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Was Älbler im 19. Jahrhundert auf andere Kontinente zog

Foto: Deutsche Presse Agentur
Foto: Deutsche Presse Agentur

TROCHTELFINGEN-MÄGERKINGEN. Bauer oder Handwerker. Wie der Vater schon. In den Dörfern auf der Alb hatten junge Männer Jahrhunderte lang kaum eine andere Wahl. Für die Mädchen galt es, einen Ehemann zu finden, der sie versorgen konnte. Einen Ausweg aus diesen vorgezeichneten Bahnen eröffnete ausgerechnet der Pietismus des 19. Jahrhunderts: Mit ihm kam die Basler Mission auf die Alb – und die Perspektive, der Enge zu entfliehen und auf einem anderen Kontinent ein anderes Leben zu führen. Für dieses Leben interessiert sich Jürgen Quack, der als Pfarrer selbst in der Mission tätig war (Info-Box). Christen aus Ghana gaben den Anstoß für seine Recherchearbeiten, deren Ergebnisse in den Trochtelfinger Geschichtsblättern (Heft 14, »Die Maders aus Mägerkingen und die Basler Mission«) veröffentlicht wurden.

Die Christen aus Ghana wollten mehr über den aus Mägerkingen stammenden Missionar Johann Adam Mader wissen. »Das Wirken von schwäbischen Missionaren in Afrika und Asien ist bis heute unvergessen«, erklärt Quack. »Die Namen und Aktivitäten dieser Missionare sind dort meist noch sehr bekannt, während sie hier außerhalb der eigenen Familie weitgehend vergessen sind. Die Christen in Ghana sind sich heute noch bewusst, dass ihre ›Kirchenväter‹, die Gestalter ihrer Schriftsprachen, die Gründer ihrer Schulen und Spitäler, aus Württemberg und anderen deutschen Regionen kamen.« Als Quack im Archiv in Basel zu forschen begann, erschloss sich ihm ein ganzes Panorama verschiedener Maders aus Mägerkingen, die in den Missionsdienst gingen.

Als Braut nach Afrika

Für junge Männer eröffnete sich damit ein Bildungsweg, der ihnen sonst verschlossen geblieben wäre. In Basel wurden sie mehrere Jahre auf ihre Arbeit vorbereitet. Zu den Unterrichtsfächern zählten neben theologischen Inhalten auch Elementar-fächer, Weltgeschichte und Sprachen: Latein, Griechisch und Hebräisch. Junge Frauen hatten diese Option zunächst nicht.

Aber die Möglichkeit, die sich ihnen bot, setzte vielleicht sogar noch mehr Mut voraus: Als »Missionsbräute« gingen sie nach Afrika oder Indien, um Männer zu heiraten, die sie meist nicht kannten, und Familien zu gründen. Die Kinder wuchsen nicht bei ihnen auf, sondern wurden – auch das ist heute kaum mehr vorstellbar – nach Basel ins Kinderhaus der Mission geschickt. »Die Missionare bekamen ihre Frauen gewissermaßen nachgeschickt, wenn sie die Sprache gelernt und sich eingearbeitet hatten. Da die Frauen die gleiche Motivation hatten, wurden es meist glückliche Ehen«, sagt Quack.

Wer waren diese Maders, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf das Abenteuer Afrika einließen? Die ersten, die sich um Aufnahme ins Seminar der Basler Mission bewarben, waren die Brüder Johann Adam und Philipp Friedrich Mader sowie ihr Vetter Wilhelm Mader. Eine »Missionsbraut« findet sich in dieser Zeit auch schon: Kurz nach den drei jungen Bauern reiste ihre Cousine Helene Mader an die afrikanische Goldküste, um einen ihr bisher unbekannten Missionar zu heiraten.

Fromm und gebildet

Wie sahen Ausbildung und Arbeit der Missionare in dieser Zeit aus? Was erlebten die Maders in Afrika und in Indien? Mit diesen Fragen hat sich Quack beschäftigt und Antworten gefunden. Er beginnt seine Ausführungen mit einem Blick auf das Dorf Mägerkingen, das – wie auch der Nachbarort Hausen – im Jahr 1534 der Grafschaft Württemberg zugeschlagen wurde. Fortan waren die Flecken evangelische Enklaven. Konflikte mit den Katholiken in Trochtelfingen, das zur Herrschaft Fürstenberg gehörte, blieben nicht aus.

