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Warum ein Panzer über den Truppenübungsplatz in Münsingen fährt

Auf dem Gelände des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen sah man diese Woche einen Bergepanzer 2 abseits der Wege übers Gelände fahren. Das tonnenschwere Kettenfahrzeug war aber nicht für Militärübungen dort. Warum es unterwegs war.

Der Bergepanzer im Gewann Kalksbuch, nicht weit entfernt sind die ehemaligen Schießbahnen 12 und 13.  FOTOS: LENK
Der Bergepanzer im Gewann Kalksbuch, nicht weit entfernt sind die ehemaligen Schießbahnen 12 und 13. FOTOS: LENK
Der Bergepanzer im Gewann Kalksbuch, nicht weit entfernt sind die ehemaligen Schießbahnen 12 und 13. FOTOS: LENK

MÜNSINGEN. Erst vor ein paar Tagen berichtete der General-Anzeiger, dass vor 20 Jahren der Truppenübungsplatz Münsingen geschlossen wurde. Wer diese Woche auf dem 6.700 Hektar großen Areal unterwegs war, wird sich deshalb verwundert die Augen gerieben haben, als er dort einen Bergepanzer 2 abseits der einstigen Schießbahnen übers Gelände brettern sah.

Nein, der ehemalige Schießplatz, das heutige Herzstück des Biosphärengebietes Schwäbische Alb, wurde nicht reaktiviert. Das 42 Tonnen schwere Kettenfahrzeug war dort von Montag bis Freitag nicht aus militärischen Gründen, sondern zum Wohl der Natur unterwegs.

»Was Panzer geschaffen haben, können Panzer am besten pflegen«

So paradox es klingt: Der jahrzehntelange militärische Übungsbetrieb auf dem Truppenübungsplatz Münsingen von 1895 bis 2005 war ein Gewinn für den Artenschutz. Die natürlichen Prozesse wurden durch die intensive militärische Übungstätigkeit kaum gestört. Das machte das Münsinger Gelände zu einem Rückzugsgebiet für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Es scheint so, als sei die Natur mit den Militärs ein Bündnis eingegangen.

Florian Kaiser hofft auf Silberdisteln.
Florian Kaiser, Sachbearbeiter Naturschutz beim Bundesforstbetrieb Heuberg, hofft auf Silberdisteln. Foto: Joachim Lenk
Florian Kaiser, Sachbearbeiter Naturschutz beim Bundesforstbetrieb Heuberg, hofft auf Silberdisteln.
Foto: Joachim Lenk

Durch die Fahrspuren der Militärfahrzeuge entstanden neue Lebensräume für Amphibien. Ebenso bewirkte das Schießen mit schweren Waffen mechanische Bodenverwundungen. Regenwasser sammelte sich in den Fahrspuren, in den Granattrichtern bildeten sich Tümpel. Dort fanden viele Amphibien Lebens- und Laichräume, die »Panzerlöcher« schufen auf dem löchrigen und daher meist trockenen Karst seltene Rückzugsräume für wasserliebende Tier- und Pflanzenarten.

Was Panzer geschaffen haben, können Panzer am besten pflegen, erklärt Marco Reeck von der Bundesforst-Dienststelle Heuberg, der Hausherrin des einstigen Schießplatzes. »Natur und Militär sind eine gute Verbindung«, fügt er hinzu. Durch das Kettenfahrzeug entstehen auf dem sonst überwiegend gesperrten Gelände neue Fahrspuren, Mulden, Pfützen und Tümpel. Dort kann sich nun Regenwasser sammeln.

Was auf den ersten Blick zerstörerisch wirkt, hat einen positiven Effekt auf das Vorkommen seltener Tier- und Pflanzenarten. Als Beispiele werden die Kreuzkröte, die Torf-Mosaikjungfer und das Alpen-Laichkraut genannt. Ohne Panzer-Einsatz würden wertvolle Lebensräume verschwinden, die über Jahrzehnte hinweg ein sicheres Dasein auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz hatten, weiß Reeck.

So ein tonnenschweres Militärfahrzeug war nach 2010 und 2023 bereits zum dritten Mal auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz im Einsatz. Wie bereits vor zwei Jahren, leistete die erste Batterie des Artilleriebataillons 295 aus Stetten am kalten Markt Amtshilfe.

Das kommt nicht von ungefähr. Seit eineinhalb Jahren pflegt der Verband aus der Alb-Kaserne im Landkreis Sigmaringen eine Patenschaft mit der ehemaligen Garnisonsstadt Münsingen.

»Mit Panzern befahrene Gewässer weisen eine höhere Artenvielfalt aus«

Ohne die Amtshilfe des Artilleriebataillons 295 müsste man »die Verschlechterung der Biotopstrukturen« in Kauf nehmen, erklärt Marco Reeck. Zwar stehe dem Bundesforst in Münsingen ein gepanzertes Mannschaftstransportfahrzeug zur Verfügung, dies sei aber nur sieben Tonnen schwer. Aufgrund der nach wie vor bestehenden Kampfmittelbelastung aus 110 Jahren Schießbetrieb sei die Bodenverdichtung nur mit einem stark gepanzerten Fahrzeug, wie einem Bergepanzer, möglich, gibt Reeck zu bedenken.

Entlang der 2023 befahrenen Flächen wird zur naturschutzfachlichen Erfolgskontrolle der Maßnahme ein Monitoring der Amphibien- und Libellenfauna umgesetzt. »Es soll auch als Entscheidungshilfe für weitere artenschutzfachlich begründete Panzerfahrten dienen«, informiert Reeck. Ein Zwischenbericht zeige, dass die befahrenen Gewässer eine höhere Artenvielfalt aufweisen als die nicht befahrenen Referenztümpel. Deshalb soll, wenn es nach dem Bundesforstbetrieb Heuberg geht, der Bergepanzer mindestens alle zwei Jahre zum Einsatz für den Naturschutz kommen.

Neben der Befahrung von Kleingewässern wurden dieses Mal erstmals auch trockene Offenlandflächen mit dem Bergepanzer bearbeitet. »Dadurch könnte der Erhaltungszustand von gezielt ausgewählten Biotopen aufgewertet werden. Auf anderen Flächen entwickeln sich vielleicht neue derartige Biotope«, erklärt Florian Kaiser, Sachbearbeiter Naturschutz beim Bundesforstbetrieb Heuberg. Wer auf dem Wanderweg Numero 6 zwischen Gruorn und dem sogenannten Trailfinger Kopf (Schießbahn 12) unterwegs ist, sieht auf der linken Seite die tiefen Spuren im Boden, die das Kettenfahrzeug (bewusst) hinterlassen hat. (GEA)