Logo
Aktuell Architektur

Welche Geschichte das Münsinger Rathaus erzählt

Das Münsinger Rathaus hat seit dem Bau in den 1930er-Jahren schon vielen Herren gedient.

Fachwerk und Tuffsteinsockel waren beim Bau des Rathauses in den 1930er-Jahren angesagt.  FOTOS: LENK
Fachwerk und Tuffsteinsockel waren beim Bau des Rathauses in den 1930er-Jahren angesagt. Foto: Joachim Lenk
Fachwerk und Tuffsteinsockel waren beim Bau des Rathauses in den 1930er-Jahren angesagt.
Foto: Joachim Lenk

MÜNSINGEN. Landauf, landab bauen Kommunen neue Rathäuser. Ganz anders sieht es in Münsingen auf der Mittleren Alb aus. Dort hat Verwaltungschef Mike Münzing sein Büro im zweiten Stock eines typischen Behördenbaus im Fachwerkstil, der inzwischen knapp 90 Jahre im Gebälk hat. An den Pfosten der südlichen Eingangslaube befinden sich Abbildungen der Wappen des Landes Württemberg-Hohenzollern und der Stadt Münsingen. Außerdem gibt es eine Rathausuhr auf dem Dach, die zu jeder Viertelstunde schlägt.

Behördenbau aus der NS-Zeit

»Das Haus erzählt Geschichte«, erzählt Münzing, der seit 27 Jahren dort seine »zweite Heimat« hat. Egal, ob man im ersten, im zweiten Stockwerk oder im Dachgeschoss unterwegs ist, überall knarrt der Fußboden. Sein Arbeitszimmer mit sechs Fenstern und einem großen Tisch für die wöchentliche Amtsleiterbesprechung befindet sich am südwestlichen Eck des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes. Von wo aus der 56-Jährige einen herrlichen Blick auf den Rathausplatz auf den neuen Matthias-Erzberger-Platz hat. Die Bronzefigur des berühmten Politikers (1875–1921), der einst im Münsinger Stadtteil Buttenhausen geboren wurde, sitzt auf einer Bank vor dem Verwaltungsgebäude.

Hausherr Mike Münzing vor dem prächtigen Handwerkerschrank.
Hausherr Mike Münzing vor dem prächtigen Handwerkerschrank. Foto: Joachim Lenk
Hausherr Mike Münzing vor dem prächtigen Handwerkerschrank.
Foto: Joachim Lenk

Das zwischen 1935 und 1937 erbaute Gebäude ist ein typischer Behördenbau aus der nationalsozialistischen Zeit, erklärt der Rathaus-Chef. Die Verwendung von Tuffstein im Erdgeschoss und die Ausführung der Obergeschosse in Sichtfachwerk sollte die Verbundenheit zur Heimat und zur Handwerkskunst ausdrücken. Deshalb steht vor Münzings Büro ein großer Schrank aus den 1930er-Jahren, auf dem sich an den Türen alle Handwerker mit ihrem Wappen und dem Namen des jeweiligen Obermeisters samt Mitgliederzahl verewigt haben.

Bei der Eröffnung beherbergte das Verwaltungsgebäude im östlichen Teil die Stadtverwaltung, im westlichen Teil den Kreisverband sowie im Kellergeschoss Luftschutzräume.

Militär und Landrat

Nach dem Zweiten Weltkrieg residierte dort die französische Militärregierung, die die Soldatensiedlung Altes Lager und den Truppenübungsplatz unter sich hatte. Anfang der 1950er-Jahre übernahm dann der damals noch existierende Landkreis Münsingen schrittweise das Gebäude. Die Auflösung des Kreises Münsingen im Jahr 1973 ermöglichte die Rückkehr der Stadtverwaltung ins »Neue Rathaus«, die bislang im »Alten Rathaus« aus dem 16. Jahrhundert untergebracht war. »Besuchergruppen müssen immer schmunzeln, wenn ich ihnen erzähle, dass sich die Verwaltung im ›Neuen Rathaus‹ befindet«, berichtet Münzing.

Heute sind dort rund 70 Mitarbeitende in 45 Büros auf vier Etagen beschäftigt. In den ehemaligen Luftschutzräumen lagern im östlichen Teil Archivalien, im westlichen Teil Unterlagen der Registratur. Weitere Akten stapeln sich in der einstigen Hausmeisterwohnung im Dachgeschoss, die vor zehn Jahren aufgegeben wurde.

Beim Rundgang durch das Haus zeigt Münzing auch zwei ausgediente Arrestzellen im Keller. Nein, dort werden heute keine Bürger, die sich etwas zu Schulden kommen haben lassen, mehr eingesperrt, sagt der Bürgermeister der rund 15.000 Einwohner zählenden Kommune mit ihren 14 Stadtteilen schmunzelnd. Dort lagert das örtliche Partnerschaftskomitee einige Kisten Champagner. Münsingen pflegt eine Partnerschaft mit der französischen Stadt Beaupréau.

Alt, aber oho

Auch wenn das »Neue Rathaus« bereits so viele Jahrzehnte auf dem Buckel hat, ist im Innern des Gebäudes die Zeit wahrlich nicht stehen geblieben. Die alten Schreib- und Rechenmaschinen, die Stempelkissen und die Geldzählkasse, die im Flur zum Bürgermeisterbüro ausgestellt sind, sind keine Gegenstände von heute, sondern erinnern an früher.

Vor zehn Jahren hat die Verwaltung, »nach einem dreijährigen Genehmigungsverfahren«, viel Geld für die Barrierefreiheit des Münsinger Rathauses ausgegeben. Das war nicht einfach, erinnert sich Münzing. Verhältnismäßig unkompliziert war es, die Stufen am Eingang Nord durch eine sanft ansteigende Rampe zu ersetzen. Der Durchbruch der Rathaus-Decken für den Aufzug vom Keller bis hinauf in die zweite Etage war »sehr anspruchsvoll«. Außerdem mussten aus Brandschutzgründen die beiden Treppenhäuser durch Glaselemente voneinander abgetrennt werden.

Stolz erzählt der Rathauschef, dass das Gebäude inzwischen EMAS-zertifiziert sei, das heißt, die Verwaltung leiste einen wirksamen Beitrag zum Umweltschutz, spare Kosten ein und zeige gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb hat auch kein Zimmer eine Klimaanlage. Die Mitarbeitenden wissen, wann sie die Fenster öffnen und wann sie sie wieder schließen müssen, sagt Münzing.

Fragt man den Bürgermeister, wo sein Lieblingsplatz im Verwaltungsgebäude ist, wird man verwundert sein. Nein, es ist nicht die ehemalige Arrestzelle, wo der edelste Schaumwein der Welt lagert, sondern vielmehr sein Vorzimmer. Dort hält er ab und zu ein Schwätzchen mit seinen beiden Mitarbeiterinnen. (GEA)