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Aktuell Engagement

Vom SWR begleitet: Jugendguides führen durch Grafeneck

Lotta Brockel und Rabea Schreg führen als Jugendguides durch Grafeneck. Ein Signal für Gleichaltrige, sich für Geschichte zu interessieren und zu engagieren.

Lotta Brockel führt als Jugendguide Besucher durch Grafeneck.
Lotta Brockel führt als Jugendguide Besucher durch Grafeneck. Foto: Maria Bloching
Lotta Brockel führt als Jugendguide Besucher durch Grafeneck.
Foto: Maria Bloching

GRAFENECK. Selbstbewusst stellt sich Lotta Brockel aus Honau vor die rund 20 interessierten Besucher, die am Samstag zur öffentlichen Führung zur Gedenkstätte Grafeneck gekommen sind. Unter ihnen auch ein Kamerateam vom SWR, das über das Engagement der 17-jährigen in der Tagesschau berichten will. Die Schülerin hat sich vor drei Jahren vom Landkreis Reutlingen, der das Projekt seit 2020 in Kooperation mit dem Landkreis Tübingen und Kultur-Gut e.V. betreibt, zur Jugendguide ausbilden lassen. Seit zwei Jahren gibt sie gemeinsam mit Rabea Schreg Besuchergruppen, Schulklassen und Konfirmanden Einblicke in die Grafenecker Geschichte. Die hat es Lotta besonders angetan. »Wir haben hier eine eindrucksvolle Geschichte direkt vor unserer Haustür«. Dass es fast 40 Jahre nach Kriegsende brauchte, dieses Gedenken zu schaffen ist für die junge Frau eine »verdammt lange Zeit«.

Auch zur offenen Kapelle führt Lotta Brockel ihre Besucher.
Auch zur offenen Kapelle führt Lotta Brockel ihre Besucher. Foto: Maria Bloching
Auch zur offenen Kapelle führt Lotta Brockel ihre Besucher.
Foto: Maria Bloching

Sie spult während ihrer Führung keine vorgefertigten Texte herunter, sondern findet ihre eigenen Worte für das eigentlich Unaussprechliche, was in Grafeneck passiert ist. »Als Jugendlicher informiert man sich über bestimmte Sachen oft gar nicht oder nicht richtig. Mir ist es wichtig, einen richtigen Blick auf die Dinge zu werfen«. Sie hat ihre Schwerpunkte, denn manches geht ihr besonders zu Herzen und bleibt ihr im Kopf. So etwa all die Einzelschicksale, die hinter den unzähligen Opfern der Nationalsozialisten stecken. »In der Geschichte werden sie pauschal behandelt. Das macht mich traurig, denn jedem Einzelnen wurde die Chance genommen, ein normales Leben zu führen«. Dass rund 9.600 der insgesamt 10.654 in Grafeneck ermordeten Menschen hier zwischenzeitlich im Namensbuch zumindest ihren Namen zurückerhalten haben und an die noch unbekannten Opfer im Alphabetengarten erinnert wird, findet sie bemerkenswert.

Schon immer hat sich Lotta für Geschichte interessiert, jetzt ist sie selbst Teil davon und kann persönlich entscheiden, was sie als besonders wichtig erachtet und welche Schwerpunkte sie bei ihrer rund einstündigen Führung setzen will. Immer ist auch eine Vertretung von der Samariterstiftung dabei. »Es ist sehr wichtig, dass sich junge Menschen für unsere Erinnerungskultur einsetzen«, betont Kathrin Bauer, Mitarbeiterin der Gedenkstätte. Lotta kommt vor dem Schloss, in dem die Nazi-Verbrecher ihren Sitz hatten, an jenem Platz, wo die Gaskammern und das Krematorium standen, an der offenen Kapelle mit Klagemauer, auf dem Friedhof und natürlich im Dokumentationszentrum mit Jung und Alt ins Gespräch. So auch über das Verhalten all jener Menschen rund um Grafeneck, die angesichts der vielen grauen Busse und des aufsteigenden Rauchs aus den Gaskammern genau wussten, welche bestialischen Grausamkeiten hier vonstattengingen. »Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Ob ich den Mut aufgebracht hätte, mich dagegen zu stellen«, räumt die Jugendliche ehrlich ein.

Grafeneck in der ARD

Der SWR-Beitrag über Lotta Brockel als Jugendguide in Grafeneck wird am Mittwoch ab 12 Uhr regelmäßig in der ARD-Tagesschau ausgestrahlt.

Sie wirbt für das, was sie tut. Vor allem aber will sie Gleichaltrige motivieren, sich mit Geschichte überhaupt zu beschäftigen. »Ich habe einen Bezug zu Grafeneck, das bringt viel mehr, als einen kurzen Absatz im Geschichtsbuch darüber zu lesen«, findet sie. Antje Kochendörfer ist beim Landratsamt Reutlingen für die Ausbildung der Jugendguides zuständig und hat ebenso wie Kathrin Bauer die Entwicklung von Lotta in den letzten zwei Jahren eng begleitet. Beide konnten dabei beobachten, wie selbstsicher die Jugendliche während der regelmäßigen Führungen geworden und wie sie daran persönlich gewachsen, ja gereift ist. »Wir hoffen, dass sie die Möglichkeit erhält, dieses Engagement für ihre Abiturprüfung anrechnen zu lassen«, so Bauer. Denn Lotta tritt in die Fußstapfen der Geschichte, vermittelt nicht nur Fakten, sondern schafft auch eine emotionale Verbindung zu den Geschehnissen und zu den Opfern. Sie macht deutlich, dass hinter den Zahlen und Statistiken echte Menschen mit Träumen, Hoffnungen und Familien standen. Dadurch baut sie Brücken zur Vergangenheit. (GEA)