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Warum zwei Azubis Gächingen so exotisch finden

Zwei junge Madegassinnen lernen auf der Schwäbischen Alb den Beruf der Fleischereifachverkäuferin und fühlen sich wohl. Aber gleichzeitig haben sie großes Heimweh und vermissen die Wärme ihrer Heimat Madagaskar.

Von Madagaskar auf die Schwäbische Alb: Nancia (links) und Maholy absolvieren bei der Metzgerei Failenschmid eine Ausbildung zur
Von Madagaskar auf die Schwäbische Alb: Nancia (links) und Maholy absolvieren bei der Metzgerei Failenschmid eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin. Foto: Kirsten Oechsner
Von Madagaskar auf die Schwäbische Alb: Nancia (links) und Maholy absolvieren bei der Metzgerei Failenschmid eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin.
Foto: Kirsten Oechsner

ST. JOHANN-GÄCHINGEN. Nanciah Andrianjatovoniaina lebt seit September in der Parkstraße, das klingt großstädtisch. Doch von quirligem Leben ist in der Gächinger Ortsmitte wenig zu sehen. Maximal ein Mal im Jahr pulsiert dort beim Dorfhock ein Leben, das die 21-Jährige von zu Hause gewohnt ist – erlebt hat sie es jedoch noch nicht: Die junge Frau ist in Antananarivo, der Hauptstadt von Madagaskar mit ihren 1,4 Millionen Einwohnern aufgewachsen. Ihren bisherigen Wohnort am Indischen Ozean tauschte dagegen Maholy Ranadison mit der kargen Albhochfläche. Eine Umgebung, mit der die beiden Madegassinnen immer noch etwas fremdeln.

Ihr Heimweh sei über 8.000 Kilometer entfernt von Familie und Freunde groß, das geben die beiden unumwunden zu. Doch sie sind gekommen, um zu bleiben. Zielgerichtet hatten sich die beiden jungen Frauen in Madagaskar für Schulen entschieden, auf der sie vor allem eines intensiv lernten: Deutsch. Die Sprache bot ihnen berufliche Perspektiven, die sie in ihrer Heimat trotz Abitur nicht haben, weil es keine Arbeitsplätze gibt: Maholy Ranadison und Nanciah Andrianjatovoniaina absolvieren eine Ausbildung als Fleischereifachverkäuferin bei der Metzgerei

Failenschmid in Gächingen.

Sie warten auf den Frühling

Am 4. September landeten sie in Deutschland, seither leben sie ein ungewohntes Leben: »Es war ein Kulturschock«, gibt Nanciah unumwunden zu. »Aber es geht.« Was ihnen eindeutig fehle, seien die Wärme und die Sonne – bis heute würden sie oft viel zu wenig anziehen, meinen sie lachend und warten sehnsüchtig, dass wenigstens der Frühling endlich ins Ländle kommt. Aber ein besonderes Ereignis sei der erste Schnee ihres Lebens dann doch gewesen. Den erlebte Maholy nicht auf der Schwäbischen Alb mit, sondern bei einem Ausflug in München. Weihnachten verbrachten beide in Paris, an den Wochenenden sind sie oft in Freiburg. Denn die madegassische Community, dazu gehören auch Verwandte und Freunde, in Deutschland ist eng vernetzt, und die jungen Frauen, die sich vorher nicht kannten, sind viel unterwegs. Möglich ist dies auch, weil der Ausbildungsbetrieb ihnen ein Deutschlandticket finanziert. Aber Nanciah und Maholy stoßen in Bezug auf die Mobilität an ihre Grenzen, von Gächingen aus sei’s nicht leicht, in die Welt hinauszugehen. Privat wie beruflich: Um pünktlich in der Berufsschule in Derendingen zu sein, geht’s im Albdorf um 5.30 Uhr los mit dem Bus.

Nicht leicht, aus Gächingen wegzukommen

Von ihren Erfahrungen erzählen die beiden Madegassinnen in perfektem Hochdeutsch, damit stoßen sie in der Albmetzgerei jedoch durchaus an ihre Grenzen: »Wir können nicht immer alle Kunden verstehen«, gibt Nanciah lachend zu, mit einem Dialekt habe sie nicht gerechnet. »Dann müssen die Kolleginnen dolmetschen.« Aber der Kontakt zu den Kunden sei eben auch das, was ihnen an der Ausbildung besonders gefalle: »Man merkt, dass sich viele anstrengen, wenn sie mit uns reden«, hat Maholy beobachtet. Und es freue sie, wenn man nach ihrer Herkunft frage und Interesse daran habe.

»Das hat mit ihrer Fröhlichkeit, Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit zu tun, die sie nach außen strahlen«, unterstreicht Marc Swoboda. Der Failenschmid-Mitarbeiter war treibende Kraft, Auszubildende aus Madagaskar über ein Programm auf die Schwäbische Alb zu holen. Seit Jahren habe die Traditionsmetzgerei keine Fleischereifachverkäuferinnen mehr ausbilden können, gleichzeitig würden einige Mitarbeiterinnen kurz vor der Rente stehen: »Wir brauchen Fachkräfte«, macht Swoboda deutlich.

Ausbildung in der Metzgerei macht Spaß

Er kümmert sich um die beiden jungen Frauen, in der Fremde klarzukommen: »Ich versuche, ihre Bedürfnisse zu erfüllen und etwas die Elternfunktion zu übernehmen.« Das rechnen ihm die 21-Jährigen, die im Failenschmid-Gebäude eine Wohnung bewohnen, hoch an: »Wir können mit unseren Sorgen zu ihm kommen«, erklärt Maholy und erzählt von einem Zahnarztbesuch, bei dem sie von Swoboda begleitet wurde.

Und die Ausbildung? Die mache Spaß, auch wenn das Angebot der Metzgerei durchaus sehr ungewohnt sei: Fleisch würde es in Madagaskar auch geben, Schinken ebenfalls. Doch die Fülle an Wurst habe sie überrascht. Probiert haben sie schon alles Mögliche: Hirnsuppe, Kutteln, Presssack & Co. »Nein sagen geht immer«, hat sich Nanciah zur Devise gemacht. Als Favorit haben sich Schnitzel und Cordon bleu herauskristallisiert, privat wird gekocht wie zu Hause in Madagaskar: Da gibt’s zu jeder Mahlzeit Reis in verschiedenen Variationen.

Noch eine Auszubildende für Gächinger Metzgerei

Sie würden sich wohlfühlen in einer Welt, die so anders ist als die ihre: »So exotisch wie Madagaskar für Deutsche ist, ist es Gächingen für uns«, gibt Maholy zu, und sie gesteht auch, dass sie vielleicht nicht nach Gächingen gekommen wäre, wenn sie gewusst hätte, wo das ist. Aber: Längst fühle sie sich wohl, die Entscheidung habe sich gelohnt, und sie bekommt sogar Familienzuwachs. Maholys Schwester beginnt im September eine Ausbildung bei Failenschmid, erwartet wird zudem ein junger Mann. »Auch bei mir ist alles gut, aber ich habe großes Heimweh«, unterstreicht Nanciah. Selbst mit Gächingen hat sie sich angefreundet, manchmal empfinde sie die Ruhe sogar als positiv: »Hier ist nicht so viel Hektik.« (GEA)