Logo
Aktuell Leute

Wald und Tattoos: Der Albschrat aus Engstingen

Kai Schultze tätowiert mit Fachkenntnis und Einfühlungsvermögen. Mit genau so viel Engagement führt er Menschen in den Engstinger Wald, den er von Kindesbeinen an kennt.

Kai Schultze in seinem Studio in Kleinengstingen.
Kai Schultze in seinem Studio in Kleinengstingen. Foto: Steffen Wurster
Kai Schultze in seinem Studio in Kleinengstingen.
Foto: Steffen Wurster

ENGSTINGEN. Kai Schultze hat einige Talente und viele Berufe: Er ist Kräuterpädagoge, Natur- und Landschaftsführer, Wanderführer, Erlebnis- und Naturpädagoge, alles zertifiziert. Und er tätowiert, natürlich auch das mit Ausbildung. Die zwei ganz unterschiedlichen Berufs- und Lebenswelten - Tannennadeln und Nadelkunst - hat er unter dem Titel »Albschrat« zusammengeführt, das träfe es ganz gut, meint das Multitalent mit Büro und Tattoostudio in Kleinengstingen, »das bin ich«.

Wie kam es zu der ungewöhnlichen Combo? Wald und Natur kamen zuerst. Der Vater war für die verflossenen Schießbahnen der Bundeswehr verantwortlich, der kleine Kai ist praktisch im Wald zwischen Engstingen und Meidelstetten aufgewachsen. Er war immer auf der Suche nach Tieren und Pflanzen und viel auf Tour. »Das hab ich bis jetzt durchgezogen.« Schon während des Studiums beginnt er zu tätowieren und geht dann zur Ausbildung in ein Studio nach Albstadt. »Da hab ich gelernt, schnell und viel zu tätowieren«, erinnert sich der Albschrat. Sein Chef war kein begnadeter Hautkünstler, »der stieg lieber aufs Motorrad, und ich hab dann weitergemacht«. Das Studio gibt es mittlerweile nicht mehr, Schultze hat aus den Fehlern seines Ex-Chefs gelernt. Beim Handwerklichen, bei der Hygiene - »ganz wichtig« -, bei der Qualität der Farben oder beim vorbereitenden Gespräch mit den Kunden. Einer Mutter mit Tochter hat er auch schon mal ein Tattoo ausgeredet: Es sollte die Belohnung für eine gute Arbeit in Mathe für die 15-Jährige sein. Ein Konzertbesuch oder eine CD wäre seiner Ansicht nach angemessener gewesen. »Aber vielleicht sind sie hinterher in ein anderes Studio gegangen.« Grundsätzlich liegt das Mindestalter beim Albschrat übrigens bei 18 Jahren - »irgendwo muss man eine Grenze ziehen«. Die Kunden sollen ja auch verstehen, auf was sie sich einlassen.

»Ein Tattoo für eine gute Mathearbeit hielt ich für keine gute Idee, das habe ich der Mutter ausgeredet«

Was passt zum Typ, was zum Körperbau, was ist vielleicht zu viel - Schultze nimmt sich gern Zeit. »Aber die Verantwortung liegt am Ende beim Kunden«, sagt er. Ob die chinesischen Schriftzeichen manchmal wirklich »Huhn süßsauer bedeuten«? Lustig wäre es schon, er selbst sucht seine Motive aber nicht auf der Speisekarte vom asiatischen Lieferservice.

Wenn der das kann, kann ich es auch oder besser, hat er in Albstadt gelernt und machte sich 2005 in Engstingen selbstständig. Es ist nicht immer einfach, sagt er, aber ums große Geld geht es ihm auch nicht. Am Anfang haben ihm Kontakte in die Reutlinger Punk-Szene bei der Akquise geholfen, mittlerweile ist der Kundenkreis aber generationenübergreifend. »Auch mit 70 oder 80 lässt man sich noch tätowieren.« Die Wunschmotive wechseln, von »Tribals« über Schriftzeichen bis zu Pflanzenranken. »Ich weiß nicht, wie viel Sterne ich gestochen habe«, schmunzelt der Albschrat. Die Motive finden die Kunden gern in Instagram-Beiträgen, ein bisschen mehr Individualität würde er sich wünschen - die Körperkunst hat ja doch eine längere Lebenserwartung als ein Insta-Post. Vor dem Stechen steht das Zeichnen, die Motive werden auf dem Papier ausgearbeitet, bevor es auf den Tätowierstuhl geht, »die Bilder werden für jeden individuell entworfen«.

Tannen oder Buchen hat er auch schon auf die Haut gebracht, eine Verbindung zu seinem zweiten Leben als Waldläufer. Tätowieren und Waldpädagogik passe ganz gut zusammen - im Sommer ist er verstärkt draußen, im Winter mehr im Studio im Untergeschoss des Wohnhauses in Kleinengstingen. Zu den Wald-Kunden gehören etwa Schulen und Kindergärten, das Biosphärenzentrum Schwäbische Alb oder die Akademie Laucherttal in Gammertingen. Daneben gibt es eigene Angebote. Bei dem anspruchsvollen Kundenkreis ist Weiterbildung Pflicht. Angefangen hat er mit Erlebnispädagogik, mit Gruppenerfahrung in der Natur. Im Biosphärengebiet bietet sich es an, als Natur- und Landschaftsführer oder Wanderführer unterwegs zu sein, jetzt faszinieren ihn Kräuter, »Volksheilkunde« besonders. »Rasch mal den Wald erklären«, sagt er, und erinnert sich an die Zeit, als er sich den Wald als Kind und Jugendlicher selbst nähergebracht hat.

»Die Raunächte sind etwas Magisches, Frau Holle und die Wilde Jagd fegen übers Land«

Jetzt stehen die zwölf Raunächte an, die magische Zeit zwischen Weihnachten und Epiphanias am 6. Januar. Die zwölf Tage bringen den Sonnen- und den Mondkalender in Einklang, ein Geschenk. Und die Zeit, in denen in Erzählungen erschröckliche Dinge geschehen. Schultze lädt zu einer Reise in die »Welt der Frau Holle und der wilden Jagd« ein, will mit anderen die Magie der Raunächte erleben. Die Tage werden wieder länger, der Kreislauf der Natur schließt sich oder beginnt von Neuem, »es geht wieder aufwärts«, meint der Albschrat. Frau Holle und die Wilde Jagd fegen übers Land, auch über die Alb. Die Raunachtexkursion sei immer gut besucht, sagt Schultze, vielleicht von Menschen, »die die Schnauze voll vom kommerziellen Weihnachten haben«. (GEA)