TROCHTELFINGEN. Die Lauchert rauscht ihr Bett hinab, nicht mehr viele Staustufen bremsen ihren Lauf. Daneben plätschert es nicht minder lebendig, Wasser aus einer Quelle ergießt sich in neun künstliche Becken. Der kühle Grund des Laucherttals ist ein reizvoller Ort, der aber nicht nur Ausflügler und Einheimische erfreut. Das Quellwasser, das hier aus dem Boden kommt, ist sauber und kalt, und das mögen die Tiere, die in den Teichen von Torsten Stramke dümpeln. Das sind Bach- und Regenbogenforellen, Saiblinge, auch Äschen, die empfindlich auf Umweltverschmutzung reagieren. In freier Natur ist ihr Vorkommen reduziert, obwohl sich zwar die Wasserqualität ihrer Wohngewässer verbessert hat, aber sie finden wenig geeignete Laichplätze. Damit die Äsche nicht gänzlich aus der Natur und von den Speisekarten verschwindet, gibt es Menschen wie Torsten Stramke, die in ihren Teichen Fische heranzüchten, Anglervereinen mit Beratung und Fischbesatz weiterhelfen und auch Gastronomen mit frischer Ware beliefern.
Was aber auf der Alb noch seltener ist als die Äsche, ist ein urtümliches Geschöpf, das die Dinosaurier überlebt hat und ein lebendes Fossil ist: der Stör. Der Name kommt von »stor«, es ist das althochdeutsche und skandinavische Wort für »groß«. Wohl gibt oder gab es Störe in der Donau, aber wohl kaum hier in der Region. Die 27 Stör-Arten sind allesamt vom Aussterben bedroht, in freier Wildbahn gibt es sie kaum noch - außer sie werden vom Menschen gezüchtet und ausgewildert. Dazu haben Überfischung, Begradigung von Flüssen, der Bau von Stauwehren und damit Verlust von Laichgründen sowie Wasserverschmutzung und noch viele Faktoren mehr geführt. Laut BUND sind alle Stör-Arten seit 1998 im Washingtoner Artenschutzabkommen gelistet. In den Teichen von Torsten Stramke leben jetzt echte - nein, es ist keine neue Art - Alb-Störe, vor zwei Jahren hat der gelernte Fischwirt das Experiment begonnen, diese Knochenfischart zu züchten. Stramke stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, kam 1991 nach Westdeutschland, 2009 hat er die Fischteiche bei Hausen an der Lauchert übernommen.
Fünf von neun Teichen sind mit Forellen, Äschen, Saiblingen besetzt, und einer eben auch mit Stören, die sich ihren teils von Bäumen beschatteten Lebensraum mit den kleineren Forellen teilen. Die mögen ebenso das kühle Quellwasser. Und brauchen auch viel Sauerstoff. »Wie schnell wachsen die Störe, wie kann man sie vermarkten?«, gibt es Anglervereine, die den Stör als Besatzfisch abnehmen, wie verwerten die das Futter, was macht das Klima in Zukunft, wird sich das Wasser erwärmen und kommen die Fische damit klar?: Das sind Fragen, die noch zu beantworten sein werden. Torsten Stramke betritt mit der Störzucht Neuland. Denn schließlich sei Schwaben kein Fischesser-Ländle, und mit der Zubereitung eines eher unbekannten Speisefischs tue man sich dann besonders schwer. Denn ja: Stör ist hier den meisten Menschen vielleicht geläufig, weil er der Produzent von Kaviar ist, Eier aus der Dose - so teuer wie Gold. Aber dass man auch sein Fleisch verzehren kann, wissen die wenigsten.
