KREIS REUTLINGEN. Lange sah es am Sonntagabend so aus, als würde die Region nur noch mit zwei Kandidaten im Bundestag vertreten sein. Michael Donth (CDU) sicherte sich früh das Direktmandat. Pascal Kober hätte es mit Listenplatz vier für die FDP wieder geschafft - aber nur dann, wenn die FDP die Fünf-Prozent-Hürde genommen hätte. Anne Zerr (Linke) musste lange zittern, durfte schließlich aber aufatmen. Die AfD hat ihr Wahlergebnis verdoppelt - und mit ihr zog fast unbemerkt jemand in den Bundestag ein, dessen Name im Wahlkampf in der Region nicht aufgetaucht war: Sieghard Knodel, 64 Jahre alt, Landmaschinenmechanikermeister aus Mägerkingen, hat über die Landesliste den Einzug in den Bundestag geschafft.
Beim AfD-Parteitag im Oktober in Ulm, wo Alice Weidel auf Platz eins gewählt wurde, kam Knodel auf Platz 18. Das reicht - Stand heute - für einen Sitz, nach vorläufigem amtlichen Endergebnis sind 19 von den 25 Landeslisten-Kandidaten der AfD aus Baden-Württemberg im neuen Bundestag vertreten. Knodel ist selbst überrascht. Er habe nicht mit einem Einzug gerechnet, sagt er, »bis Platz 16 war es einigermaßen safe, der Rest war offen«. Auch jetzt will er es erst glauben, wenn er es sicher weiß: »Ich warte auf die amtliche Bestätigung«, weicht er weiteren Fragen danach, wie es nun für ihn weiter gehe, aus: »Alles andere ist jetzt noch Kaffeesatzleserei.«
Kurze Karriere im Kreistag
Das BSW, meint er, könnte schließlich doch noch drin sein - und mit der Umverteilung der Sitze wäre seiner wieder weg. Nach dem sehr knappen Scheitern mit 4,97 Prozent erwägt das BSW eine rechtliche Überprüfung des Ergebnisses. Eine mögliche rechtliche Handhabe sieht die Parteispitze, weil von den 230.000 registrierten Wahlberechtigten im Ausland wegen kurzer Fristen viele ihre Stimme nicht hätten abgeben können.
Seine Schwerpunktthemen seien Landwirtschaft und Verkehr, sagt der Unternehmer, der in Mägerkingen seinen eigenen Betrieb gegründet, aufgebaut und nun an die nachfolgende Generation übergeben hat. Nach Mägerkingen kam er vor Jahrzehnten der Liebe wegen, die Ehe ist geschieden, Knodel hat zwei Söhne. Im Ort kennt man ihn seit Jahrzehnten, dort wird er als »schwäbischer Schaffer« beschrieben, als einer, für den 15-Stunden-Tage nichts Ungewöhnliches sind. Er sei freundlich, nie durch Umtriebe aufgefallen und eher ruhiger Außenseiter als geselliger Vereinstyp gewesen. Politische Vorerfahrung bringt Knodel kaum mit. Im vergangenen Jahr wurde er in den Kreistag gewählt, zum Jahresende habe er sein Mandat aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt, erklärt er.
Anna Ioannidis, Pressesprecherin im Landratsamt Reutlingen, bestätigt auf Anfrage mit: »Herr Knodel hat Ende letzten Jahres sein Ausscheiden aus dem Kreistag beantragt. Der Kreistag muss formal in seiner nächsten Sitzung - voraussichtlich am 24.03. oder 07.04. - entscheiden, ob wichtige Gründe für das Ausscheiden von Herrn Knodel aus dem Kreistag vorliegen. Über Herrn Knodels Gesundheitszustand können wir keine Aussage treffen. Er kann sein Ausscheiden aus dem Kreistag aber auch verlangen, wenn er aus der Partei oder Wählervereinigung ausscheidet, auf deren Wahlvorschlag er in den Kreistag gewählt wurde. Er ist aus der AfD-Kreistagsfraktion ausgetreten.«
Direktkandidat Grams war nur »Galionsfigur«
Er sei schwerer krank gewesen, der Genesungsprozess daure jetzt noch an, nach Berlin reisen könne er im aktuellen Zustand nicht, sagt Knodel im GEA-Gespräch. Sein Gesundheitszustand ist auch der offizielle Grund dafür, dass die AfD im Wahlkreis Reutlingen mit eher ungewöhnlicher Strategie und personeller Besetzung in den Wahlkampf gezogen ist. Üblicherweise wird der Direktkandidat über die Landesliste abgesichert - ein Kann, kein Muss, aber gängige Praxis.
Das war bei der AfD anders. Direktbewerber Rudolf Grams war zwar das Gesicht der AfD im Wahlkampf, auf der Landesliste stand sein Name aber nicht. Grams war vor allem dazu da, Knodel die Strapazen des Wahlkampfs zu ersparen, »ich bin als Galionsfigur eingesprungen«, beschreibt Grams seine Rolle. Berlin hatte Grams also von Anfang an nicht im Visier - offen kommuniziert wurde das im Wahlkampf allerdings nicht.
Falls das Mandat sicher ist und es seine Gesundheit erlaube, wolle er es annehmen, sagt Knodel: »Ich bin ein Mensch, der Herausforderungen liebt und sich ihnen stellt.« Grams sieht seine Aufgaben weiter an der Basis, »wir bereiten uns thematisch auf die Landtagswahl vor«. Ein Landtagsmandat ist für ihn keine Option, falls es auf Bundesebene zu Neuwahlen komme, »stehe ich zur Verfügung«, so Grams.