liefert die Begründung gleich hinterher. »Mein Stern war nie ein Luxus-Stern. Meine Küche ist für eine breite Öffentlichkeit.« Er nennt damit gleichzeitig die Grund-Philosophie seiner Küche. »Ein Restaurant-Besuch darf keine elitäre Geschichte sein. Gute Küche darf nicht der «Upper-class» vorbehalten sein. Genuss und gesunde Ernährung sind wichtig, deswegen müssen sie im Volk verankert sein und dürfen nicht exklusiv für eine kleine Minderheit reserviert sein.« Klare Worte.
Aber gerade diese Bodenständigkeit, dieses Geerdet-Sein ist wohl auch Teil des Erfolgsgeheimnisses von Windhösel. Neben der Tatsache, dass er nun mal fantastisch kocht. »Wir hier im Hirsch bringen die Region auf den Teller, und zwar von Anfang an. Ich biete eine bodenständige Küche, ich richte niemals mit Pinzette an«, sagt er mit Nachdruck und verschränkt zufrieden lächelnd die Arme vor der Brust, als er da im wunderschönen Gartenbereich seines Restaurants sitzt und über seine Art zu kochen philosophiert. Für ihn ist es unverständlich, wenn drei Leute fünf Minuten lang einen einzigen Teller anrichten. Natürlich sei eine ordentliche Präsentation wichtig, »aber das Produkt steht immer im Mittelpunkt«. Ein weiterer Grundpfeiler seiner Küche.
Restaurant ist auch mittags geöffnet
Eine Küche ohne Chichi, wie Windhösel betont. Durchaus bemerkenswert, dass die dennoch seit 30 Jahren ununterbrochen mit dem begehrten Michelin-Stern ausgezeichnet wird. Denn gerade in der Sterne-Gastronomie wird doch oft auch viel Wert auf Präsentation, das Drumherum und Show-Effekte gelegt. Exzellente Grundprodukte und die sehr sorgfältig zubereitet – das sei sein Erfolgsrezept, betont der Spitzenkoch von der Alb. Was ihn sonst noch von den meisten anderen Sterne-Köchen unterscheidet. Sein Gourmet-Restaurant ist nicht nur abends, sondern auch mittags geöffnet, es gibt mehre Menüs zur Auswahl. Wer da gar nichts findet, kann auch à la carte bestellen. Das ist längst nicht mehr üblich in der Spitzen-Gastronomie. Oft wird nur noch ein einziges Menü angeboten, ohne Wahl-Möglichkeiten.
Und auch beim Blick auf die Preise würde ihn so mach ein Kollege mitleidig belächeln, meint Windhösel, der immer wieder betont, dass sein Restaurant nichts Elitäres an sich habe. Natürlich liegen auch bei ihm die Preise über denen eines Durchschnitts-Restaurants, dafür bekomme man aber eben auch Überdurchschnittliches geboten. Windhösel betont immer wieder: »Es ist zwar nichts Alltägliches, aber jeder soll es sich leisten können, wie einen Stadion- oder Theater-Besuch.« Und weil er weiß, dass es auch unter jungen Menschen solche gibt, die sich für gutes Essen interessieren, hält der Patron des Restaurants für U-30-Gäste ein Drei-Gang-Menü samt Wein-Begleitung (oder alkoholfreien Getränken) für 80 Euro parat.