Johann Adam Mader (oben) war einer der ersten Mägerkinger, die in die Mission gingen.   Chorprobe unter freiem Himmel (links): A
Johann Adam Mader (oben) war einer der ersten Mägerkinger, die in die Mission gingen. Chorprobe unter freiem Himmel (links): Auch das ist Teil der Missionsgeschichte in Afrika. FOTOS: PRIVAT, DPA
Johann Adam Mader (oben) war einer der ersten Mägerkinger, die in die Mission gingen. Chorprobe unter freiem Himmel (links): Auch das ist Teil der Missionsgeschichte in Afrika. FOTOS: PRIVAT, DPA

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich in Mägerkingen wie fast überall in Württemberg der Pietismus, zu dessen Anhängern auch Mitglieder der Familie Mader gehörten. »Um 1840 war in der württembergischen Landeskirche der Gedanke der Mission schon weit verbreitet«, schreibt Quack, Die Motive waren vielfältig. Die Überzeugung, das 1.000-jährige Friedensreich aus der Offenbarung stehe unmittelbar bevor, spielte eine Rolle. Es ging aber auch darum, den transatlantischen Sklavenhandel wieder gut zu machen: Mit der Verkündung des Evangeliums unter den »Heiden«, aber auch, indem die Missionare die Afrikaner Landwirtschaft und Handwerk lehrten. Ein »nicht zu unterschätzendes Motiv«, so Quack, war die Abenteuerlust der jungen Leute, die so ihren Heimatdörfern entfliehen konnten.

Lange Vorbereitung in Basel

Einer von ihnen war Johann Adam Mader. Seine erste Bewerbung bei der Mission wurde mit der Begründung abgelehnt, er sei noch zu jung – Mader war damals 17 Jahre alt. Zwei Jahre später versuchte er es erneut. Dieses Mal hatte sein 15-seitiger Brief inklusive Empfehlungsschreiben von Pfarrer und Lehrer, die ihm einen untadeligen Lebenswandel und tiefe Frömmigkeit bescheinigten, Erfolg: Mader ging nach Basel, wo er vier Jahre lang auf den Einsatz in der Mission vorbereitet wurde. Sein Einsatzgebiet war die Goldküste, wo er vor allem im Schuldienst tätig war. Fünf Jahre nach seiner Ankunft bekam er dann auch seine »Missionsbraut«, Ernestine Binder aus Korntal.

Es war üblich, beim Heimaturlaub die Kinder ins Kinderhaus nach Basel zu bringen, wo sie aufwachsen sollten. Auch die Maders machten es so – kein einfaches Familienleben. Ernestine starb, Mader heiratete erneut. Aufgrund seiner geschwächten Gesundheit reiste er mit seiner Frau nach Deutschland aus. Geplant war, wieder nach Afrika zu gehen. Dazu kam es nicht, 1878 schied Mader mit 51 Jahren aus dem Missionsdienst aus und wechselte in den württembergischen Kirchendienst – erst in Frickenhausen, dann in Kohlstetten im Dekanat Münsingen. Vier seiner Töchter gingen später ebenfalls in die Mission – von ihnen soll später noch die Rede sein.

Auch Johann Adams jüngeren Bruder Philipp Friedrich Mader zog es in die Mission. Er war das sechste von 13 Kindern und wird als begabter Schüler geschildert. Das Vorbild seines älteren Bruders führte zum Berufswunsch, auch Missionar zu werden. Seine Leistungen in der Ausbildung waren gut, seine Gesundheit war es nicht. Auf der Suche nach einer Stelle in gesundem Klima stieß er auf einen ungewöhnlichen Posten: Ein aus Basel stammender Hotelier in Nizza hatte die Mission gebeten, einen Seelsorger zu schicken.

