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Warum sich der Wolf in der Region kaum vermehrt

Einzelne Sichtungen von Wölfen gab es bereits in der Region. Doch vom Rudel ist noch keine Spur. Ein Experte liefert Erklärungsversuche.

Mit der Rudelbildung geht es im Land nicht so recht voran.  FOTO: WOLFSCENTER DÖRVERDEN/DPA
Mit der Rudelbildung geht es im Land nicht so recht voran. FOTO: WOLFSCENTER DÖRVERDEN/DPA
Mit der Rudelbildung geht es im Land nicht so recht voran. FOTO: WOLFSCENTER DÖRVERDEN/DPA

MÜNSINGEN. Der Europarat schwächt den Schutz des Wolfes ab, Abschüsse auffälliger Tiere sollen schneller genehmigt werden. Als ein Grund wird angeführt, dass sich die Zahl der Grauröcke in Europa in den vergangenen zehn Jahren in etwa verdoppelt hat. In Baden-Württemberg wächst die Population aber nicht. Konkreter: Es gibt nach wie vor kein Rudel im Ländle.

Im Mai 2018 ließ sich der erste Wolf – GW852m – im Nordschwarzwald nieder. Das war vor knapp sieben Jahren noch eine Sensation. »m« steht übrigens für männlich, und Männchen bringen bei Säugetieren die Fortpflanzung bei aller Lust daran nicht so besonders vorwärts. Im Juni 2020, immerhin zwei Jahre später siedelte sich ein Wolf im Südschwarzwald an. Pech oder Glück, je nach Standpunkt: Auch GW1129m ist ein Rüde, mehr als eine Jagdkameradschaft war also nicht drin. Im Nordschwarzwald kam im vergangenen Jahr GW2672m hinzu, schon wieder nichts mit Paarung.

Auf der Alb sieht es aus Wolfsfreundperspektive noch trauriger aus. Hier hat sich bisher noch nicht einmal ein Junggeselle niedergelassen. Was nicht heißt, dass die Grauröcke hier nicht präsent sind. Im Juli 2022 sorgte ein Wolf für Aufsehen, der sich am glockenhellen Tag bei St. Johann und Lichtenstein von Jägern beim Ansitz fotografieren und sogar filmen ließ. Im Oktober wurde GW2973m in Trochtelfingen bestätigt, im November tauchte vielleicht derselbe Rüde in Burladingen auf. 2023 gab es eine Reihe von Sichtungen in der Ecke Römerstein-Wiesensteig-Dettingen unter Teck. Ob es ein einsamer Wanderer oder mehrere Tiere waren, ist nicht bekannt. Im vergangenen Jahr wurden Wölfe auf der Ostalb sichtbar, in Essinen, Amstetten und Lonsee. Wo sie geblieben sind? Man weiß es nicht.

Also viel Junggesellenromantik, wenig Familiensinn. Die armen, einsamen Kreaturen, mag sich die eine oder andere Wolfsfreundin denken. Kein Beziehungsstress, nur jagen und auf der großen Couch Schwarzwald schlafen, davon träumt vielleicht der eine oder andere Mann.

Wie auch immer, mit der Rudelbildung geht's im Ländle nicht voran, was durchaus interessant ist. 2023 gab es einen zarten Versuch der Familiengründung im Südschwarzwald. Doch Welpe und Mutter wurden noch im kommenden Winter 2023/24 überfahren.

Baden-Württemberg ist halt mehr Auto- als Wolfsland, meint Dr. Markus Rösler. Rösler (MdL und Naturschutzpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag) hat die wichtigsten Fragen und Antworten über den Wolf in Deutschland zusammengetragen und beantwortet. Rösler stützt sich auf aktuelle Forschungsergebnisse und ist auf einige interessante Zusammenhänge gestoßen.

- Flachlandwölfe meiden Mittelgebirge

In Deutschland stammen die Wölfe überwiegend aus der polnisch-ostdeutschen oder zentraleuropäischen Flachlandpopulation. Mit Betonung auf »Flachland«. Die ersten Wolfswelpen wurden im Jahr 2000 in Sachsen nachgewiesen. Die Wölfe breiteten sich schnell gen Nordwesten Richtung Niedersachsen aus. Aber nur zögerlich in Richtung West-Sachsen, wo Mittelgebirge dräuen. Wissenschaftlich nachgewiesen ist es nicht, aber Rösler findet es bemerkenswert, dass die Flachland-Wölfe gebirgige Gegenden anscheinend nur zögerlich besiedeln.

- Zuwachs verlangsamt sich deutlich

Ü berhaupt scheint die Wolfspopulation nur noch zögerlich anzuwachsen. Viele Jahre lang lag der jährliche Zuwachs an Wolfsrudeln und -territorien bei etwa 30 Prozent. Vom Ground Zero in Sachsen aus schien der Wolf kontinuierlich auf dem Vormarsch zu sein. Im Monitoringjahr 2023/24 wurden 1.601 Individuen nachgewiesen, von Null auf 1.601 in gut 20 Jahren ist keine schlechte Wachstumsrate.