»Ich verarbeite lieber eine Forelle aus der Seckach als ein Lachs, der um die halbe Welt transportiert wurde.«
Auf die Frage, wie sich denn seine Küche in den letzten 30 Jahren seit dem ersten Stern im Jahr 1994 geändert habe, denkt Windhösel kurz nach, schaut nach oben, schnauft durch und meint: »Ich glaube, ich und meine Küche haben sich gar nicht so sehr geändert, die Trends und Moden haben sich geändert. Aber solchen Strömungen wie etwa der Molekular-Küche bin ich nie nachgerannt.« Das Motto, das derzeit gerade auch in der Spitzen-Gastronomie herrsche – saisonal und regional – das spiele ihm in die Karte. Das, was die Region und die Jahreszeit hergebe, das soll auf den Teller, »das war schon immer meine Maxime, von Anfang an«. Allerdings sei da am Beginn schon ein wenig belächelt worden von den Kollegen. Auch in der Redaktion des Michelin, so Windhösel, habe man sich gefragt, ob man eine so regional ausgerichtete Küche mit einem Stern belohnen dürfe. Windhösel: »Da war eben noch die französische Küche das Maß aller Dinge, an der man sich orientiert habe.« Er eben nicht, und deswegen habe sich für ihn seit dem ersten Stern auch gar nicht so viele geändert.
»Für mich hat sich allerdings einiges geändert in all den Jahren«. Das ist der Zeitpunkt, in dem seine Frau Silke eingreift. Sie sitzt an der Rezeption und hat mit viel Charme den Service in den beiden Restaurants unter ihren Fittichen. »Das Jahr, nachdem wir zum ersten Mal den Stern bekommen haben, war für mich das Schlimmste«, berichtet sie mit viel Temperament. »So viel wie in dieser Zeit, habe ich noch nie geweint«. »Haben Sie denn keinen Sommelier«, hätten die Gäste gefragt, die voller Neugier von weit her gekommen waren, nachdem in diesem verlassenen Alb-Dörfchen plötzlich ein Michelin-Stern leuchtete. »Die Leute wollten von mir wissen, warum wir keinen Sommelier hätten, weshalb ich denn im Service keine weißen Handschuhe trage und weshalb wir den keine Foie gras auf der Karte hätten. Ich hab so viel geheult, weil ich Angst hatte, dass wir die Erwartungshaltung nicht erfüllen können«, erzählt Silke Windhösel.
Sie konnten. Und zwar nicht, weil sie plötzlich dem Mainstream gefolgt wären, sondern weil Silke und Gerd Windhösel konsequent ihren Weg weiter gegangen sind. Stopfleber gibt es nach wie vor nicht auf der Karte. Baby-Steinbutt, wie ihn andere Gourmet-Restaurants anbieten, sucht man im Hirsch ebenfalls vergeblich. »See-Fisch gibt es bei mir kaum mal, bei mir wird Fisch aus der Region verarbeitet. Zum Beispiel eine Forelle aus der Seckach.« Kobe-Beef aus Japan? Fehlanzeige. Im Hirsch wird Alb-Wagyu verarbeitet, das ein paar Kilometer von Erpfingen entfernt auf der Weide steht. Oder zartes und aromatisches Lamm vom Alb-Schäfer Stotz aus Münsingen.
Spezialiäten aus der Region
Individualität durch Regionalität – das ist der Leitsatz. »Spezialitäten aus der Region zu verarbeiten, das macht Spaß. Nicht den Lachs, der um die halbe Welt gekarrt wurde, sondern Forelle oder Saibling aus der Nachbarschaft«, sagt Windhösel und seine Augen leuchten dabei. Daraus zieht er Kraft, denn nicht ohne Stolz betont er, »wer in den letzten 30 Jahren, seit ich einen Stern habe, unser Gourmet-Restaurant besucht hat, der wurde auch von mir bekocht.« Das sei eine riesige Energie-Leistung, und das gehe nur, wenn’s auch Spaß macht. Und Windhösel hat große Freude daran, die Region auf dem Teller zu präsentieren. Wieder leuchten seine Augen, als er berichtet, dass er mit Produzenten aus der Region daran sei, etwas mit alten Gemüse- und Getreidesorten auszuprobieren. Aller Voraussicht nach wird das im Herbst auf der Karte zu finden sein. Trotz einer 63 Jahre scheint Gerd Windhösel noch Appetit auf neue Gerichte zu haben und nicht daran zu denken, den Kochlöffel beiseite zu legen. Das sind gute Nachrichten für Feinschmecker. Nicht nur für die aus der Region. (GEA)