Zunächst gehörten vor allem Dienstboten und Hausmädchen zu Maders Gemeinde in Nizza. »Aber nachdem im Winter 1858/59 der württembergische König Wilhelm I. längere Zeit in Nizza gewesen war und jeden Sonntag Maders Gottesdienst besucht hatte, schlossen sich auch viele Vornehme und Gebildete der Gemeinde an«, beschreibt Quack die illustre Gesellschaft. Philipp Friedrich heiratete, gründete eine Familie, lebte und wirkte schließlich 58 Jahre lang in Nizza. »Kein anderer Basler blieb so lange an einem Ort wie er«, berichtet Quack. »In Nizza ist er unvergessen und in seinem Heimatort Mägerkingen erinnert heute eine Plakette an seinem Geburtshaus an ihn.«

Kindheit ohne Eltern

Die kurze und traurige Geschichte des dritten Maders, Vetter Wilhelm, ist schnell erzählt: 1844 geboren, trat er als 20-Jähriger ins Missionshaus ein. Aufgrund seiner schlechten Gesundheit kehrte er nach Mägerkingen zurück, wo er 1867 an der Schwindsucht starb.

Gemessen an dem, was ein Mädchen auf der Alb vom Leben zu erwarten hatte, war Helene Maders Weg ein echtes Abenteuer: Sie war Wilhelm Maders Schwester, wuchs in Mägerkingen auf und ging nach der Schulzeit zu ihrer Schwester nach Zürich, die dort geheiratet hatte. 1871 erhielt sie einen Brief von der Mission, ob sie bereit sei, in Afrika einen Missionar zu heiraten. Die 26-Jährige ließ sich darauf ein. Sie blieb kinderlos, ihr Mann starb 1878. Helene arbeitete zunächst weiter als Lehrerin in Afrika, kehrte aber 1882 nach Europa zurück und lebte in Wilhelmsdorf.

Im zweiten Teil des Hefts widmet sich Quack der zweiten Generation, den Kindern der Maders. Um die Schulbildung der Missionarskinder zu regeln, hatte die Basler Mission ein Kinderhaus eingerichtet. Die Schulen, die die Missionare in den fremden Ländern mit einheimischen Ländern gründeten, genügte den Ansprüchen der Mission nicht, schreibt Quack. Wohl auch, weil die Eltern wollten, dass ihre Kinder mit europäischer Kultur aufwuchsen.

Lydia und ihre drei Ehen

Eine einfache Kindheit war das sicher nicht: Kontakt zu den Eltern hatten die Missionarskinder vor allem über Briefe, zu Weihnachten gab es Päckchen, ein Wiedersehen nur beim Heimaturlaub oder bei der Rückkehr der Eltern. Oft kam es dazu auch gar nicht,weil Eltern im Ausland oder Kinder im Kinderhaus starben. Nach der Konfirmation wurden die Jungen in Berufsausbildungen und die Mädchen in Familien vermittelt, wo sie Haushaltsführung lernten. Allerdings bildete sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, berichtet Quack, die Möglichkeit einer Berufsausbildung für Mädchen heraus. Sie konnten nun, anders als die Generation von Missionsbräuten vor ihnen, Lehrerin oder Krankenschwester werden.

Quack geht vor allem auf Lydia ein, die älteste Tochter von Johann Adam Mader und seiner Frau Ernestine. Sie wuchs im Kinderhaus in Basel auf, gegen Ende ihrer Schulzeit starb ihre Mutter in Afrika. Lydia wurde in einen Haushalt vermittelt, mit 19 Jahren heiratete sie den Missionar Michael Müh, der aus Hausen an der Lauchert stammte und ein Kollege ihres Vaters war. Die Ehe dauerte nur wenige Wochen, Michael Müh starb mit nur 30 Jahren an einer Fiebererkrankung.

Die junge Witwe muss eine selbstbewusste Frau gewesen sein: Sie bat darum, in Afrika bleiben zu dürfen und unterrichtete an einer »Mädchenanstalt«. Damals, betont der Autor, sei es ungewöhnlich gewesen, »dass eine junge unverheiratete Frau auf dem Missionsfeld tätig war«. In einem informativen Exkurs gibt Quack Einblicke in die Bildungsarbeit der Missionare.

