MÜNSINGEN/ALTA. Dort leben und arbeiten, wo immer mehr Menschen gerne ihren Urlaub verbringen, sofern sie auf der Suche nach Ruhe und noch weitgehend ursprünglicher Natur sind? Der 36 Jahre alte ehemalige Münsinger Daniel Philipp Brändle genießt genau dieses Glück. Und zwar, seit er direkt nach seinem Abitur hoch in den Norden Norwegens gezogen und jetzt als einer von sechs evangelischen Pfarrern an der Nordlichtkathedrale in Alta tätig ist.
Das futuristisch anmutende Gotteshaus mit seiner Rundumverkleidung aus mattglänzendem Titan kennt fast ein jeder Norwegenreisende, der sich auf dem Landweg, besser jedoch entlang der fjordreichen, wunderschönen Küste auf den Spuren der Postschiffroute zum Nordkap aufmacht. Auf ihrer nord- oder nach dem Wendepunkt Kirkenes wieder südwärts führenden Route legen fast alle Schiffe der Hurtigruten in Alta einen längeren Stopp ein.
Denn der auf dem 70. Grad nördlicher Breite liegende Ort ist weltweit berühmt für seine aus der Steinzeit stammenden Felszeichnungen am Fuße des Komsafjellet, die als Unesco Welterbe unter besonderem Schutz stehen. Zudem ist Alta das Zentrum der noch immer große Rentierherden über die Weiten der Finnmarksvidda treibenden Samen. Einer Bevölkerungsgruppe also, die, wie andere Minderheiten in Norwegen auch, lange unterdrückt und vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt worden ist.
Multilingualer Segen
Inzwischen haben die Samen jedoch sogar ihr eigenes Parlament. Sind geachtet. Gelten mit ihren Traditionen und bunten Trachten als Bereicherung der Vielfalt Norwegens. Und gehören ganz selbstverständlich mit zu Daniel Brändles großer protestantischer Gemeinde. Weshalb der Pfarrer von der Schwäbischen Alb seinen Segenswunsch am Ende eines jeden Gottesdienstes in der Nordlichtkathedrale eben nicht nur auf Norwegisch, und der vielen Touristen wegen oft auch auf Englisch oder gar auf Deutsch erteilt. Brändle spricht die segnenden Worte an die Kirchenbesucher auch auf Samisch aus sowie auf Kven, das hier von einer aus Finnland stammenden ethnischen Minderheit gesprochen wird.
Alta gilt als Mekka des faszinierenden Spektakels am nördlichen Nachthimmel, also des Polarlichts, das wie ein giftgrüner Schleier zwischen November und Ende März die Dunkelheit durchzieht. In der Zeit herrscht hier meist noch strenger Winter mit oft eisigen Temperaturen. Was echte Polarlichtjäger freilich nicht davon abhalten kann, die wissenschaftlich Aurora Borealis genannte Leuchterscheinung mit ihren Kameras zu verfolgen, zumal sie durch ein Objektiv oft weit besser zu erkennen ist als durch das menschliche Auge allein.
Wer offenen Blicks nach Alta kommt, entdeckt rund um die 22.000 Einwohner zählende Stadt jedoch nicht nur Naturschönheiten, sondern wird auch von einem Stück deutscher Vergangenheit eingeholt. Das einstige Alta wurde im Herbst 1944 von Soldaten der Wehrmacht auf ihrem Rückzug buchstäblich platt gemacht. Vom Befehl, hier nur noch verbrannte und verminte Erde zurückzulassen, ist allein Altas alte Kirche verschont geblieben. Alle anderen Gebäude jedoch überstanden den Feuersturm nicht.
Keinerlei Ablenhnung
Ist dies in Daniel Brändles Gemeinde auch heute noch ein Thema? Und wird der junge Deutsche von älteren Einheimischen mit diesem unrühmlichen Teil deutscher Geschichte konfrontiert? »Ich verspüre keinerlei Ablehnung deswegen«, ist sich der mit der Norwegerin Odea Helene verheiratete Vater eines inzwischen vierjährigen Sohnes sicher, der auf den Namen Johannes hört und allein schon der Großeltern in Trailfingen wegen bereits »ein bissle Schwäbisch« lernt.
Beeindruckend ist für den bei Münsingen aufgewachsenen Pfarrer, wie stark verankert die Kirche in Norwegen (noch) im kulturellen Leben ist. Auch in seiner Gemeinde sind die Sonntags-Gottesdienste gut besucht. Je oberflächlicher die Welt um uns herum werde, sagt Daniel Brändle, je mehr gewinne der Glaube an Bedeutung. Dabei gehe es nicht darum, auf alles eine Antwort geben zu können, sondern es gehe um die tiefere Wahrheit des Menschseins. Und darum, offen und ehrlich über das Leben zu reden. »Glaube sieht für mich nicht immer aus, wie Glaube für den anderen.« Zwölf Jünger, zwölf Meinungen: Warum sollte dies heute anders sein?
Jesus, so stehe es in der Bibel, sei immer mal wieder »in die Berge abgehauen«, um danach wieder umso mehr für andere da zu sein. So, sagt der 36-Jährige, halte er es oft auch selbst. Was unter dem Begriff »Jedermannsrecht auf die Natur« hier bedeute: Raus, wann immer es geht. Raus zum Wandern. Raus zum Campen fernab der Zivilisation. Raus zum Feuermachen. Zur Schneehuhn- oder Hasenjagd. Und natürlich zum Lachsfischen, was Daniel Brändle am liebsten zusammen mit Freunden tut.
Ort der Spiritualität
Den »Kopf lüften« nennt dies Brändles Frau Odea Helene, die auch beruflich an der Seite ihres Mannes steht. Neben der intensiven Arbeit mit der Gemeinde, mit Kindern und mit Jugendgruppen bedeutet dies in der berühmten Nordlichtkathedrale eben auch, den Spagat zu schaffen zwischen einem Ort der Spiritualität und einer touristischen Attraktion. Was bis jetzt wohl ganz gut gelingt.
Zurück nach Deutschland kommt Daniel Brändle nur noch, um die Verwandten zu besuchen, und um Freunde aus der Zeit am Technischen Gymnasium in Ehingen zu treffen. Oder Menschen, die er während seines Engagements beim Evangelischen Jugendwerk Münsingen und Christlichen Verein Junger Menschen, CVJM, in Laichingen, kennengelernt hat. Einem von ihnen verdankt er seinen ersten Kontakt mit der evangelischen Gemeinde im norwegischen Kirkenes unmittelbar an der Grenze zu Finnland auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Dort hat Brändle, der zunächst den Wunsch hatte, Ingenieur zu werden, sich dann aber auf Sprachen konzentriert und ein Lehramt in Betracht gezogen hat, ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert.
Dass er mal Pfarrer werden und für immer hierbleiben würde, hätte er damals nicht gedacht. Noch nicht einmal zu der Zeit, als er schon Norwegisch gelernt und in Oslo, später dann noch in New York, Theologie studiert hat. Erst, als ihm eine heutige Kollegin vorausgesagt hatte: »Du wirst Pfarrer!«, war das für ihn wie ein innerer Ruf. So also blieb Daniel Brändle in Norwegen und feierte im April 2016 an der drei Jahre zuvor von Kronprinzessin Mette-Marit eingeweihten Nordlichtkathedrale in Alta seine Ordination. (GEA)