Damit scheint Schluss zu sein, bereits seit dem Jahr 2020 nimmt der Zuwachs – nicht die absolute Zahl – ab. Interessant findet Rösler, dass nicht nur in den Gebieten mit hoher Wolfsdichte kaum mehr ein Zuwachs stattfindet. Es werden auch kaum mehr neue Gebiete erschlossen. Auch in waldreichen Bundesländern wie Thüringen, Hessen, Bayern oder eben Baden-Württemberg tut sich nicht viel.

Hat die Wolfspopulation ihren Höhepunkt also vielleicht schon erreicht? Die Zukunft wird es weisen, Potenzial hat Baden-Württemberg, bis zu 100 Wölfe könnten hier leben, meinen Forscher. Es sieht aber zurzeit nicht so aus, als ob die Grauröcke das wüssten.

- Geheimnisvolle Fernwechsel

Falls sich aber doch welche niederlassen wollten, wo könnte das sein? Darauf gibt es ein paar Hinweise. Rösler hat auch für Baden-Württemberg verfolgt, dass Wölfe genau dort wieder auftauchen, wo sie vor über 100 Jahren zum letzten Mal gesehen wurde. Ein Odenwälder Wolf trieb sich dort herum, wo 1866 bei Eberbach der letzte Wolf in Baden-Württemberg erlegt wurde. Nach spektakulärer tagelanger Treibjagd mit offensichtlich lausigen 150 Schützen, von denen einige zum Schuss kamen. Der Wolf steht übrigens säuberlich ausgestopft im Eberbacher Stadtmuseum. Der letzte württembergische Wolf wurde 1865 bei Neudenau im Kreis Heilbronn geschossen, hier tauchte 2022 ein später Nachfahre auf. Dem vorletzten Württemberger ging es bereits 1847 im Stromberg an den grauen Kittel. Den zum Gedenken errichteten Wolfsstein hat sich ein Artgenosse 2018 vielleicht angeschaut, dort in der Nähe gab es 2018 den ersten Wolfsriss an einem Nutztier nach der Rückkehr der Wölfe im Land.

Ähnliches wird auch bei Elchen beobachtet. Auch sie scheinen genau dort wieder aufzutauchen, wo sie vor langer, langer Zeit endgültig verschwanden. Gibt es sie also doch, die geheimnisumwitterten Fernwechsel, von denen manch alter Waidmann erzählt? Wer auf seinen Wanderungen an einem Wolfsstein vorbeikommt, sollte vielleicht die Augen offenhalten.

- Landwirtschaft hilft dem Wolf

Das mit den Wolfssteinen ist vielleicht nur ein interessantes Detail am Rande. Wo gefällt es also den Graukitteln, die kein Faible für historische Monumente haben? Wildnis und Urwälder braucht er nicht, da ist sich die Forschung einig, hohe Wildtierbestände dagegen schon. Rehe sind die Hauptbeute, dann folgen Hirsche und Wildschweine: Viele Wölfe gibt es dort, wo es hohe Wildbestände gibt. Rö sler zitiert Eckhardt Fuhr, Journalist (»Fuhrs Hund«) und Jäger: »Die Erklärung für hohe Wolfsdichten entzieht jeder Wolfsromantik den Boden. Das Angebot an wild lebenden Huftieren ist nirgends so hoch, wie dort, wo intensivste Landwirtschaft betrieben wird.«

Mais und Weizen mästen Sauen, Raps rettet überhöhte Rehbestände über den Winter: »Wenn Bauern düngen, düngen sie die Wölfe mit«, meint Fuhr. Für nichts interessierten sich Wölfe so wenig wie für »intakte Natur«. Fuhr macht sich übrigens für eine Bejagung des Wolfs stark, aber wenn, dann richtig: Dort, wo es nottut, und dann richtig mit professionellen Wolfsjägern und der Entnahme ganzer Rudel. Von mehr oder weniger zufälligen Einzelabschüssen hält er nichts, das haut bei Reh und Sau ja auch schon nicht hin.

- Unbeliebtes Ländle

Überhöhte Wildbestände haben wir im Ländle, da braucht man bei einer Waldbegehung im Gemeindeforst nur m al den Revierförstern zuzuhören. Potenzial für 100 Wölfe soll es in Baden-Württemberg geben, Rösler sieht bei der Schätzung ganz langfristig sogar noch Luft nach oben. In Baden-Württemberg treiben sich auch Tiere aus der »alpinen Population« herum, die sollten mit Mittelgebirgen also zurechtkommen. Warum also ist die Wolfsmigration ins Stocken geraten? Weil Baden-Württemberg ein Auto- und kein Wolfsland ist, wie Rösler meint? Oder mag der Wolf vielleicht keine Maultaschen und Bollenhüte?

Hier gibt es noch viel Forschungsarbeit zu erledigen, um so wichtiger ist ein gründliches Wolfsmonitoring. Ohne die berechtigten Sorgen der Weidetierhalter klein reden zu wollen: Für Angst vor ausufernden Wolfsbeständen gibt es zurzeit keinen Anlass, für eine Diskussion auf Stammtischniveau in Wahlprogrammen über Wolfsjagden erst recht nicht. (GEA)