Mutige, emanzipierte Frauen

Männer wie Michael Müh bauten ein mehrgliedriges Schulwesen auf, das Grundbildung vermittelte, talentierten Schülern aber auch weitere Wege eröffnete: So wurden einheimische junge Männer selbst zu »Verkündern des Evangeliums« ausgebildet. Religionsunterricht war zwar Pflicht für alle, taufen lassen musste sich aber niemand.

Vier Jahre nach dem Tod von Michael Müh heiratete Lydia erneut einen Missionar. Sie bekam ein Kind, aber auch ihr zweiter Mann starb bald. Lydia kehrte nach Europa zurück, doch Afrika ließ sie nicht los: 1887 schloss sie ihre dritte Ehe mit einem verwitweten Missionar. Auch diese währte nur kurz: Lydia hatte eine Totgeburt und starb mit nur 32 Jahren. An ihre Stelle trat ihre jüngere Schwester Ernestine, die ebenfalls im Kinderhaus in Basel aufgewachsen war und später als Lehrerin in Korntal gearbeitet hatte.

Für die damalige Zeit sehr emanzipiert muss auch eine andere jüngere Schwester von Lydia gewesen sein: Eunike, die das Lehrerseminar in Markgröningen besuchte, fasste den Entschluss, als unverheiratete Lehrerin nach Afrika zu gehen. Es kam überraschend anders: Sie lernte ihren Schwager, den Bruder von Lydias drittem Mann, kennen und nahm seinen Heiratsantrag an. Ihr Mann starb mit 41 Jahren, zuvor war das Paar wegen seines schlechten Gesundheitszustands schon nach Deutschland zurückgekehrt. Nach seinem Tod zog Eunike nach Basel, wo zwei ihrer Schwestern lebten.

Eine weitere der zahlreichen Mader-Schwestern, Irene, bewies auf andere Weise Mut: Sie hatte zunächst eingewilligt, einen Missionar in Indien zu heiraten – und sagte nach dem Kennenlernen Nein. Sie blieb trotzdem im Land, heiratete später einen anderen Missionar und arbeitete in der Frauenmission.

In der nachfolgenden, nunmehr dritten Generation, wurden die Missionare in der Familie Mader weniger: Nur Clara, Tochter von Eunike, schlug diesen Weg ein, der ihr Bildung und Berufstätigkeit ermöglichte. Sie lernte zunächst Buchhändlerin, reiste dann nach Togo als Missionsbraut aus und war nach dem Tod ihres Mannes nach wenigen Wochen schon Witwe.

Sie kehrte nach Deutschland zurück, ließ sich zur Krankenschwester und Hebamme ausbilden und arbeitete später in einem Spital in Ghana. Sie wurde 1940, wie viele andere Missionsangehörige, interniert und nach Jamaika gebracht. »Erst im Oktober 1946 konnte sie nach Europa zurückkehren«, schildert Quack den bewegten Lebensweg von Clara Seeger, die 1982 im hohen Alter von 92 Jahren in Herrenberg starb. (GEA)

 

AUTOR JÜRGEN QUACK

Als Pfarrer und für die Basler Mission im Dienst

Jürgen Quack, geboren 1942, hat Theologie studiert und in Kirchengeschichte promoviert. Er war Gemeindepfarrer an verschiedenen Stellen, unter anderem an der Leonhardskirche in Reutlingen, vor allem aber auch in der Mission tätig. Mit seiner Frau Judith, einer Krankenschwester, hat Quack drei Kinder, zwei wurden in Afrika geboren. Von 1978 bis 1983 war er für die Basler Mission im Norden Nigerias. Quack bildete Lehrer für eine afrikanische Kirche fort, seine Frau war in der Gesundheitsfortbildung in der Frauenarbeit tätig. Nach der Rückkehr war Quack im Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung (DiMOE) der Landeskirche. Er hielt Vorträge und Seminare für Gemeinden und Schulen. Außerdem hatte er einen Lehrauftrag für Missionswissenschaft und ökumenische Theologie an der Universität Tübingen. Seit 2007 ist er im Ruhestand, engagiert sich im Vorstand des Eine-Welt-Vereins Reutlingen, hält Vorträge und schreibt Artikel über Fairen Handel, ökumenische Zusammenarbeit und interreligiöse Begegnung. (ma) ww.geschichtsverein- trochtelfingen.de