Die jungen Störe - es ist der Sibirische Stör (Acipenser baerii) - bezieht Fischwirt Stramke von einem Züchter-Kollegen aus dem Allgäu. Die Aufzucht ist ein langwieriges Geschäft. Erst ungefähr mit sechs, sieben Jahren werden die Fische geschlechtsreif, »es braucht sieben, acht Jahre, erst dann verdienst du Geld damit«, sagt der Fischwirt. »Und vermutlich siehst du erst nach zehn Jahren das erste Ei.« Da wird sich noch viel Quellwasser in die Teiche ergießen, viel Wasser die Lauchert hinab bis in die Donau fließen. Ob sich genügend Weibchen entwickeln, um die Nachzucht zu beginnen? Kaviar von der Alb wird's wohl nicht geben, aber vielleicht ist auch das irgendwann möglich. Doch darauf kommt es Torsten Stramke nicht an. »Man muss ja nicht alles machen.« Die Weitervermehrung will er anderen Fachleuten überlassen. Er setzt auf die Qualität des Störs als Speisefisch mit festem, hellen Fleisch. Aber der Urzeitfisch mit der charakteristischen haifischähnlichen, asymmetrischen Schwanzflosse, den scharfkantigen Knochenplatten auf dem Rücken und den Barteln vor dem Maul ist und bleibt ein Nischenprodukt.
Einen Abnehmer hat Stramke in dem Erpfinger Sternekoch Gerd Windhösel gefunden. Das sei bisher der einzige Gastronom, mit dem er zusammenarbeitet. »Etwas Besonderes muss auch etwas Besonderes bleiben«, sagt Torsten Stramke. Und schließlich wuppt er seinen Fischereibetrieb als Ein-Mann-Geschäft, ab und an helfen mal Familie und Freunde. Etwa bei der Pflege der Teiche und der sie umgebenden Vegetation. Volksfestatmosphäre will er auch nicht an dem idyllisch gelegenen Gewässer haben. Deshalb verkauft er frischen oder geräucherten Fisch nur auf Bestellung. Da es keine Stromversorgung an der Teichanlage gibt und somit auch keine Kühlmöglichkeiten, ist das auch nicht anders machbar. Räucherfisch legt er mindestens für zwölf Stunden in einer Salzlake ein, wäscht ihn ab, hängt ihn in den Räucherofen. Er setzt auf Buchenholz und Buchenspäne. Etwa eine Stunde bleiben die Fische im Rauch, sodass sie noch saftig sind, wenn sie herauskommen. Auch Stör hat er schon geräuchert.
Extensive Fischwirtschaft und achten aufs Tierwohl
Seine Fischwirtschaft betreibt Torsten Stramke so extensiv wie möglich, achtet auf die Wasserqualität und die des Futters, hält nicht zu viele Fische in einem Teich, damit keine Krankheiten und Seuchen entstehen. Überwacht wird das vom Tiergesundheitsdienst in Aulendorf. »Ich will versuchen, etwas zu machen, was regionalen Wert hat.« So pflegt er auch einen Abschnitt der Lauchert, den er von der Gemeinde gepachtet hat. Von der Natur nehmen - der Natur etwas zurückgeben. Das Fangen und Schlachten gehört zur Arbeit des Fischwirts. Er achtet darauf, dass die Fische nicht leiden müssen. Vorteil: »Sie schreien nicht« wie andere zum menschlichen Verzehr gehaltenen Tiere. Dennoch muss alles schonend, hygienisch und schnell gehen.
Und wie schmeckt der Stör? Wie bereitet man ihn zu? Gegrillt, gedünstet, gedämpft oder gebraten, geräuchert, geschmort - Hauptsache schonend sollte man ihn garen, damit das magere, fettarme, proteinreiche Fleisch nicht trocken wird. Es hat wenig Gräten und könnte also auch einen Fischverächter und Fischanfänger überzeugen. Mit seinem milden und doch würzigen Aroma lässt er sich mit vielen Kräutern, Gewürzen und Beilagen kombinieren. Einst war Stör auch auf (nord-)deutschen Tellern beliebt, bevor er nahezu ausgerottet war, nun entdeckt die Sterneküche den heute seltenen Klassiker neu, serviert ihn sous-vide-gegart oder roh als Sushi, im Reifeschrank abgehangen, als Steak, Filet, Suppeneinlage, gebeizt oder mit kross gebratener Haut. Und das mit gutem Gewissen, denn nachhaltiger geht's nicht, wenn diese Delikatesse aus einer regionalen Zucht wie der von Torsten Stramke stammt. Nur freilebenden Lauchert-Stör wird's wohl so bald nicht geben. Es sei denn, einer findet den Weg aus den Teichen ins vorbeifließende Flüsschen. (GEA)